Ein prekäres Thema: Hygiene

Warnschild Altenheim

Ein Schild mit doppelter Bedeutung. © Niels Heidenreich under cc

Hygiene im Krankenhaus ist aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen, weil hier viele kranke Menschen auf engem Raum liegen und demzufolge die Zahl der Keime so hoch ist, wie sonst kaum irgendwo. Weiterhin will man die Keime nicht von einem Patienten zum anderen schleppen und zuletzt wollen Schwestern und Pfleger sich natürlich auch selbst schützen. Hygiene macht nur Sinn, wenn sie sachgerecht durchgeführt wird. Ansonsten schmiert man die Bakterien von links nach rechts oder züchtet immer stärkere Stämme, da diejenigen die eine unzureichende Desinfektion überleben oft die fittesten sind.

Im sterilen Bereichen, wie etwa im OP, sollte eine gute und gründliche Desinfektion Pflicht sein, alles steht und fällt hier mit dem im besten Fall gut geschulten Personal. Auf Krankenstationen ist optimale Hygiene ein Ideal was niemals erreicht werden kann, aus mehreren Gründen. Es kann kann sein, dass Patienten, sich aus verschiedensten Gründen nicht an de Anweisungen halten, zum Beispiel wenn sie wegen eines ansteckenden Keimes das Zimmer nicht verlassen dürfen, es aber dennoch tun. Oder wenn Angehörige auf der Station erscheinen, die sich trotz Anweisung, ebenfalls aus diversen Gründen, nicht an die Anweisungen halten. Oft nicht einmal böswillig, sondern weil sie das Prinzip der Schutzmaßnahmen nicht verstehen und weil sie nett sein wollen, mit dem Kittel und Handschuhen, die eigentlich im isolierten Zimmer entsorgt werden sollten, auf dem Gang stehen, um der Schwester einen Gang zu ersparen. Die Absicht war freundlich, aber die Idee der Isolation ist damit sabotiert.

Die prekären Seiten bei der Hygiene sind sowohl falsche Ängste, als auch falsche Leichtfertigkeit. Manche Angehörige trauen sich, wenn wieder mal eine Doku über sogenannte Krankenhauskeime irgendwo lief, kaum noch zu ihren Angehörigen, manche nehmen das Thema auf die leichte Schulter oder unterschätzen die Bedeutung der Hygienemaßnahmen vollkommen. Eine weitere Quelle der Fehler sind die Pflegekräfte selbst, allerdings sind diese Fehler schwer bis unmöglich zu vermeiden. Theoretisch klingt das alles einfach: Nach jedem Patientenkontakt sind die Hände zu desinfizieren und das bedeutet, wenn man es richtig macht, sie 30 Sekunden lang mit einer Desinfektionslösung gründlich einzureiben, auch an und unter den Nägeln. Man hat ausgerechnet, dass würden die Pflegekräfte das tatsächlich wie vorgeschrieben tun, dabei zwei Stunden pro Schicht allein für die Händedesinfektion benötigt würde.

Und das ist natürlich längst nicht alles: Es kommt auf verschiedenen Stationen und zu verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlich oft vor, dass einzelne Patienten isoliert sind. Das bedeutet für den Alltag auf der Station, dass die Pflegekräfte sich für jeden Patientenkontakt umziehen müssen: Kittel, Mundschutz, Handschuhe und Haube. Das dauert, wenn man geübt ist, etwa eine Minute. Wenn der betreffende Patient beispielsweise Durchfälle hat, hat er diese in der Regel öfter pro Schicht, wenn fünf Patienten isoliert sind und man sechs mal das Zimmer betreten muss, ist allein für die Vorbereitung eine weitere halbe Stunde weg. Auf einer geriatrischen Station, besonders in den Wintermonaten oder auf einer Infektionsstation erhöht sich dieser Wert natürlich noch einmal drastisch.

