Kein Erfolg ohne Misserfolge! So lautet die Devise von Unternehmer und Mehrfachmillionär Christian G., den wir bereits zum Geheimnis seines Erfolges interviewt haben. Aus Rückschlägen lernen und »einfach machen«, sind zwei seiner Ratschläge, die er uns mit auf den Weg gegeben hat. Aber woher kommt bei so vielen die Furcht vor Misserfolg? Haben wir in Deutschland verlernt zu verlieren? Haben wir keine Kultur des Scheiterns?
Keine Kultur des Scheiterns in Deutschland?
Eine Studie der Universität Hohenheim ergab, dass in Deutschland das Scheitern nur bedingt akzeptiert wird. Anders als zum Beispiel in den USA. Die dortige Kultur des Scheiterns befürwortet regelrecht berufliche Rückschläge, weil diese die menschliche Psyche stärken. Auch der Erfahrungsreichtum steigt. Und letztendlich drückt Scheitern eben auch die Bereitschaft aus, sich über seinen Erfahrungshorizont hinaus zu begeben und mal etwas zu riskieren.
Individuelles Scheitern inzwischen erlaubt
Auch wenn in westlichen Gesellschaften nach wie vor das Prinzip: »Der Bessere gewinnt«, herrscht. So scheint das individuelle Scheitern inzwischen deutlich akzeptierter zu sein. Sein Bestes zu geben, scheint entscheidender zu sein. Akzeptiert wird auch, dass man »nicht in allem gut sein« kann. Zumindest versucht man hier und da, eine solche soziale Norm in unserer Kultur zu etablieren.
In der Studie »Gute Fehler, schlechte Fehler – wie tolerant ist Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmern« von Prof. Dr. Andreas Kuckertz von der Universität Hohenheim wurden über 2.000 Deutsche im Alter von 18 bis 67 Jahren zur deutschen Kultur des Scheiterns befragt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Scheitern in Deutschland in gewissen Graden akzeptiert ist, aber beileibe nicht in allen.
Circa achtzig Prozent der Befragten finden, dass Fehlschläge positive individuelle Konsequenzen mit sich bringen. Man reflektiert seine Fehler und entwickelt seine Persönlichkeit dadurch weiter. Der Reifegrad wächst. Aus Misserfolgen lernt man, wie es so schön heißt. Und langfristig gesteht man diesen Rückschlägen und Misserfolgen auch zu, dass sie zu Lernerfolgen umgemünzt werden können und somit die Chance für spätere Erfolge erhöhen. Soweit, so gut.
Doch die Akzeptanz des Scheiterns hat auch ihre Grenzen, wie die Studie offenbart.
Unternehmerisches Scheitern unerwünscht
Der Toleranz des Scheiterns setzten die Befragten in der Hohenheimer Studie insofern Grenzen, wenn es sich bei den Betroffenen um Unternehmer handelt. Nur jeder zweite Befragte, so ergab die Umfrage, könne dem Umstand des unternehmerischen Scheiterns etwas Positives abgewinnen. Fehler, die auf das eigene Verschulden zurückgehen (zum Beispiel ein mangelhaftes Unternehmenskonzept), werden weniger akzeptiert als Fehler, welche außerhalb des persönlichen Einflussbereiches liegen, wie zum Beispiel Krankheit des Unternehmers, steigende Herstellungskosten oder mehr Wettbewerber.
Während man in Deutschland trotz allem der Meinung ist, gescheiterte Unternehmer hätten eine zweite Chance verdient, sieht diese ausgedrückte Toleranz gegenüber des Scheiterns in der Praxis anders aus. Über 40 Prozent der Deutschen gaben an, dass sie zum Beispiel beim Bestellen von Waren Vorbehalte gegenüber einem bereits gescheiterten Unternehmer hätten. Dennoch würde das Scheitern eines Unternehmers einige nicht davon abhalten, Investitionen in dessen neues Unternehmen zu tätigen. Hierbei scheint es offenbar Unterschiede in der Bewertungsgrundlage zu geben, vielleicht weil man bei Investitionen andere Denkmaßstäbe anlegt und zusätzlich weitere Unternehmenskennwerte eine Rolle spielen.
