
Ein Sinnbild für die Situation in der Pflege? © zeitfaenger.at under cc
Dass es Probleme in der Pflege gibt, hört sich zunächst nach einer bedauerlichen Entwicklung für einen bestimmten Berufsstand an, aber warum sollte uns das in der Breite interessieren? Die Antwort ist einfach: Das Thema betrifft uns so gut wie alle. Zum einen, weil Pflege in viele Richtungen aufgespalten ist. Es gibt neben der Alten- und Krankenpflege in speziellen Altenheimen und Krankenhäusern, auch noch die häusliche Pflege, sowie spezialisierte Bereiche wie die Pflege beatmeter Menschen, Intensivpflege, Kinderpflege, Akutmedizin (Notaufnahme), Pflege im Kontext Operation, Anästhesie, Geriatrie, Palliativmedizin sowie bei Schwangerschaft und Geburten und manches mehr. Mit anderen Worten: Jeder von uns kann zu jeder Zeit in die Situation kommen auf Pflege angewiesen zu sein, nicht erst im fortgeschrittenen Alter. Doch es gibt noch einen anderen, tieferen Grund.
Demographie und ihre vielen Aspekte
Wir haben das Thema Demographie schon mehrmals erörtert, es hat im wesentlichen zwei Arme, einmal das Problem eines starken Geburtenüberschusses in einer sozialen Gemeinschaft, die ab einem gewissen Prozentsatz und Lebensalter als Youth Bulge bezeichnet wird und zu eigenen Problemen führt, die uns hier nicht zu interessieren brauchen. Für unser Thema ist der andere Arm interessant, der in einer sarkastischen Formulierung Gunnar Heinsohns Schrumpfvergreisung genannnt wird und diese Probleme hängen zentral mit unserem Thema zusammen.
Schrumpfvergreisung bedeutet ausformuliert, dass es immer mehr alte Menschen gibt, die dankenswerterweise immer älter werden, dabei auch immer fitter bleiben, aber dennoch ist und bleibt es statistisch so, dass Krankheit und Pflegebedürftigkeit ein Phänomen der älteren Menschen darstellt. Und da die Gesellschaft statistisch immer älter wird, gibt es auch immer mehr pflegebedürftige Menschen. Das ist aber nicht der einzige Effekt, denn gleichzeitig ist die Zahl der Geburten bei uns konstant niedrig. Ob nun 1,3 oder 1,6 Kinder pro Frau geboren werden, ist im Kern unerheblich, weil in jedem Fall zu wenig. 2,1 Kinder pro Frau braucht eine Bevölkerung um demographsich stabil zu bleiben. Da diese Zahlen wenigen etwas sagen, sind andere aussagekräftiger: 1818 kamen in Deutschland auf 1000 Einwohner 45 neugeborene Kinder, 1900 waren es 36, 1939 dann 19 und 2009 gerade noch 8.[1] Das hat zum einen Auswirkungen auf die Renten, denn wenn immer weniger junge Menschen, die Renten für immer mehr und immer langlebigere alte Menschen stemmen müssen, dann ist das schwer zu schaffen. Aber das ist ein eigenes Thema.
Für die Situation in der Pflege hat es jedoch auch Auswirkungen, denn praktisch bedeutet es, dass die alleinerziehende Mutter, die arbeiten geht, am Feierabend ihre Eltern pflegt. Doch auch wenn eine Familie vorhanden ist, bleibt die Pflege häufig bei den Frauen hängen und es kommt in vielen Familien vor, dass die Großeltern oder Eltern gepflegt werden müssen, sehr häufig mit gravierenden Auswirkungen auf die eigene Freizeit, Gesundheit, sozialen Beziehungen und Finanzen.
Da ist es gut, dass es Profis gibt, die bei der Pflege helfen, aber der demographische Wandel hat eben auch zur Folge, dass bei den immer selteneren Kindern, immer weniger in die Pflege gehen und da sich die sehr angespannte Situation in der Pflege nun auch immer stärker medial herumspricht, haben noch weniger den Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen.
Ein schöner Beruf!?
