In den vorangegangenen Artikeln haben wir viel über das Sterben geredet – und über die Köpfe der Sterbenden hinweg. Kaum jemand, der mitten im Leben steht, kann nachvollziehen, wie es sich anfühlt, der eigenen Endlichkeit ins Antlitz zu blicken. »Ich bin todkrank.« Dieser Satz erlangt eine unerbittliche Wahrheit, mit jedem Mal, da man ihn ausspricht. Und das Wissen um den eigenen nahenden Tod wird zu einem langsamen Sterben vorab.
Viele Magazine, so sie sich denn überhaupt dem Sterben widmen, trauen sich nicht, die Betroffenen direkt anzusprechen. Dabei ist es das, was diese dringend benötigen: Hilfe, Halt, Verständnis und Orientierung. Wir, als psychologisches Online-Magazin, wollen dies versuchen. Allerdings müssen wir schwerlich eingestehen: Keine psychologische oder medizinische Ausbildung dieser Welt, kein guter Wille, und keine noch so ausgeprägte empathische Fähigkeit verschaffen einem die Möglichkeit, in die Welt eines Sterbenden zu blicken. Jemand, der nicht direkt betroffen ist, hat folglich immer nur eine Draufsicht. Dies bitten wir demutsvoll zu berücksichtigen, wenn wir nachfolgend einige Empfehlungen für Sterbende formulieren.

»Ich bin todkrank«: Eine Orientierung für Betroffene

gerade zulaufender Fluss, Blätter im Vordergrund

Ich bin todkrank: Antritt einer Reise ins Unbekannte. An diesen Punkt kommen alle Menschen in ihrem Leben. © Brett Hodnett under cc

Wir haben einige Punkte zusammengestellt, die als Leitfaden dafür dienen können, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird – wenn man von Jetzt auf Gleich aus dem Leben fällt.

Jeder Mensch stirbt nur einmal

  • Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Jeder gestaltet sein Sterben individuell. Höre in dich hinein und sei geduldig mit dir. Sterben ist ein Prozess, der andauert. Verzweifle, wenn dir danach ist. Sei traurig, sei wütend. Lache, wenn du magst. Hör nicht auf zu leben, an den Tagen, die dir bleiben. Lachen kann stärken, selbst in dunkelsten Stunden. Guter Humor ist niemals pietätlos. Und Sterben relativiert vieles: Man regt sich kaum noch über Kleinigkeiten auf.
  • Nimm dir Zeit. Für dich selbst. Für deinen Abschied von anderen. Für deine Trauer. Das Durchleben deiner Emotionen in Bezug auf das Sterben kann als Rüstzeug dienen, um für den weiteren Weg gewappnet zu sein. Auch Weinen macht stärker.
  • Sei dankbar. Selbst wenn es erst einmal zynisch klingt. Sei dankbar für alles, was dir gegeben wurde. Ziehe Resümee. Kein Leben ist wirklich fertig gelebt, wenn man geht. Ein Jeder wird Ungelebtes, Unausgesprochenes, Ungefühltes in sich tragen – deshalb hat auch ein Jeder Verständnis dafür.
  • Das Positive im Alltag wird oft unterschätzt und am meisten vermisst. Also lebe ihn, soweit es möglich ist. Wenn du es leid hast, über deine Situation nachzudenken, unterlasse es, ohne schlechtes Gewissen. Lebe deinen Alltag. Es sind die kleinen Momente des Tages, die ein Leben intensiv werden lassen.

Wenn andere sich abwenden

  • Habe keine Scham, nach Hilfe zu fragen. Einige werden sich abwenden, weil sie nicht mit deinem Schicksal umgehen können. Lass sie ziehen – in Nachsicht. Du bist allein deinem Seelenfrieden verantwortlich, sie dem ihren. Demgegenüber werden viele bleiben, um dich zu unterstützen. Nimm deren Hilfe an.
  • Auch für Familie und Freunde ist das Sterben eines geliebten Menschen ein Ausnahmezustand. Emotionen werden aufeinandertreffen, die nicht immer nur positiv sind. Doch nichts bedeutet so sehr Leben, wie authentisch Gefühltes erlebt zu haben.

Plane, wenn dir danach ist

Himmel mit Sonnenstrahlen hinter Wolken

Sterben bringt Angst mit sich, aber auch Tröstliches. (All changes made to the image settings are applied to the selected photo only.) © Will Powell under cc

  • Solltest du es wollen: Organisiere dein Sterben, deine Beerdigung sowie deinen Nachlass, wenn dir danach ist. Plane gemeinsam mit dem medizinischen und betreuenden Personal, welche Medikation dir helfen könnte, dem Tod ruhiger und gewappneter gegenüber zu treten. Manche regeln mitunter formelle Angelegenheiten bis ins Kleinste: Es könnte ein Stück der Ungewissheit nehmen und Zuversicht geben, in Hinblick darauf, dass die Hinterbliebenen besser zurechtkommen.
  • Andererseits: Fehlt dir die Kraft für eine solche Planung, habe kein schlechtes Gefühl. Denn dein soziales Umfeld wird dir diese Planung bereitwillig abnehmen. Du allein bestimmst, je nachdem.
  • Was noch viel wichtiger ist: Wenn du dich in der Lage fühlst, setze Träume um, mögen sie noch so klein sein. Jeder einzelne wird dir das Gefühl geben, gelebt zu haben.

Handle nach bestem Gewissen

  • »Ich bin todkrank.« Wie sage ich es den anderen? Wie sage ich es den Kindern? Nimm dir Zeit für eine solche Botschaft. Insbesondere Kinder werden diese Mitteilung ganz unterschiedlich verarbeiten. Manche werden gar nicht reagieren. Andere werden wütend sein. Wieder andere flüchten sich in Fantasiewelten. Die Zeit heilt. Dieser Grundsatz ist so alt und so wahr. Die Zeit und die Liebe. Besprecht, was euch auf dem Herzen liegt. Egal, was es ist. Und manchmal sind der Worte genug gewechselt, dann genügt die Nähe, um auch über den Tod hinaus zu wissen, dass man einander liebt.

Vertraue auf die Natur

So wie dir geht es allen. Jeder tritt diese Reise an, und viele auch früher als erwartet. Du bist nicht allein. Sobald man stirbt, wird man sich mit genau diesen Punkten auseinandersetzen müssen. Ähnlich wie die Geburt ist das Sterben ein natürlicher Vorgang, der sich in Millionen von Jahren optimiert hat. Beruhigende und schmerzstillende Stoffe werden vom Organismus ausgeschüttet. Müdigkeit und Mattheit nehmen zu. Das Sterben ist ein Fluss. Vertraue darauf. Überlasse dich der Kraft der Natur.