Die Scheidungsstatistiken sowie unter anderem das späte Heiratsalter in unserer westlichen Kultur lassen bereits einige Rückschlüsse zu, im Hinblick auf die Frage, ob Monogamie zeitgemäß ist. Dennoch möchten wir dem in der zivilisierten Welt geprägten Ideal der Ehe auf Lebenszeit noch weiter auf den Grund gehen.
Männer sind untreu. Frauen auch.
Patriarchalisch orientierte Leser müssen jetzt stark sein. Die evolutionsbiologische Annahme, dass Männer fremdgehen, um ihren Samen zu »verstreuen«, und Frauen eher zur Treue neigen, weil sie ihre kostbaren Eier hüten müssen und nur wenige Nachkommen zeugen können, ist schlichtweg nicht haltbar. Die Statistiken untermauern vielmehr die These, dass Frauen nahezu genauso häufig fremdgehen wie Männer. Es wird also Zeit für eine neue evolutionsbiologische Annahme. Der Wiener Professor Karl Grammer, Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe, hat eine (zitiert nach SZ.de):
»Frauen sind untreu, weil sie wollen, dass der Nachwuchs für die Gefahren und Herausforderungen des Lebens das beste nur mögliche Rüstzeug bekommt.«
Provokant formuliert: Das Weibchen ist auf der Suche nach einem männlichen Exemplar, das die eigene genetische Ausstattung perfekt ergänzt und die Überlebenschancen des Nachwuchses optimiert. Und so wie es aussieht, lässt sich dieses Jahrtausende alte Verhalten nicht durch etwaige Einschränkungen ausmerzen, wie zum Beispiel, dass man in der heutigen Zeit rein wirtschaftlich gesehen besser nur ein bis drei Kinder bekommt. Denn Frauen haben weitaus mehr Fortpflanzungsmöglichkeiten zur Verfügung (nicht nur ein- bis dreimal im Leben). Auf der anderen Seite brauchen sie aber auch einen Versorger.
Wenn der hormonelle Sturm vorüber ist

Ist Monogamie zeitgemäß? Auch unsere Gene bestimmen unser Verhalten. © thekirbster under cc
Eine weitere erstaunliche Erkenntnis über die Frauen weiß der Evolutionspsychologe Dietrich Klusmann zu berichten. Nämlich, dass gemäß Studien nach etwa zwei bis vier Jahren das sexuelle Interesse der Frau am Partner nachlässt, während es beim Mann dagegen kaum vermindert ist. Dies gaben sowohl die Zwanzig- bis Dreißigjährigen an, als auch die Dreißig- bis Fünfundvierzigjährigen.
In einer Studie zeigte sich: Je ähnlicher die immunbezogenen Gene beider Partner, desto stärker lässt die sexuelle Anziehung des Partners bei der Frau nach und desto mehr nimmt die Häufigkeit der außenpartnerschaftlichen Kontakte der Frau zu, vor allem während ihrer fruchtbaren Phase.
Offenbar können Frauen Sex und Liebe besser trennen, als ursprünglich angenommen. Die eben angesprochene genetische Verankerung in Bezug auf das Durchbringen der Nachkommenschaft könnte für dieses absinkende Interesse verantwortlich sein.
Doch es geht natürlich nicht nur um die Hormone, die Frauen (und Männern) durchgehen können. Schließlich gelten wir als eine der intelligentesten Lebensformen auf diesem Planeten.
Liberté! Werteentwicklung kontra Ehe?
Unabhängigkeit und Freiheit als höchste Ideale. So steht es jedenfalls implizit in westlichen Gesellschaften geschrieben. Und ausgerechnet das soll beim Anstecken des Traurings vorbei sein? Spontanität und Unverbindlichkeit gehen mit dem Konzept der Ehe konträr, zumindest in gewissen Punkten. Die Statistiken scheinen dies zu untermauern, denn mehr als ein Drittel aller Haushalte in Deutschland sind Singlehaushalte. Singlehaushalte sind damit der am häufigsten vorkommende Haushaltstyp in Deutschland. Der Anteil liegt genau genommen bei 37,2 %. Oder anders ausgedrückt: 17,1 % der Bevölkerung leben allein und die meisten davon in Großstädten.
Das Statistische Bundesamt konnte in seinen Erhebungen aufzeigen, dass der Anteil der Mütter bei den Frauen in allen Alterskohorten zurückgeht. Offenbar entscheiden sich tendenziell immer mehr Frauen, kinderlos zu bleiben. Mögliche Gründe dafür, wie zum Beispiel ein deutlicher Karriereeinschnitt und die drohende Altersarmut bei Frauen, wurden bereits diskutiert.