Dabei ist es ein vielfältiger und schöner Beruf, es könnte zumindest einer sein. Verantwortung, soziale Kompetenz, kommunikative Fähigkeiten, Empathie, Spaß an der Arbeit mit Menschen, Bereitschaft dazuzulernen, manuelle Geschicklichkeit, Teamfähigkeit, sowie psychische und körperliche Belastbarkeit sind die Voraussetzungen für diesen Beruf. Das ist so abwechslungsreich wie es sich anhört, wäre da nicht der mitunter miserable Personalschlüssel. Das bedeutet, dass die Arbeit, die früher sechs oder acht Schwestern und Pfleger machten, heute von der Hälfte des Personals erledigt wird, Tendenz sinkend, solange es irgendwie noch gut geht. Dass es irgendwie immer noch gut geht, hängt zu einem nicht unbeträchtlichen Maße mit der Bereitschaft der Pflegekräfte zusammen, an die Grenzen der Belastung und öfter auch mal darüber hinaus zu gehen.
Da liegt die Lösung auf der Hand, man muss einfach nur mehr Personal einstellen. So weit, so gut, so richtig und so naiv. Denn natürlich ist das auch vorher schon jedem klar gewesen und so ist der Abbau der Personals kein dummer Zufall, sonder er hat System. Personal ist teuer, dort zu sparen heißt am effektivsten zu sparen und darum tat man genau das all die Jahre lang, sehenden Auges, auch deshalb, weil viele Krankenhäuser, Altenheime und private Pflegeunternehmen finanziell aus dem letzten Loch pfeifen und einem Verdrängungswettbewerb unterliegen. So werden immer mehr kleine Krankenhäuser zugunsten großer Klinikzentren geschlossen, in jeder Runde erwischt es wieder welche und man hofft, so lange wie möglich nicht dazuzugehhören. Dafür müssen die Zahlen stimmen.
Nun muss man fair sein und feststellen, dass das Berufsbild in der Pflege sich dramatisch geändert hat. Ich hatte die Gelegenheit mich mit Krankenschwestern und -pflegern zu unterhalten, die vor Jahren oder Jahrzehnten in der Pflege arbeiteten. Zu den Tätigkeiten in früheren Zeiten gehörte noch, zusätzlich zur Pflege, Essen kochen, Brote schmieren, Knöpfe annähen und Löcher in der Krankenhauswäsche stopfen. Geelgentlich ging man für die Patienten einkaufen. Diese Tätigkeiten sind heute vollständig in eigene Bereiche ausgelagert, statt dessen übernehmen Schwestern und Pfleger immer mehr ärztliche Tätigkeiten, wie Blut abnehmen, vor allem aber kommt es zu einer sehr umfangreichen Dokumentation all dessen, was man gemacht hat. Nun kann man denken: „Na ja gut, arbeiten müssen wir alle, was ist da so besonders, wenn sich das Berufsbild ändert, man ein paar Zeilen schreibt oder sich zwischendurch mal die Hände desinfiziert?“ Doch gerade am vergleichsweise Normalen und Alltäglichen kann man verstehen, warum so viele den Beruf wieder verlassen, obwohl sie hoch motiviert waren, als sie damit anfingen.
Dokumentation
Die Dokumentation hat mehrere Funktionen. Zum einen will man den Verlauf der Krankheit oder Heilung eines Patienten vor Augen haben. Zudem kann man nur abrechnen, was auch dokumentiert ist, insofern besteht ein hohes Interesse daran, dass auch tatsächlich dokumentiert wird und der nächste Aspekt ist, dass man sich durch eine im Idealfall lückenlose Dokumentation auf eventuelle Nachfragen, bis hin zu juristischen Streitfällen vorbereitet.
Darum dokumentiert man alles: Blutdruck, Puls und Temperatur, Schmerzen, allgemeines Befinden, ob der Patient abgeführt hat, Blutzucker, welche Medikamente er wann erhalten hat, als Tablette, Brause, per Infusion, Spritze unter die Haut oder wie auch immer sonst. Allein sechs DIN A 4 Seiten umfasst eine Liste zum abhaken, der häufigsten Routineleistungen. Gewohnheitsmäßig wird jeder Patient pflegerisch aufgenommen, dabei wird er zu den wichtigste pflegerelevanten Dingen befragt, wie gut er sich bewegen kann und wie selbstständig er im Normalfall ist. Nach Schlaf-, Ess- und Trinkgewohnheiten wird gefragt, ob Vorerkrankungen oder Allergien bekannt sind, welche Hilfsmittel er braucht und so weiter.
