Privatsphäre muss man schätzen lernen

Mann  mit gesenktem Kopf, neben Flaschen

Wenn es jemals cool war, das zu posten, heute ist man damit sofort „raus“. © snapboot under cc

Für ein paar Nerds ist Privatsphäre etwas, worüber sie nie nachdenken, weil sie es als Gewinn sehen, ihr ganzes Leben der digitalen Gemeinde zu präsentieren, wie auch immer man das psychologisch einordnen mag. Doch für die Mehrheit ist Privatsphäre vielleicht noch irgendwie eine durchaus nette Idee, aber wer davon redet, erntet etwas mitleidige Blicke, in der Art von: „Opa redet schon wieder vom Krieg.“

Die Suggestion ist klar: Man opfert ein wenig Privatheit und gewinnt dafür jede Menge Komfort. Man ist nie mehr allein. Allein zu sein, ist eine große Angst und daher ist das Versprechen eines, was zieht. Doch die Erfahrung ist, dass sich Langeweile[link] (ein anderes Missempfinden) auch inmitten von Aktivitäten ausbreiten kann. Dass man zwar nicht allein, aber dennoch einsam ist. Das ist keine neue Erfahrung. Früher hießen die einsamen Kinder Schlüsselkinder, durchgehendes Fernsehprogramm gab es auch nicht, Langeweile war ein bekanntes Gefühl. Heute gibt es das Smartphone, nur das stille Versprechen, dass andauernder Kontakt weniger einsam macht, konnte nicht gehalten werden. Dieser Gewinn ist also schon mal keiner, was bleibt, ist die Macht der Gewohnheit.

Dafür wird die Welt immer mehr zur Bühne, auf der man sich bewähren muss. Lautete die (zur kurz gesprungene) Kritik bislang, man müsse sich für die Arbeitswelt optimieren, muss man das jetzt auch noch privat. Eine gefühlte Selbstverständlichkeit, die sich schleichend, aber immer mehr durchsetzt. In der älteren Generation durch die Angebote fragwürdiger Fernhsehformate, in denen nicht nur singende Superstars gesucht werden, sondern jeder Lebensbereich gevotet wird, von der Hochzeit über den Einkauf bis zum Dinner, wie das Abendessen heute heißt. Überall muss man ein bisschen besser und gewiefter sein. Ein alberner Spleen, konsumiert zur reinen Unterhaltung, der mit dem Leben nichts zu tun hat?

Vielleicht, doch die junge Generation YouTube sieht das anders. Chloe Combi hat sie untersucht und Schlecky Silberstein lässt uns wissen:

„Aber Combi beobachtete noch mehr: Teenager erstellen für sich Markting-Pläne, die der Arbeit professioneller PR-Agenturen in nichts nachstehen. Hierzu müssen wir wissen, dass vor allem 12- bis 16-Jährige den Traumberuf des Vloggers vor Augen haben. Wer diesen Traum leben will, muss ganz früh professionell auftreten. Es gibt verschiedene Artikel, deren Autoren sich mit der Frage beschäftigen, warum Alkohol und Drogen für heutige Teenager erstmals fast gar keine Rolle mehr spielen. Diese auf den ersten Blick positive Tendenz erklärt Combi mit der Angst, die eigene Marke zu beschädigen. In ihrer Befragung hörte Combi immer wieder von der Furcht vor der Bloßstellung. Die Kameras sind überall. Wer einmla betrunken oder unpässlich im Intenet landet, wird zum öffentlichen Gespött. Die Generation Z macht sich keine Illusionen über das Recht am eigenen Bild. Vielmehr gilt das Agreement, in jeder Situation forographiert, gefilmt und öffentlich gemacht werden zu können. In der Folge führen viele Teenager ihr Leben wie Stars: Alles dreht sich darin 24/7 präsentabel zu sein. Auch Textnachrichten werden so formuliert, dass der Empfänger sie jederzeit öffentlich machen kann. Dafür verzichtet die Generation Z auf den Eskapismus, den Vorgänger-Generationen noch im Alkohol und in Drogen gesucht haben.“[3]

Man könnte sagen, dass es doch schön ist, wenn das eigene Kind keinen Unsinn macht und diszipliniert ist, ein Träumchen. Doch Silberstein fährt fort: „Das Ergebnis ist eine Normierung durch gegenseitige Beobachtung, die an den Calvinismus des 17. Jahrhunderts erinnert.“[4]

Kann man so sehen und sehe ich auch so. Glühende Atheisten werden die Erfindung des allsehenden Gotteauges als größten Schachzug zur Kontrolle ansehen, aber gleichzeitig appelliert Religion an ein Ideal, das in der Entwicklung der Menschheit ungeheuer wichtig war und heute stark unterschätzt wird, die Entwicklung der Moral. Die Angst vor der Strafe im Jenseits mag ein Grund gewesen sein, warum Menschen folgsam waren, doch Ideale anzustreben ist etwas anderes, als Strafe zu vermeiden. Die Omnipräsenz der Bildüberwachung ist etwas, von dem die Stasi nur hätte träumen können, nur läuft das heute freiwillig. Vor allem gilt die soziale Kontrolle heute dem Marketing, der Show, der Inszenierung. Wie man ist, ist egal wichtig ist, wie man wirkt.