Der Alltag im Umgang mit dem Patienten

Addiert man die Zeit für Hygiene und Dokumentation, ist man bei ungefähr dreieinhalb Stunden Zeitaufwand pro Schicht angekommen, ohne dass der Patient dabei vorkam. Eigentlich wollen Menschen, die gerne mit anderen Menschen arbeiten und diesen helfen wollen, was ja ein sehr erfreuliches Motiv ist, auch genau das tun. Natürlich kommt auch das vor, nur auf eine andere Art, als man es häufig anfangs dachte. Denn je nach Haus und Station variierend, aber das meiste gilt durchgehend, müssen die Schwestern und Pfleger einige Patienten an- und ausziehen und sie waschen oder duschen, sie eventuell mit Inkontinenzmaterial versorgen, das Bett machen, den Patienten rasieren und kämmen, die Vitalwerte und Blutzucker messen, das Essen verteilen und wieder einsammeln, dem Patienten das Essen anreichen, Medikamente stellen, kontrollieren, verteilen und darauf achten, dass die genommen werden. Infusionen anschließen, Gerinnungshemmer spritzen, neue Patienten aufnehmen und alte entlassen, Transporte organisieren, beim Transfer oder auf die Toilette helfen, telefonieren, bei einigen Patienten einen Dauerkatheter legen und entleeren, Verbände neu machen und auf aktuelle Wünsche, Schmerzen oder Probleme der Patienten eingehen und reagieren, mit Angehörigen reden und sie informieren. Bei Schmerzen etwa eine Bedarfsmedikation aus dem Safe, wobei jede einzelne gegebene Tablette (Pflaster oder Tropfen ebenso) schwererer Schmerzmittel gesondert dokumentiert wird, der gesamte Bestand wird zudem einmal pro Schicht kontrolliert. Hinzu kommen Bettenfahrten, Zimmerwechsel, das Ein- und Auspacken der Kleidung des Patienten, Fahrten zum Röntgen, Abholen neuer Patienten von der Notfallaufnahme, Laboranforderungen und Blutentnahme vorbereiten und auch diese Liste ist unvollständig.

Das was an der Pflege auch wichtig ist und was in der Vorstellung des Berufsbildes häufig im Zentrum steht, wenn man etwas vom empathischen Umgang mit dem Patienten hört, ist ein wenig so, wie man es aus den Arztserien zu kennen glaubt. Man setzt sich zur netten Omi mit Sorgen oder Schmerzen ans Bett, nimmt ihre Hand und sagt ihr: „Nun erzählen Sie mal, was los ist“, nimmt ihre Ängste, Kummer und vielleicht sogar durch Aufmerksamkeit und Zuwendung den Schmerz, was durchaus denkbar wäre. Einige Patienten und Pflegekräfte würden sich wünschen, dem Patienten seine Situation besser erklären zu können, denn für diesen ist der Aufenthalt im Krankenhaus oft neu, ungewohnt und angstbesetzt. Doch die Pflegekräfte bekommen in vielen Fällen genau in jenen Situationen, wenn sie sich zu lange um einen Patienten kümmern, ein schlechtes Gewissen, denn draußen klingelt bereits der nächste Patient, die Arbeit wartet und man will die Kollegin nicht im Stich lassen. Das was mit das Beglückendste des Berufs wäre, dafür fehlt am Ende meistens die Zeit.

Hart an so mancher Grenze

Es ist vor allem das, was frustriert. Die Möglichkeit sich intensiver um gesprächsbedürftige Patienten zu kümmern, kommt auf vielen Stationen so gut wie gar nicht vor, weil man zur Arbeit kommt und im Grunde weiß, dass man den Berg der vor einem liegt kaum bewältigen kann. Da man der nächsten Schicht kein völliges Chaos hinterlassen will, fallen Pausen oft ganz weg oder werden gekürzt, manchmal bleibt man länger als bis zum Ende der Schicht. Die Gewissheit kaum das Wesentliche zu schaffen, von den eigenen Idealen mal ganz abgesehen, ist frustrierend. Man weiß, man könnte und möchte eigentlich mehr, man weiß auch, dass die Patienten mehr erwarten und verdient hätten und das man es nicht leisten kann. Heute nicht und auch morgen nicht. Die Probleme in der Pflege haben auch hier mit zu tun.