Dann werden BMI, Sturzrisiko erfasst und dokumentiert, bei einigen Patienten wird ein Lagerungsprotokoll angelegt, wenn sie sich selbst nicht bewegen können, um zu dokumentieren, dass man etwas gegen das potentielle und gefürchtete Wundliegen unternímmt. Es können Ess- und Trinkprotokolle angelegt werden, bei denen dann alles dokumentiert wird, was der Patient isst und ausscheidet, in Sonderfällen (etwa nach einem Sturz) kann es vorkommen, dass die Vitalwerte des Patienten mehrfach, manchmal stündlich überprüft werden. Gibt es besondere Vorkommnisse, erstellt man zum Beispiel ein Sturzprotokoll und man schreibt über das, was am Patienten auffällt, einen kurzen Freitext. Laboruntersuchungen werden vorbereitet, die aktuellen Anweisungen des Arztes ausgearbeitet, in die Patientenkurve übertragen und das ist längst nicht alles und keinesfalls eine Sondersituation. All das ist die Arbeit, die pro Patient anfällt.
Ein prekäres Thema: Hygiene

Ein Schild mit doppelter Bedeutung. © Niels Heidenreich under cc
Hygiene im Krankenhaus ist aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen, weil hier viele kranke Menschen auf engem Raum liegen und demzufolge die Zahl der Keime so hoch ist, wie sonst kaum irgendwo. Weiterhin will man die Keime nicht von einem Patienten zum anderen schleppen und zuletzt wollen Schwestern und Pfleger sich natürlich auch selbst schützen. Hygiene macht nur Sinn, wenn sie sachgerecht durchgeführt wird. Ansonsten schmiert man die Bakterien von links nach rechts oder züchtet immer stärkere Stämme, da diejenigen die eine unzureichende Desinfektion überleben oft die fittesten sind.
Im sterilen Bereichen, wie etwa im OP, sollte eine gute und gründliche Desinfektion Pflicht sein, alles steht und fällt hier mit dem im besten Fall gut geschulten Personal. Auf Krankenstationen ist optimale Hygiene ein Ideal was niemals erreicht werden kann, aus mehreren Gründen. Es kann kann sein, dass Patienten, sich aus verschiedensten Gründen nicht an de Anweisungen halten, zum Beispiel wenn sie wegen eines ansteckenden Keimes das Zimmer nicht verlassen dürfen, es aber dennoch tun. Oder wenn Angehörige auf der Station erscheinen, die sich trotz Anweisung, ebenfalls aus diversen Gründen, nicht an die Anweisungen halten. Oft nicht einmal böswillig, sondern weil sie das Prinzip der Schutzmaßnahmen nicht verstehen und weil sie nett sein wollen, mit dem Kittel und Handschuhen, die eigentlich im isolierten Zimmer entsorgt werden sollten, auf dem Gang stehen, um der Schwester einen Gang zu ersparen. Die Absicht war freundlich, aber die Idee der Isolation ist damit sabotiert.
Die prekären Seiten bei der Hygiene sind sowohl falsche Ängste, als auch falsche Leichtfertigkeit. Manche Angehörige trauen sich, wenn wieder mal eine Doku über sogenannte Krankenhauskeime irgendwo lief, kaum noch zu ihren Angehörigen, manche nehmen das Thema auf die leichte Schulter oder unterschätzen die Bedeutung der Hygienemaßnahmen vollkommen. Eine weitere Quelle der Fehler sind die Pflegekräfte selbst, allerdings sind diese Fehler schwer bis unmöglich zu vermeiden. Theoretisch klingt das alles einfach: Nach jedem Patientenkontakt sind die Hände zu desinfizieren und das bedeutet, wenn man es richtig macht, sie 30 Sekunden lang mit einer Desinfektionslösung gründlich einzureiben, auch an und unter den Nägeln. Man hat ausgerechnet, dass würden die Pflegekräfte das tatsächlich wie vorgeschrieben tun, dabei zwei Stunden pro Schicht allein für die Händedesinfektion benötigt würde.
Und das ist natürlich längst nicht alles: Es kommt auf verschiedenen Stationen und zu verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlich oft vor, dass einzelne Patienten isoliert sind. Das bedeutet für den Alltag auf der Station, dass die Pflegekräfte sich für jeden Patientenkontakt umziehen müssen: Kittel, Mundschutz, Handschuhe und Haube. Das dauert, wenn man geübt ist, etwa eine Minute. Wenn der betreffende Patient beispielsweise Durchfälle hat, hat er diese in der Regel öfter pro Schicht, wenn fünf Patienten isoliert sind und man sechs mal das Zimmer betreten muss, ist allein für die Vorbereitung eine weitere halbe Stunde weg. Auf einer geriatrischen Station, besonders in den Wintermonaten oder auf einer Infektionsstation erhöht sich dieser Wert natürlich noch einmal drastisch.