Vieles spricht also für eine Anpassung der Lebensumstände an die individuumszentrierte Wertentwicklung und weniges dafür, dass Monogamie noch zeitgemäß ist.
Zusammensein, ohne zusammen zu sein
Generationen Y und Z pflegen Begrifflichkeiten wie »Polyamorie« beziehungsweise sogenannte Nicht-Beziehungen. Natürlich nicht die Mehrheit. Die meisten Menschen führen auch in diesen Generationen klassische Beziehungen und auch die Ehe steht noch hoch im Kurs. Dennoch setzt sich dieser Trend ab – ein Modell, das vor mehreren Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Man verbringt Zeit zusammen, lacht, führt Gespräche und ist füreinander da. Und
selbstverständlich ist dann auch noch der Sex. Aber zusammen ist man irgendwie trotzdem nicht. Beispielsweise befindet man sich in einem Beziehungsnetzwerk aus mehreren Menschen, die untereinander Nicht-Beziehungen pflegen. Auch polyamore Familiengründungen sollen heutzutage möglich sein.
Ein polyamores Beziehungsgeflecht verlangt Vertrauen und ein respektvolles Miteinander. Betrachtet man dies unter dem Gesichtspunkt humanistischer Werte, scheint dieser Beziehungsstil wesentlich erstrebenswerter zu sein als Seitensprünge, die hinter dem Rücken des Partners vollführt werden. Gleiches Recht für alle. Ehrlichkeit, Liebe, Vertrauen sind Ideale, die für Viele wegweisend sind. Inwiefern sind diese mit der Monogamie als zeitgemäße Lebensform vereinbar? Und welche Alternativen hätten wir außerdem?
Verliebtheit ist nichts Bedrohliches
Und Liebe kein Nullsummenspiel. Liebe ist nicht irgendwann aufgebraucht. Wir lieben unsere Eltern, unsere Kinder, unsere Freunde und unsere Haustiere. Warum also nicht auch mehrere Partner? Oder andernfalls, so wie es sich heute bei einer Vielzahl der Menschen abzuzeichnen scheint: eine serielle Monogamie, anstatt einer lebenslangen.
Die Fähigkeit, sich zu verlieben, der Hormoncocktail, der durch unseren Körper rauscht, endet nicht, nur weil man Dreißig wird und geheiratet hat. Analog zur Lebensüberzeugung des Minimalismus, der so Manche in den jüngeren Generationen überzeugt hat, könnte auch das Besitzdenken in der Liebe wegfallen. Womöglich heißt es irgendwann nicht mehr: Mann liebt Frau, Frau liebt Mann, und dann Heirat. Sondern Mensch liebt Mensch und dann noch einen, und noch einen.
Eifersucht als Faszination für den Rivalen. Immerhin, so die Ergebnisse einer Umfrage kanadischer Forscher, träumen nicht wenige Männer davon, die Partnerin beim Sex mit einem anderen Mann zu beobachten. Und viele frühere sowie auch heutige Kulturen pflegten beziehungsweise pflegen keine partnerschaftliche Ausschließlichkeit, im Gegenteil.
Zum Beispiel bei den Mosuo, einem Bevölkerungsstamm im Südwesten Chinas. Nach Sonnenuntergang brausen haufenweise Männer auf Motorrädern durch die Gegend, um dem nächtlichen Verlangen zu frönen. Männer und Frauen leben dort nicht zusammen in Partnerschaften. Sie bleiben bei ihren Ursprungsfamilien und die Ehe gilt in dieser Kultur als verpönt. Bei den Mosuo haben übrigens die Frauen das Sagen. Ein Matriarchat.
Und da unsere Kultur an dem Grundsatz der Treue zu zerbrechen scheint, wäre es womöglich Zeit, den Blick zu weiten, das Zeitgemäße der Monogamie zu hinterfragen. Denn Monogamie ist nichts weiter als eine kulturelle Prägung.
Ist Monogamie zeitgemäß? Lieber nicht.
In früheren Kulturen der Jäger und Sammler existierte Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Man teilte sich die Beute genauso wie die Sexualpartner. Mit der Besiedlung des Landes kamen Ressourcenbesitz, Geschlechterhierachien, Erblinien etc. hinzu. Frauen erhielten diesen Zugang zu Ressourcen nur über das Eingehen einer Ehe. Sie wurden zum Besitz eines Mannes, damit dieser die Aufzucht der eigenen Nachkommen sicherstellen konnte. Momentan leben wir also noch in den Ausläufern dieser kulturellen Vergangenheit.
Möglich also, dass wir momentan an einer Schwelle für einen existentiellen Wertewandel stehen, was die lebenslange Ehe betrifft. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Frage, ob Monogamie zeitgemäß ist, tatsächlich erübrigen.