Dieser Frust verursacht Stress, dazu kommt, dass immer wieder mit Grenzerfahrungen konfrontiert ist, die Menschen im Alltag kaum erleben. Man hat mit den Ausscheidungen des Körpers zu tun, mit Urin und Kot regelmäßig, mit Erbrochenem, Blut und anderen Seketen häufiger. Vielleicht auch dann, wenn man sich selbst gerade mal kurz zum Essen hingesetzt hat. Das löst Ekel aus, mit dem man klar kommen muss. Man sieht Menschen, die vor Schmerzen schreien, die gerade erfahren haben, dass sie sterben werden, man muss Menschen wiederbeleben und sieht immer wieder Tote. Es sind die Pflegekräfte, die die Toten zurechtmachen und anschließend in die Kühlung bringen.

Man ist überfordert, vier Patienten schellen gleichzeitig, das Telefon klingelt wegen einer Neuaufnahme, ein genervter Angehöriger steht vor einem und der Arzt hat eine Frage. Auch das ist Stress. Man macht Fehler und manche Pflegekräfte liegen nachts wach, weil sie nicht mehr wissen, ob sie etwas vergessen haben. Man muss für kranke Kolleginnen einspringen und hat ohnehin schon wenige sozialen Beziehungen, weil man oft dann arbeiten muss, wenn andere frei haben. Man steht mit einem Bein im Gefängnis, weil Fehler, die in der Überforderung öfter passieren, auch in der Pflege gravierend sein können. Damit muss man klar kommen, selbst wenn man weiß, dass man den Fehler nicht absichtlich begangen hat. Nicht jeder hat die Kraft damit klar zu kommen und einige brennen über die Jahre körperlich und psychisch aus, oft verstärkt dadurch, dass man eine ursprünglich hohe Sozialkompetenz und Mitgefühl hatte und man gerade deshalb weder die Patienten, noch die Kolleginnen im Stich lassen will. Eine hohe Motivation bedeutet oft, eine schnelle und große Enttäuschung zu erleben, so wundert es nicht, dass oftmals die besonders qualifizierten und motivierten Pflegekräfte diejenigen sind, die zuerst wieder gehen. Dabei ist die Lösung keinesfalls utopisch.

Mehr Personal

Unisono ist die erste Forderung die, nach mehr Personal. Dies ist auch richtig so und kein Weg führt daran vorbei. Sehr viele Probleme würden sich gleichzeitig und von selbst erledigen, wenn mehr Personal da wäre und zwar deutlich mehr. Eine Pflegekraft pro Haus mehr, kann nur ein Anfang sein und wäre ansonsten allenfalls ein schlechter Witz. Durch die idiotische Fixierung auf die Kosten, die zum eigentlichen Krebsgeschwür des gesamten medizinischen Systems geworden sind, sind völlig falsche Prioritäten gesetzt worden und durch die Kombination aus den demographischen Faktoren weniger Kinder, plus mehr alte Menschen und dem schrittweisen Abbau an Personal bis an und über die Grenze des Erträglichen und Verantwortbaren, hat man in der ohnehin nicht leichten Situation noch ein Eigentor geschossen.

Dass zunächst jeder nur sich sieht, ist menschlich verständlich. Die Chefs von Krankenhäusern, Altenheimen und Klinikzentren sind heute die Geschäftsführer, die oftmals die Professoren stramm stehen lassen und sie fragen, warum bei ihnen noch soundso viele Operationen fehlen. Normalerweise richtet sich die Zahl der Operationen nach dem Krankheitsbild der Patienten, nicht nach dem Bedarf der Abteilung, ein medizinischer Unsinn, an der Grenze zum Verbrechen, an den wir uns alle viel zu sehr gewöhnt haben. Der Konkurrenzkampf auf dem medizinischen Markt ist enorm und es ist bekannt, dass Jahr um Jahr wieder einige Krankenhäuser, jene, die sich wirtschaftlich nicht lohnen, herausfallen und schließen müssen. Das will natürlich jeder Geschäftsführer für sein Haus vermeiden und der einfachste Weg ist, mehr lukrative Eingriffe und Angebote und weniger Personal. Doch inzwischen ist es ungesunder Punkt erreicht, denn es ist nicht nur so, dass immer mehr Pflegekräfte gehen oder ihre Stundenzahl reduzieren, es kommen auch nicht genügend nach, die den Beruf überhaupt noch ergreifen wollen, weil die Zustände in der Pflege medial verbreitet werden und man sich fragt, warum man sich das antun soll. Selbst wenn man weitere Pflegekräfte einstellen möchte, es wollen gar nicht mehr genügend den Beruf ergreifen.