Der Alltag im Umgang mit dem Patienten
Addiert man die Zeit für Hygiene und Dokumentation, ist man bei ungefähr dreieinhalb Stunden Zeitaufwand pro Schicht angekommen, ohne dass der Patient dabei vorkam. Eigentlich wollen Menschen, die gerne mit anderen Menschen arbeiten und diesen helfen wollen, was ja ein sehr erfreuliches Motiv ist, auch genau das tun. Natürlich kommt auch das vor, nur auf eine andere Art, als man es häufig anfangs dachte. Denn je nach Haus und Station variierend, aber das meiste gilt durchgehend, müssen die Schwestern und Pfleger einige Patienten an- und ausziehen und sie waschen oder duschen, sie eventuell mit Inkontinenzmaterial versorgen, das Bett machen, den Patienten rasieren und kämmen, die Vitalwerte und Blutzucker messen, das Essen verteilen und wieder einsammeln, dem Patienten das Essen anreichen, Medikamente stellen, kontrollieren, verteilen und darauf achten, dass die genommen werden. Infusionen anschließen, Gerinnungshemmer spritzen, neue Patienten aufnehmen und alte entlassen, Transporte organisieren, beim Transfer oder auf die Toilette helfen, telefonieren, bei einigen Patienten einen Dauerkatheter legen und entleeren, Verbände neu machen und auf aktuelle Wünsche, Schmerzen oder Probleme der Patienten eingehen und reagieren, mit Angehörigen reden und sie informieren. Bei Schmerzen etwa eine Bedarfsmedikation aus dem Safe, wobei jede einzelne gegebene Tablette (Pflaster oder Tropfen ebenso) schwererer Schmerzmittel gesondert dokumentiert wird, der gesamte Bestand wird zudem einmal pro Schicht kontrolliert. Hinzu kommen Bettenfahrten, Zimmerwechsel, das Ein- und Auspacken der Kleidung des Patienten, Fahrten zum Röntgen, Abholen neuer Patienten von der Notfallaufnahme, Laboranforderungen und Blutentnahme vorbereiten und auch diese Liste ist unvollständig.
Das was an der Pflege auch wichtig ist und was in der Vorstellung des Berufsbildes häufig im Zentrum steht, wenn man etwas vom empathischen Umgang mit dem Patienten hört, ist ein wenig so, wie man es aus den Arztserien zu kennen glaubt. Man setzt sich zur netten Omi mit Sorgen oder Schmerzen ans Bett, nimmt ihre Hand und sagt ihr: „Nun erzählen Sie mal, was los ist“, nimmt ihre Ängste, Kummer und vielleicht sogar durch Aufmerksamkeit und Zuwendung den Schmerz, was durchaus denkbar wäre. Einige Patienten und Pflegekräfte würden sich wünschen, dem Patienten seine Situation besser erklären zu können, denn für diesen ist der Aufenthalt im Krankenhaus oft neu, ungewohnt und angstbesetzt. Doch die Pflegekräfte bekommen in vielen Fällen genau in jenen Situationen, wenn sie sich zu lange um einen Patienten kümmern, ein schlechtes Gewissen, denn draußen klingelt bereits der nächste Patient, die Arbeit wartet und man will die Kollegin nicht im Stich lassen. Das was mit das Beglückendste des Berufs wäre, dafür fehlt am Ende meistens die Zeit.
Hart an so mancher Grenze
Es ist vor allem das, was frustriert. Die Möglichkeit sich intensiver um gesprächsbedürftige Patienten zu kümmern, kommt auf vielen Stationen so gut wie gar nicht vor, weil man zur Arbeit kommt und im Grunde weiß, dass man den Berg der vor einem liegt kaum bewältigen kann. Da man der nächsten Schicht kein völliges Chaos hinterlassen will, fallen Pausen oft ganz weg oder werden gekürzt, manchmal bleibt man länger als bis zum Ende der Schicht. Die Gewissheit kaum das Wesentliche zu schaffen, von den eigenen Idealen mal ganz abgesehen, ist frustrierend. Man weiß, man könnte und möchte eigentlich mehr, man weiß auch, dass die Patienten mehr erwarten und verdient hätten und das man es nicht leisten kann. Heute nicht und auch morgen nicht. Die Probleme in der Pflege haben auch hier mit zu tun.
