Stand heute: ein neuer Verbündeter, das Internet
Doch bei der Entschlüsselung unseres Innern gibt es einen neuen ernstzunehmenden Verbündeten, das Internet. Unser Kontakt mit dem Netz ist allgegenwärtig. Nicht nur wir, mit unserem Tablet, Smartphone oder dergleichen, auch immer mehr unserer Haushaltsgegenstände, wie Fernseher, Auto oder gleich das ganze Haus sind online, die Risiken und Nebenwirkungen ringen mit dem Nutzen.
So oder so fallen bei all dem jede Menge Daten über uns an, mitunter sehr intime. Viele davon veröffentlichen wir aber freiwillig, über die Likes bei Facebook. Eine große Studie hat dabei ergeben, dass Facebook uns nach 10 abgegebenen Likes besser kennt, als unsere Arbeitskollegen, ab 150 Likes besser als ein Familienmitglied und bei 300 Likes besser als unser Partner.[2] Manche sagen gar, dass die Onlinegiganten uns bereits besser kennen, als wir uns selbst.
Der Schlüssel zu unserem Innersten soll in den Algorithmen liegen. Algorithmen erkennen unser Off- und Onlineverhalten und das anderer im großen Stil. Sie verknüpfen unter anderem Gewohnheiten. Wer dies tut, tut auch das, mit einer gewissen statistischen Häufung. Das sind verschiedene Verknüpfungen, die über den Geschmack eines Menschen laufen können oder über seine Lebensumstände. Wer sich für Kinderwagen interessiert, interessiert sich tendenziell auch für Windeln, weil demnächst ein Kind zu erwarten ist. Wer Volksmusikinterpreten A mag, mag auch Volksmusikinterpreten B und tendenziell weniger Rap. Algorithmen wissen zwar nicht, was Kinder oder Musikgeschmack sind, aber sie können Beziehungen der Häufigkeit herstellen.
Wie berechenbar sind wir?
Wie sieht es nun aus in der Gesamtsumme? Wir können dem Menschen statistisch immer näher kommen, keine Frage. Doch es gibt Grenzen, die noch nicht überschritten werden konnten. Die Grenzen liegen bei dem, was man Erklärung nennt. Wir kennen zwei Arten von Erklärungen. Die erste wird deduktiv-nomologische Erklärung genannt und bedeutet, dass alles, was geschieht, auf dem Boden einer hinreichenden und endlichen Anzahl von Bedingungen geschieht. Es bedarf bestimmer Bedingungen, damit irgendwo ein Feuer entsteht. Das sind nicht irgendwelche Bedingungen, sondern sehr spezielle. Die Anwesenheit von Chlorgas und Hühnersuppe ist dafür irrelevant, brennbares Material, eine Wärmequelle und Sauerstoff sind hingegen relevant. Theoretisch bestehen diese Bedingungen auch für den Wunsch zu heiraten, ein Auto zu kaufen oder einen Terroranschlag zu begehen. Nur kennen wir eben nicht alle diese Bedingungen. Mehl, Butter, Zucker, Eier und ein Ofen (oder etwas in der Art) sind notwendige Zutaten um einen Kuchen zu backen, aber man muss ihn auch backen können und wollen. Und da kennen wir die hinreichenden Komponenten eben nicht. Vielleicht schätzt man vieles bereits sehr richtig ein, aber letztlich wissen wir nicht, warum sich der eine radikalisiert und der andere, unter ähnlichen Bedingungen, nicht. Es gibt nicht die Stelle im Hirn oder den Genen, die in Kombination mit bestimmten Ereignissen dazu führt, dass jemand zum Mörder wird. Zumindest kennen wir sie nicht. Die deduktiv-nomologische Erklärung sagt, dass wenn alle hinreichenden Ursachen zusammen sind, es logisch zwingend dazu kommen muss, dass A geschieht. Doch unsere Unkenntnis über die hinreichenden Zutaten reißt eine Lücke in die Idee der zwingenden Erklärung.
Das alternative Modell ist die induktiv-probabilistische Erklärung. Sie besagt, dass das Auftreten bestimmter Komponenten ein Ereignis immer wahrscheinlicher werden lässt. So lässt eine lange trockene Hitzeperiode im Sommer die Gefahr von Bränden durch achtlos weggeworfene Zigarettenkippen, Blitze oder auch spontane Entflammung steigen, aber gleich wie groß die Wahrscheinlichkeit von etwas auch sein mag, es muss nicht eintreten, der Zwang fehlt. Kurz und gut. Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Phänomens und dem tatsächlichen Eintritt klafft eine Lücke und wenn an einer Aktion ein Mensch beteiligt ist, ist diese Lücke oftmals seine Einstellung.
Diese kann sich, auch wenn das oft nicht der Fall ist, immer wieder ändern, mitunter dramatisch. Alles ist augenscheinlich so, wie es die letzten 20 Jahre war, doch auf einmal geht ein Mensch morgens nicht mehr zur Arbeit. Es gibt tatsächlich die Fälle, in denen jemand nur mal eben Zigaretten holen ging und nie wieder gesehen wurde. Es gibt plötzliche Meinungsänderungen, ohne dass wir wissen, warum gerade jetzt (und nicht schon vor 5 Jahren, letzte Woche oder nie).
Kehren wir wieder zurück zum Terrorismus. Wir wissen eben nicht, was bei jemandem auf einmal anders ist, so dass wir es sehen und sagen können, dass er demnächst einen Anschlag ausführen wird. Vielleicht ändert sich das Online-Verhalten dramatisch, wenn jemand zu allem entschlossen ist, aber vielleicht macht jemand auch alles weiter wie bisher. Dass Innere, es entzieht sich dem letzten Zugriff und der Mensch bleibt für seine Mitwelt immer ein Stück weit unberechenbar. Aber wir wissen auch immer genauer, dass innere Entscheidungen kein leeres Echo bilden, das irgendwo im Kopf verhallt, sondern, dass sie eine kausale Größe sind. Es ist schon wichtig, wie wir uns entscheiden.
Wie berechenbar sind wir? Vielleicht besser als vor 20 Jahren, aber unterm Strich doch immer noch recht wenig, leider auch bei wichtigen Entscheidungen nicht immer. Zum Glück auch bei wichtigen Entscheidungen nicht immer.
Quellen:
- [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Humangenomprojekt#Geschichte
- [2] https://news.stanford.edu/2015/01/12/personality-computer-knows-011215/