Ein privater Raum ist längst kassiert, über einem schwebt die beständige Drohung in die Pfanne gehauen zu werden, der Statusverlust. Der Lohn ist nicht das Paradies, sondern gute Verkaufszahlen. Menschliche Beziehungen auf dem Niveau der Kosten-Nutzen-Rechnung sind aber moralisch tief angesiedelt und ohnehin schon der kühle gesellschaftliche Wind, unter dem wir alle leiden. Die zynische Frage, ob es sich lohnt in den oder die zu investieren. Neues Herz, neues Knie? Auf die breite Palette des Gefühlslebens wird auch verzichtet, dem sozialen Status und den Verkaufszahlen zuliebe. Das ist allenfalls die Sparversion des sozialen Miteinanders, ein Leben auf der Abschussliste. Ein Fehler und du bist raus.

Die Daumenschrauben des Perfektionismus werden enger gedreht. Allumfassende Kontrolle in Job und Freizeit, überall geht es um maximale Performance im neuen Digitalistan. Entspannung in einem Raum der Ruhe, einem Bereich ohne Kameras und Zeugen? Immer geringer. Nicht umsonst werden wichtige Notizen heute wieder mit der Hand auf Zettel geschrieben und Gespräche im Wald geführt.

Wie kann es weiter gehen?

Ist diese Summe an unguten Trends noch aufzuhalten und umzudrehen? Es wird schwer. Mehr Medienkompetenz wird gefordert, reicht aber eindeutig nicht gegen die Datensammelwut. Treuherzige Versprechen reichen auch nicht, denn sie werden nicht eingehalten. Es wird gemacht, was geht, nicht nur in der Hölle des Internet. Ein Sinneswandel ohne erheblichen Druck ist ausgeschlossen, zu groß der Profit und wenn ein gutes Geschäft zu machen immer mehr zu dem wird, was zählt, sind die einsamen Rufer in der Wüste chancenlos.

Unsere Abhängigkeit vom Internet wird immer größer. Aber da wir vom Strom auch abhängig sind, weiß ich nicht, inwieweit das ein Argument sein kann. Die Gefahr, dass Daten in die falschen Hände kommen ist hoch, wie man sieht, ist niemand davor sicher. Maximalen Schutz im Internet gibt es nicht, man kommt immer an Daten, an die man nicht kommen sollte, die Folgen sind einfach eine hohe Kriminalität durch Erpressung. Es ist einem vielleicht egal, wenn das irgendwer weiß, aber wenn irgendwer der Chef, Nachbar oder Partner ist, sieht die Sache oft schon anders aus.

Auch die Aussage des ehemaligen Google Chefs Eris Schmidt: „If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.“ („Wenn Sie möchten, dass jemand etwas [über Sie] nicht erfährt, dann sollten Sie es besser überhaupt nicht [online] tun.“)[5], hat den beruhigenden Charme einer Kriegserklärung. Was immer Sie tun, wir werden es vielleicht gegen Sie verwenden, ist die simple und klare Botschaft. Und wenn nicht wir, dann sonst wer.

Das Internet ist eine tolles Medium, an das wir uns alle gewöhnt haben und das noch viel Potential hat, aber eben in beide Richtungen. Wo Facebook nicht ist, ist Google und umgekehrt, die Praktiken sind alle ähnlich. Ein Lösung kommt eher nicht aus der Erklärung guter Absichten, die wird es zwar werbewirksam geben, aber es steht zu befürchten, dass zunächst weiter gemacht wird, wie zuvor. Die Kritik die Facebook erntet könnte ein Auftakt sein oder in weniger Wochen völlig folgenlos verpufft sein, mit dem einzigen Effekt, dass die Datenkraken noch geschickter spähen und manipulieren. Algorithmen werden uns nie komplett ausspähen können, aber der Gedanke, dass es ständig versucht wird und die heute schon bestehenden Gefahren sind einfach eklig und müssen nicht sein. Lösungen werden, wenn überhaupt aus dem technischen Bereich kommen oder in Trends zu scharenweisen Abwanderung und der Installation dezentraler Angebote, jenseits von Facebook und Google.

Denn die wachsende Abhängigkeit von Internet-Großkonzernen führt nicht nur zu Monopolstrukturen, schon heute ist es so, dass die Seite 1 bei Google bestimmt, wer gesehen wird. Ebenso wird ja schon damit experimentiert zahlenden Kunden ein schnelleres Internet zur Verfügung zu stellen. Denkbar wäre auch, dass man die digitale Existenz von jemandem beendet. Man erscheint dann nicht mehr in Suchmaschinen, der Datenfluss ist langsam oder man wird nicht mehr weitergeleitet. Was wäre eigentlich unser Mittel, sie im Ernstfall daran zu hindern?

Quellen