Dieser Frust verursacht Stress, dazu kommt, dass immer wieder mit Grenzerfahrungen konfrontiert ist, die Menschen im Alltag kaum erleben. Man hat mit den Ausscheidungen des Körpers zu tun, mit Urin und Kot regelmäßig, mit Erbrochenem, Blut und anderen Seketen häufiger. Vielleicht auch dann, wenn man sich selbst gerade mal kurz zum Essen hingesetzt hat. Das löst Ekel aus, mit dem man klar kommen muss. Man sieht Menschen, die vor Schmerzen schreien, die gerade erfahren haben, dass sie sterben werden, man muss Menschen wiederbeleben und sieht immer wieder Tote. Es sind die Pflegekräfte, die die Toten zurechtmachen und anschließend in die Kühlung bringen.
Man ist überfordert, vier Patienten schellen gleichzeitig, das Telefon klingelt wegen einer Neuaufnahme, ein genervter Angehöriger steht vor einem und der Arzt hat eine Frage. Auch das ist Stress. Man macht Fehler und manche Pflegekräfte liegen nachts wach, weil sie nicht mehr wissen, ob sie etwas vergessen haben. Man muss für kranke Kolleginnen einspringen und hat ohnehin schon wenige sozialen Beziehungen, weil man oft dann arbeiten muss, wenn andere frei haben. Man steht mit einem Bein im Gefängnis, weil Fehler, die in der Überforderung öfter passieren, auch in der Pflege gravierend sein können. Damit muss man klar kommen, selbst wenn man weiß, dass man den Fehler nicht absichtlich begangen hat. Nicht jeder hat die Kraft damit klar zu kommen und einige brennen über die Jahre körperlich und psychisch aus, oft verstärkt dadurch, dass man eine ursprünglich hohe Sozialkompetenz und Mitgefühl hatte und man gerade deshalb weder die Patienten, noch die Kolleginnen im Stich lassen will. Eine hohe Motivation bedeutet oft, eine schnelle und große Enttäuschung zu erleben, so wundert es nicht, dass oftmals die besonders qualifizierten und motivierten Pflegekräfte diejenigen sind, die zuerst wieder gehen. Dabei ist die Lösung keinesfalls utopisch.
Mehr Personal
Unisono ist die erste Forderung die, nach mehr Personal. Dies ist auch richtig so und kein Weg führt daran vorbei. Sehr viele Probleme würden sich gleichzeitig und von selbst erledigen, wenn mehr Personal da wäre und zwar deutlich mehr. Eine Pflegekraft pro Haus mehr, kann nur ein Anfang sein und wäre ansonsten allenfalls ein schlechter Witz. Durch die idiotische Fixierung auf die Kosten, die zum eigentlichen Krebsgeschwür des gesamten medizinischen Systems geworden sind, sind völlig falsche Prioritäten gesetzt worden und durch die Kombination aus den demographischen Faktoren weniger Kinder, plus mehr alte Menschen und dem schrittweisen Abbau an Personal bis an und über die Grenze des Erträglichen und Verantwortbaren, hat man in der ohnehin nicht leichten Situation noch ein Eigentor geschossen.
Dass zunächst jeder nur sich sieht, ist menschlich verständlich. Die Chefs von Krankenhäusern, Altenheimen und Klinikzentren sind heute die Geschäftsführer, die oftmals die Professoren stramm stehen lassen und sie fragen, warum bei ihnen noch soundso viele Operationen fehlen. Normalerweise richtet sich die Zahl der Operationen nach dem Krankheitsbild der Patienten, nicht nach dem Bedarf der Abteilung, ein medizinischer Unsinn, an der Grenze zum Verbrechen, an den wir uns alle viel zu sehr gewöhnt haben. Der Konkurrenzkampf auf dem medizinischen Markt ist enorm und es ist bekannt, dass Jahr um Jahr wieder einige Krankenhäuser, jene, die sich wirtschaftlich nicht lohnen, herausfallen und schließen müssen. Das will natürlich jeder Geschäftsführer für sein Haus vermeiden und der einfachste Weg ist, mehr lukrative Eingriffe und Angebote und weniger Personal. Doch inzwischen ist es ungesunder Punkt erreicht, denn es ist nicht nur so, dass immer mehr Pflegekräfte gehen oder ihre Stundenzahl reduzieren, es kommen auch nicht genügend nach, die den Beruf überhaupt noch ergreifen wollen, weil die Zustände in der Pflege medial verbreitet werden und man sich fragt, warum man sich das antun soll. Selbst wenn man weitere Pflegekräfte einstellen möchte, es wollen gar nicht mehr genügend den Beruf ergreifen.
