Moderner Voodoo Glaube oder der Noceboeffekt

Blutproben

Blutuntersuchungen: Oft unerlässlich zur Diagnostik, daher zuweilen ein moderner Fetisch. © Graham Colm under cc

Durchaus nicht, wie auch Schmid betont, auch in modernen Gesellschaften können solche Einflüsse weiter wirken. Beispielsweise wenn es um unsere Gesundheit geht. Krank zu sein ist an sich schon ein regressives Geschehen. Wir sind schon bei einer banalen Erkältung oft einigermaßen schutzlos, brauchen und bekommen im Falle von Krankheit, für eine gewisse Zeit, Schonung, Zuspruch und Hilfe.

Entsprechend offener und empfänglicher sind wir auch für allerlei Botschaften aus früheren und annähernd magischen Bereichen der eigenen Psyche, in diesen Fällen sprechen wir vom Placebo- und Noceboeffekt. Ärztliche Prognosen werden von Kritikern gerne als moderner Voodoo-Zauber bezeichnet. Auch wenn man weniger hart urteilt, Informationen können töten, meint Gary Bruno Schmid, wenn die erwähnten Voraussetzungen gegeben sind.

Tragische Fälle gibt es auch in unserer Zeit:

  • Ein Mann ist an Krebs erkrankt, hat aber die Möglichkeit an einer Studie teilzunehmen, in der eine neues Mittel erprobt werden soll. Da seine Prognose nicht gut ist, nutzt er die Gelegenheit, nimmt das neue Medikament und hat Glück. Das Mittel schlägt bei ihm an, der Krebs verschwindet, er scheint gerettet. Einige Jahre später hört oder liest er durch Zufall irgendwo, dass das Mittel, das ihn rettete nicht zugelassen worden wäre, da es seinen Nutzen nicht erweisen konnte. Der Mann bekam binnen kurzer Zeit ein Rezidiv und starb.
  • Ähnlich tragisch die Geschichte des Mannes, der versehentlich über Nacht in einen Kühlwagen eingesperrt wurde. Er war nun überzeugt davon erfrieren zu müssen und starb in dem Wagen, mit typischen Symptomen der Erfrierung, doch die Kühlung in dem Wagen war gar nicht mehr angestellt, er hätte problemlos überleben können.
  • Ähnlich dramatisch der Fall eines jungen Mannes der sich mit einer Überdosis an Medikamenten das Leben nehmen wollte. Er wurde in einem lebensbedrohenden Zustand die Klinik gebracht, mit allen Anzeichen einer schweren Vergiftung, die Ärtze wussten nur nicht, welches Medikament er genommen hatte. Der Mann nahm an einer Medikamentenstudie teil und durch einen Anruf in der Klinik konnte man herausfinden, womit er sich vergiftete: mit seiner eigenen Überzeugung. Der Mann war in der Placebogruppe, das heißt, er bekam wirkstofffreie Scheinmedikamente. Als man ihm das sagte, änderte sich sein Zustand.
  • Wie groß die Macht der Worte ist sieht man auch am Fall einer jungen Frau, die auf dem Wege guter Genesung die ärztliche Morgenvisite erlebte. Danach war die Frau völlig verändert, obwohl die Ärzte ihr sagten, alles bei ihr sei auf einem guten Weg. Sie verstand jedoch bei der Vorstellung eine Abkürzung, die einer der Ärzte im Zusammenhang mit ihr gebrauchte, falsch und dachte, TS hieße so viel wie hoffnungsloser Fall: terminale Situation. Es bedeutete in ihrem Zusammenhang jedoch nur, dass eine relativ harmlose Verengung einer Herzklappe vorliegt. Abends war die Frau tot.

Die Kraft der Überzeugungen …

Die Kraft des Glaubens, so sieht man an den tragischen Beispielen, ist auch heute ungebrochen, ebenso die Autorität die wir manchen Menschen zusprechen. Aber „Glaube“ ist nicht der treffende Begriff, er klingt bei uns zu sehr nach religiösem Kontext. Überzeugung wäre passender, denn auch Schmid schrieb, der Glaube dürfte als solcher nicht erlebt werden, sondern als felsenfeste Gewissheit.