Jüngere aufgeschlossen gegenüber Scheitern
Zu berücksichtigen ist hierbei die Variable des Alters. Denn das Alter der Befragten scheint einen Einfluss zu haben bei der Bewertung des Scheiterns im Allgemeinen. Vor allem jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren bewerten unternehmerische Fehler wesentlich positiver als ältere Deutsche zwischen 60 und 67 Jahren, so die Studie.
Die Forscher um Prof. Dr. Andreas Kuckertz hoffen, dass es bezüglich der Akzeptanz des Scheiterns momentan und auch zukünftig einen Wertewandel geben könnte.
Soziale und regionale Unterschiede bei Akzeptanz
Weitere interessante Ergebnisse brachte die Hohenheimer Studie darüber hinaus zutage. So zeigte sich, dass neben den jüngeren Menschen, vor allem Akademiker und Selbstständige eine höhere Toleranz gegenüber dem Scheitern haben. Nur die Hälfte der befragten Angestellten schienen eine positive Einstellung zum unternehmerischen Scheitern zu besitzen.
Ferner beurteilen Männer unternehmerisches Scheitern positiver als Frauen.
Und während man in Bremen mit Abstand die größte Akzeptanz gegenüber dem Scheitern zu haben scheint, existiert in Mecklenburg-Vorpommern offenbar keine wirkliche Kultur des Scheiterns. Verglichen mit anderen Bundesländern herrscht in diesem Bundesland die geringste Akzeptanz für Rückschläge vor. Entgegen aller Annahmen wird auch in Berlin mit seiner weitläufigen Startup-Szene sowie in Hamburg das unternehmerische Scheitern eher negativer wahrgenommen.
Unternehmer sprechen sich für Scheitern aus
Im Gegensatz zu den in der Studie befragten deutschen Bundesbürgern sprechen sich Unternehmer dagegen für das Scheitern aus. So bringt es unter anderem Lencke Steiner, Unternehmerin und Bundesvorsitzende des Verbandes DIE JUNGEN UNTERNEHMER, auf den Punkt:
»Gescheitert zu sein heißt doch auch, sich getraut zu haben, den Schritt zu gehen. … Wenn Gründer in Deutschland scheitern, werden sie von ihrem Umfeld oft verurteilt. Das ist absolut kontraproduktiv und nimmt vielen den Mut, den es braucht, um Unternehmer zu werden.«
Scheitern fördert Innovationsbereitschaft
Wenn es erlaubt ist, zu scheitern, und man zudem keine Angst davor haben muss, öffentlichkeitswirksam verurteilt zu werden, würden mehr Menschen vermutlich riskieren, ihre Ideen auch umzusetzen. Die Innovationsbereitschaft würde dann wachsen, ebenso die Bereitschaft, voneinander zu lernen und offen mit den eigenen Fehlern umzugehen, anstatt sie beschämt zu verschweigen. Dadurch könnten alle von den positiven aber auch negativen (!) Erfahrungen anderer profitieren, was sich vorteilhaft auf die gesellschaftlichen Entwicklungen auswirkt.
Deutschlands Gründergeist müsse wieder neu entfacht werden, so die Hohenheimer Forscher. Hilfreich dabei wäre vor allem statt der Sichtweise »Erfolg versus Misserfolg«, eher Ausprobieren, Wagen, Reflektieren, Lernen und Testen. Um eine Kultur des Scheiterns in deutschen Köpfen zu etablieren, sind unter anderem die Politik und die Medien gefragt. Ein neuer frischer Blickwinkel muss her. Reif mit Rückschlägen umgehen statt eines beschämenden Fingerzeigs. Darüber hinaus sollte auch in den Schulen die Furcht vor Misserfolg durch neu zu etablierende Werte und dem Zeitgeist angemessenen Lerninhalten sinken: durch die Förderung des Mutes, etwas zu riskieren, durch die Betonung der individuellen Entwicklung und nicht, wie es immer noch geschieht, durch soziale Vergleiche und Schürung des Konkurrenzdrucks.