Mehr Geld
Die Bezahlung ist für examinierte Pflegekräfte aus der Gesundheits- und Krankenpflege gar nicht schlecht, allerdings sind die finanziellen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, auch dadurch, dass mehrfach qualifizierte und fortgebildete Pflegekräfte, wenn sie tatsächlich teurer sind, es oft auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. Anders ist die Lage in der Altenpflege, die oft deutlich schlechter bezahlt wird oder bei privaten Pflegediensten, einige setzen auf Leiharbeiter oder Aushilfskräfte.
Ein Weg zur Aufstockung des Personals muss daher mehr Geld für die Pflegekrafte sein. Romantisierende Vorstellungen davon, dass das Lächeln und der Dank der Menschen doch der größte Lohn sei, mögen insofern stimmen, als viele Pflegekräfte die Forderung nach mehr Lohn gar nicht an erster Stelle haben, sondern sie wollen ihre Arbeit schaffen und dafür mehr, im Idealfall feste Kollegen an ihrer Seite haben, aber ohne mehr Geld ist diese Forderung nicht zu erfüllen, denn mit einem Lächeln kann man seine Miete nicht bezahlen, was wie wir gleich sehen, durchaus ein Thema ist.
In anderen Berufen des medizinischen Systems wird das ebenfalls deutlich, etwa der Physiotherapie. Bislang musste und müssen noch viele Physiotherapeuten ihre Ausbildung selbst mit 400 bis 500 Euro im Monat finanzieren, da die Ausbildung ein full time Job ist, ist es kaum möglich noch nebenher sein Leben zu finanzieren. Inzwischen bieten mehr Schulen die Ausbildung kostenlos an, doch der Lohn in der Brache ist für eine qualifizierte Ausbildung doch eher erschreckend gering und Zusatzqualifikationen schlagen sich finanziell nicht nieder oder machen den Bewerben erneut unattraktiv, da es billigere Kräfte gibt.
Inzwischen ist die Situation so weit eskaliert, dass man mit Prämien versucht ehemalige Pflegekräfte zur Rückkehr zu bewegen. Doch wer sich oft nach langem Ringen entschieden hat, ganz aus dem Beruf auszusteigen, wird nicht wegen einer Einmalprämie von 3000 Euro zurück kommen. Warum auch, die Leute können rechnen. Auf ein Jahr gerechnet sind das 250 Euro mehr pro Monat, aber auch nur ein Jahr lang. Auf 10 Jahre gerechnet, sind es gerade noch 25 Euro. Brisant auch die Situation in München. Dort fehlen inzwischen Pflegekräfte, weil sie sich die hohen Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können. In der Folge ziehen sie entweder in die immer noch teure Peripherie oder gleich in eine anderen Stadt, wo sie dann allerdings auch arbeiten, statt täglich 100 Kilometer zur Arbeit zu fahren. Als Reaktion zahlt das Städtische Klinikum München inzwischen eine Prämie von 8000 Euro für Krankenpfleger, was allerdings bei exorbitanten Mieten auch nicht lange vorhält. Aber die andauernde Verschiebung des Mangels ist auch keine Lösung, in einigen ländlichen Regionen findet man nicht mal mehr jemanden, der hier Hausarzt sein möchte und die kleinen Krankenhäuser in der Nähe schließen immer mehr, zugunsten großer Klinikzentren, die sicher ihren Sinn haben, weil man hier routinierter arbeitet, aber in der Fläche ist das keine gute Entwicklung.
Privatisierungen haben sich selten bewährt

Auf Notfälle muss man in der Pflege immer vorbereitet sein … und inzwischen ist sie selbst einer. © Rosmarie Voegtli under cc
Das Pflegesystem eng mit dem Aspekt Wirtschaftlichkeit zu verknüpfen ist etwas, was sich so gut wie nie bewährt hat. Es kann nicht darum gehen, aus Patienten möglichst viel Geld herauszupressen, wie es derzeit durch überflüssige Operationen, nutzlose IGeL Produkte und Sparen am Personal geschieht. Alle Unternehmen, die mit der Pflege gut verdienen haben, sind oft wegen gravierender Mängel ins Gerede gekommen.