Was ehedem religiöser Glaube war, ist heute zu einem guten Teil auf das Weltbild der Wissenschaft übertragen worden. Allerdings glaubt man daran häufig mit der gleichen Gewissheit, wie man früher dachte, dass Gott existiert. Die Heterogenität unserer Zeit sorgt dafür, dass wir es mit einer breiten Mischung an Vorstellungen zu tun haben. Manche glauben im klassisch religiösen Sinne noch an Gott, andere sind in unserer wissenschaftlich-technischen Zeit verwurzelt, aber gläubig, das heißt, ohne die Möglichkeit zur Reflexion dieses Weltbildes, wieder andere sind zu dieser Reflexion in der Lage.

Es ist nicht so, dass man mit dem einen Weltbild prinzipiell anfälliger wäre, als mit einem anderen, Überzeugungen hat man innerhalb eines jeden Weltbildes, nur eben immer andere. Wer Voodoo im klassischen Sinn für Hokuspokus hält, ist zugleich auch vor seinen Bannflüchen geschützt. Sehr eindrucksvoll war das in einer Fernsehsendung zu sehen, in der Mitglieder einer Beratungsstelle auftraten, die sich um Menschen kümmerten, die sich vor solchen magischen Attacken ängstigten. Sie sagten, sie selbst seien nun schon zigfach verwunschen worden, passiert sei nie etwas. Hier spricht man dem anderen einfach die Autorität ab und ist aus dem Schneider.

Wartet man beim Arzt auf eine Diagnose, so sieht die Welt schon anders aus. Es juckt uns wenig, wenn jemand eine Stoffpuppe, die wir sein sollen, mit Nadeln durchlöchert, unser Fetisch sind Diagnosen, Laborwerte und Bilder aus unserem Inneren. Natürlich braucht man die, damit therapieren kann, aber gerade für Patienten ist dieses für die fremde Gebiet ungeheuer emotional aufgeladen. Für Menschen aus dem medizinischen System ist das Routine, für einen Patienten, der tagelang auf ein wichtiges Laborergebnis wartet ein emotionaler Ausnahmezustand. Das sollte man in jedem Fall mitberücksichtigen.

Kann man nach ärztlichem Ermessen nichts mehr tun, sind diejenigen, die etwas weniger wissenschaftsgläubig sind, sogar wieder etwas besser unterwegs. Wo der Arzt nichts mehr machen kann, habe sie vielleicht noch einen weitere Trumpf im Spiel, sei es der Glaube an Gott, einen Wunderheiler oder ein besonderes Verfahren oder Medikament. Denn auch das ist die Botschaft: was in die eine Richtung funktioniert, geht auch in die andere, wie in Kann die Psyche den Körper heilen? schon näher ausgeführt.

… zum Tode und zum Leben

Der Abstand zwischen Wellenberg und -tal kann kaum größer sein, als in diesem Fall. Es geht um nicht weniger als um Leben und Tod, vermutlich an beiden extremen Ende des Spektrums ausgelöst durch die Macht der Psyche. So plötzlich jemanden der psychogene Tod unter bestimmten Bedingungen ereilen kann, so plötzlich kann man auch gesunden und es spricht manches dafür, dass die Bedingungen für Wunderheilungen ähnlich sind, wie für den psychogenen Tod. Felsenfestes Vertrauen in den anderen oder grenzenloses Vertrauen in an die Situation, das wären die gleichen Zutaten, nur spiegelbildlich.

Die Grenzen liegen darin, dass man die innere Gestimmtheit eben nicht erzwingen kann. Aber wenn man sich vor Augen führt und weiter erforscht, was bestimmte Herangehensweisen in diesem und jenem Menschen auslöst, können wir die vernichtenden Kraft des Noceboeffektes minimieren und die Placeboeffekte maximieren und in aller Regel kostet das wenig Geld, nur ein wenig Aufmerksamkeit.

Quellen:

  • [1] Gary Bruno Schmid, Der psychogene Tod – Die toxische Wirkung der Vorstellungskraft, Ärzte Woche, 29.04.2010, S.16,
    online unter: https://www.researchgate.net/publication/241009669_Das_psychogene_Todessyndrom
  • [2] Von Christina Berndt, „Gebrochene Herzen“ – Tod aus der Seele, SZ Online, 17. Mai 2010, 21:10 Uhr
    online unter: http://www.sueddeutsche.de/wissen/gebrochene-herzen-tod-aus-der-seele-1.270855