Mehr Geld

Die Bezahlung ist für examinierte Pflegekräfte aus der Gesundheits- und Krankenpflege gar nicht schlecht, allerdings sind die finanziellen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, auch dadurch, dass mehrfach qualifizierte und fortgebildete Pflegekräfte, wenn sie tatsächlich teurer sind, es oft auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. Anders ist die Lage in der Altenpflege, die oft deutlich schlechter bezahlt wird oder bei privaten Pflegediensten, einige setzen auf Leiharbeiter oder Aushilfskräfte.

Ein Weg zur Aufstockung des Personals muss daher mehr Geld für die Pflegekrafte sein. Romantisierende Vorstellungen davon, dass das Lächeln und der Dank der Menschen doch der größte Lohn sei, mögen insofern stimmen, als viele Pflegekräfte die Forderung nach mehr Lohn gar nicht an erster Stelle haben, sondern sie wollen ihre Arbeit schaffen und dafür mehr, im Idealfall feste Kollegen an ihrer Seite haben, aber ohne mehr Geld ist diese Forderung nicht zu erfüllen, denn mit einem Lächeln kann man seine Miete nicht bezahlen, was wie wir gleich sehen, durchaus ein Thema ist.

In anderen Berufen des medizinischen Systems wird das ebenfalls deutlich, etwa der Physiotherapie. Bislang musste und müssen noch viele Physiotherapeuten ihre Ausbildung selbst mit 400 bis 500 Euro im Monat finanzieren, da die Ausbildung ein full time Job ist, ist es kaum möglich noch nebenher sein Leben zu finanzieren. Inzwischen bieten mehr Schulen die Ausbildung kostenlos an, doch der Lohn in der Brache ist für eine qualifizierte Ausbildung doch eher erschreckend gering und Zusatzqualifikationen schlagen sich finanziell nicht nieder oder machen den Bewerben erneut unattraktiv, da es billigere Kräfte gibt.

Inzwischen ist die Situation so weit eskaliert, dass man mit Prämien versucht ehemalige Pflegekräfte zur Rückkehr zu bewegen. Doch wer sich oft nach langem Ringen entschieden hat, ganz aus dem Beruf auszusteigen, wird nicht wegen einer Einmalprämie von 3000 Euro zurück kommen. Warum auch, die Leute können rechnen. Auf ein Jahr gerechnet sind das 250 Euro mehr pro Monat, aber auch nur ein Jahr lang. Auf 10 Jahre gerechnet, sind es gerade noch 25 Euro. Brisant auch die Situation in München. Dort fehlen inzwischen Pflegekräfte, weil sie sich die hohen Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können. In der Folge ziehen sie entweder in die immer noch teure Peripherie oder gleich in eine anderen Stadt, wo sie dann allerdings auch arbeiten, statt täglich 100 Kilometer zur Arbeit zu fahren. Als Reaktion zahlt das Städtische Klinikum München inzwischen eine Prämie von 8000 Euro für Krankenpfleger, was allerdings bei exorbitanten Mieten auch nicht lange vorhält. Aber die andauernde Verschiebung des Mangels ist auch keine Lösung, in einigen ländlichen Regionen findet man nicht mal mehr jemanden, der hier Hausarzt sein möchte und die kleinen Krankenhäuser in der Nähe schließen immer mehr, zugunsten großer Klinikzentren, die sicher ihren Sinn haben, weil man hier routinierter arbeitet, aber in der Fläche ist das keine gute Entwicklung.