Geradezu grauenhaft ist die Situation zu nennen, dass sich amerikanische Hedgefonds deutsche Altenheime kaufen. Das Modell der Hedgefonds ist immer gleich, ein Unternehmen kaufen und durch das Verscherbeln des Tafelsilbers oder geschickte Umlaugen und Personalabbau in den Bilanzen das Unternehmen für kurze Zeit gut dastehen lassen und es dann wieder verkaufen. Für die ohnehin sehr angespannte Situation in Altenheimen ist das ein Desaster. Das sind jene Orte in denen unsere Großeltern und Eltern mitunter leben, die sündhaft teuer sind und in denen die Pflege wegen des Personalschlüssels vernachlässigt werden muss.
Und Probleme in der Pflege sind, wie eingangs erwähnt, kein Thema eines Berufsstandes, sondern ein gesellschaftliches Thema. Wir alle müssen uns klar machen, was wir gesellschaftlich in diesem Punkt wollen. Unser medizinisches, pflegerisches und soziales System ist im Vergleich mit anderen Ländern eines, was sich sehen lassen kann, ein Grund mehr, es nicht sehenden Auges vor die Hunde gehen zu lassen. Wer in Amerika krank ist und kein Geld hat, hat ganz andere Sorgen.
Es ist die Frage, ob wir wirklich eine Gesellschaft sein wollen, in der man sich demnächst immer offener utilitaristisch fragt, ob es sich noch lohnt, dies oder das für einen Menschen auszugeben. Gerade wenn man uns unablässig erzählt, wie viel Geld wir haben, sollte man es sich leisten, eine Gesellschaft zu sein, in der Gleichheit und Würde mehr als nur schöne Worte sind und vor allem bleiben. Geld und Ethos sollte man also nicht gegeneinander ausspielen, wenn man nicht eine Situation provozieren will, in der die Pflege mit immer mehr Billigkräften durchgeführt wird, die für Geld oder aus Not alles tun.
Häusliche Pflege
Wenn unsere Angehörigen nur notdürftig versorgt werden, weil gerade auch in der häuslichen Pflege Zeit- und Kostendruck enorm sind, ist es praktisch so, dass doch wieder viel an uns privat hängen bleibt. Das war die Situation, die eingangs beschrieben wurde und die oft mit einer Menge Leid und Entbehrungen verbunden ist. Entweder man muss sich selbst aufopfern oder die Angehörigen, oft mit schlechtem Gewissen in ein Heim ‚abschieben‘. Längst wird das durch einen grauen Markt an osteuropäischen Frauen kompensiert, die zwar keine Pflegekräfte sind, aber sich privat etwas dazu verdienen und in vielen Fällen unendlich wertvolle Hilfe leisten. Aber auch das ist nicht ohne Geld zu haben und mitunter können diese Menschen auch nicht die ganze Arbeit übernehmen.
Wohl dem, der 500 Kilometer weit von den Eltern weg wohnt und genügend Geld hat, könnte man sagen. Nur ist das für dessen Eltern eben nicht immer so gut, denn Kontrolle durch körperliche Präsenz ist noch immer der beste Garant, damit man im Altenheim nicht untergeht. Häusliche Pflege ist eine Alternative und im Allgemeinen eine der unbeliebtesten Arbeiten in der Pflege, weil die Situation oft so ist, dass die Pflegekräfte mit dem Auto und von vorn herein unrealistischen Fahrtzeiten, die viel zu knapp bemessen sind von Patient zu Patient fahren, dort häufig zu spät kommen, was die Laune der Patienten nicht unbedingt steigert und oft noch Anrufe von ihrem Büro bekommen, mit der Frage, wo sie denn bleiben und warum sie denn so lange brauchen. Dennoch, es gibt auch hier Pflegekräfte, die die Unabhängigkeit dieser Art zu arbeiten schätzen und die Chefs haben, die sie nicht drangsalieren. Hat man dann noch ’seine‘ Patienten stellt sich eine gewisse Routine ein, die für beide Seiten vorteilhaft sein kann, aber natürlich auch Gefahren mit sich bringt, kann das Spaß machen, wenn man gerne eigenverantwortlich arbeitet. Insgesamt ist die häusliche Pflege für Patienten oft der Einstieg in den dauerhaften Kontakt mit dem Pflegesystem.
Neu denken, anderes denken
Neben dem Punkt, dass wir klären müssen, ob wir wirklich wollen, dass wir unser medizinisches und pflegerisches System komplett den Spielregeln der Wirtschaft überlassen und ich würde dazu raten, da noch mal sehr genau hinzuschauen, ist es durchaus sinnvoll, in einem größeren Kontext anders zu denken. Es wäre nicht schlecht auch den ‚Wert‘ alter Menschen anders zu berechnen, als dadurch, was sie verdienen, noch an Guthaben besitzen oder kosten. In so einem Klima kann man nur depressiv werden, wenn das Höchste was man leisten kann, das ist, nur ja niemandem zur Last zu fallen. Ich sagen das ausdrücklich vor dem Hintergrund, dass ich ansonsten eine einpolige Kritik am Kapitalismus oder Neoliberalismus, der dann für alle Über dieser Welt geradezustehen hat, ablehne, wie in Narzissmus in der Gesellschaft ausgeführt.
Der Respekt vor dem Alter ist uns, wie überhaupt viele Formen des Respekts abhanden gekommen. Auch die Altenheime der Zukunft könnten und sollten anders aussehen. Tendenziell lieber mit Internetanschluss, Musikinstrumenten, Tieren, Rotwein und Yogakurs als mit einer Kasernierung mit Menschen, mit denen kaum mehr ein intellektueller Austausch möglich ist. Das wird auch durch Spieleabende und Volksmusik nicht kompensiert. Vielleicht sind Alt und Jung WGs oder Wohnzentren da eine bessere Option. Das ist nicht die Lösung für alles, soll es aber auch nicht sein, sondern ein Stein in einem neuen Gebäude.
Im Internetzeitalter bedeutet schlechter Service längerfristig ist ein Verlust Image und Geld, umso mehr, wenn es auch Unternehmen gibt, die sich bemühen und guten Service anbieten. Doch noch kommt man mit miserabler Qualität durch, weil die Angehörigen, die plötzlich mit der Situation konfrontiert sind, oft überfordert sind. Sie sind froh, irgendeinen Platz zu bekommen, haben oft ein schlechtes Gewissen und sich vorher nicht informiert, auch, weil das Thema keines ist, worüber man sich in der Familie gerne unterhält. Hier können gegenseitige Ängste und Befürchtungen jedoch oft und vergleichsweise leicht abgebaut werden, indem man drüber redet. Der Nachteil ist, dass man nicht weiß, was kommt und wie man alt wird. Die Onlinewelt bietet demnächst aber auch neue Möglichkeiten der Hilfe im eigenen Haus, die Zukunft wird zeigen, wohin die Entwicklung geht.
Wie kann man die Löcher stopfen?
Schnell wird sich das Kind nicht aus dem Brunnen ziehen lassen. Mit Prämien erreicht man einige wenige, das Berufsbild muss insgesamt attraktiver werden. Vielfältig und erfüllend ist der Beruf, wenn man eine Neigung dazu verspürt. Die motivierten jungen Menschen nicht systematisch zu demotivieren, wäre ein Anfang. Mehr Kollegen, mehr Geld, anders wird es nicht gehen. Da man sich Pflegerinnen nicht aus den Rippen schneiden kann, ist eine Überlegung, ob nicht ein Teil der Migranten Pflegekräfte werden können. Da die Migranten aber überwiegend Männer sind, Pflege aber noch immer in stärkerem Maße von Frauen durchgeführt wird, ist die Zahl hier eher begrenzt, weiter ist die Sprachbarriere zu beachten, in einem Bereich in dem Kommunikation wichtig ist. In der Not geht es das, wie manchmal bei den osteuropäischen Hilfskräften sichtbar wird, also wäre auch das eine ergänzende Möglichkeit.
Immer wieder hört man von Robotern der Pflege, aber auch das muss man wollen und was in Japan kulturell goutiert wird, muss hier nicht mit der selben Begeisterung aufgenommen werden. Roboter können manche Arbeiten übernehmen und gerade beim Tabletten stellen und ähnlichen Routinearbeiten wäre digitale oder robotoide Unterstützung denkbar und vielleicht sogar wünschenswert, aber insgesamt wird der Mensch in der Pflege noch sehr lange Zeit unersetzbar sein, weshalb die Branche krisensicher ist und Zukunft hat.
Die Probleme in der Pflege werden uns schon allein aufgrund der demographischen Entwicklung noch lange Zeit begleiten und genau diese Veränderung und ein schleichendes Wegbrechen der Familien, eine größere Zahl arbeitender Frauen, lässt die Probleme in diesem Bereich wachsen. Sie betreffen viele Familien, was durchaus eine Chance sein, aber auch schief gehen kann und oft vermutlich einfach eine hohe Belastung darstellt. Die Probleme in der Pflege gehören zu jenen, die man nicht ignorieren kann, weil sie in das Leben so gut wie jeder zukünftigen Familie direkt eingreifen werden.