Wer eine Trennung von seiner Liebe schon einmal verkraften musste, der weiß, dass es sich anfühlt, als würde einem das Herz zerreißen. Die Mechanismen zur Bewältigung des Trauerschmerzes sind ganz unterschiedlich. Der Schmerz, der dabei empfunden wird, auch. Nicht immer korreliert die Stärke des Schmerzes mit der Stärke der Liebe zum verlorenen Partner. Ein anderer psychologischer Mechanismus, der beim Verarbeiten einer Beziehung nämlich durchaus eine Rolle spielen kann, ist, welchen Stellenwert die Beziehung für einen hatte. Wie sehr hat man sich über die Beziehung definiert? Betrachten wir aus der Sicht der Psychologie: Zehn Unterschiede zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit.
Der Lebensweg: erstes Anzeichen emotionaler Abhängigkeit
Abhängigkeit ist ein hartes Wort. Es birgt viel Stärke und gleichermaßen viel Schwäche in sich. Stärke dahingehend, was Abhängigkeit mit einem macht. Schwäche diesbezüglich, wie angreifbar und verletzlich man sich deshalb fühlen kann. Unser aller Lebensweg ist ein Prozess. Wir lernen aus einer Kindheit, entwickeln uns in der Jugend, machen erste Erfahrungen mit Partnern, versuchen, negative Erlebnisse zu verarbeiten, und lassen uns auf einen neuen Menschen ein. Doch was ist, wenn zunehmend Gedanken aufkeimen: Warum passiert mir das immer wieder? Warum falle ich ständig auf denselben Typ Mensch herein? Wieso werde ich immer wieder enttäuscht?
Warst du niemals lange ohne Beziehung? Bist immer von einer Verbindung in die nächste gestolpert? Doch immer gleiche Muster haben stets zum Ende dieser Beziehungen geführt?
Der Grund, warum man immer wieder auf die gleichen Verhaltensmuster »von anderen hereinfällt«, liegt womöglich darin, dass man sich nicht ausreichend mit sich selbst auseinandersetzt. Dieser Hinweis soll nicht als psychologischer Fingerzeig verstanden werden (derjenige von uns, den das noch nie betroffen hat, der werfe den ersten Stein). Vielmehr wollen wir diese Artikelreihe als Stein des Anstoßes für eine Chance auf Weiterentwicklung verstanden wissen. Welche Unterschiede gibt es also zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit? Here we go!
Zehn Unterschiede zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit
Grundsätzlich eines vorweg: Von der Zuneigung beziehungsweise Anerkennung eines anderen zehren zu wollen, heißt nicht automatisch, dass man emotional abhängig ist. Selbstverständlich darf man sich durch die Liebe und Anerkennung anderer gut fühlen, ein Jeder wünscht sich Bestätigung – nur sollte dies nicht vorrangig der Fall sein und der eigene Selbstwert nicht davon abhängen. Das bringt uns auch schon zum Kern, um den sich alles dreht: mangelnde Selbstliebe ist das eigentliche Problem. Das eigene Leben mit Inhalten füllen zu können. Sein Glück nicht ausschließlich über andere zu definieren. Genau darum geht es.
Zehn Punkte, die einen Hinweis darauf geben können, dass du in deinen Beziehungen womöglich eher in einer emotionalen Abhängigkeit als in einer Liebe auf Augenhöhe bist. Diese Punkte können sowohl auf dich als auch auf deinen Partner zutreffen:
- übermäßige Eifersucht, wenn der Partner Zeit mit anderen Dingen/Menschen verbringt
- den Alltag des anderen kontrollieren wollen; sich kaum noch um die eigenen Hobbys und Freunde kümmern und das eigene Leben nach der Zeit mit dem Partner ausrichten; den Partner von seinen Freunden isolieren; sauer sein, sobald der Partner eigene Wege geht
- nicht wissen, was man in der Zeit ohne den Partner anfangen soll; eigene Bedürfnisse hintenanstellen (»geht es ihm gut, geht es mir gut«); Partner stets in der Nähe haben wollen
- Aufwertung des Selbst durch die Liebe des anderen; Wunsch nach ständiger Bestätigung, dass der andere einen liebt und begehrt; forcieren der Liebesbekundungen (Nachfragen, Komplimente fordern, unter Druck setzen des Partners)
- weniger wertvoll ohne Partner fühlen; denken, man könne sein Leben nicht ohne den anderen bewerkstelligen; mangelndes Selbstwertgefühl; mangelndes Vertrauen in sich und andere
- gefühlsmäßig vom Partner abhängig machen (»Ohne dich bin ich nichts.«); wenn es ihm nicht gut geht, er einen kritisiert, selbst schlecht fühlen; alles dafür tun, damit sein Eindruck von einem wieder stimmt; erst danach sich selbst wieder wohlfühlen (zum Beispiel: wenn er einen lobt, wird Selbstwert gehoben); bei kleinster Unstimmigkeit, sobald Partner schlechte Laune hat, verunsichert sein
- eher damit beschäftigt, zu überlegen, ob er einen liebt, als dass man sich auf die Persönlichkeit des Partners (und auch die eigene) konzentriert; oft einen Bezug zu sich selbst suchen, in dem, was der Partner sagt; vorrangiges Interesse liegt nicht darin, zu erfahren, wer der Partner ist und was ihn interessiert, sondern nur: was empfindet er für mich?
- den Partner verändern wollen; sein Tun, seine Ansichten manipulieren wollen; Schein nach außen hat hohe Bedeutung für dich (dein Gedankenfokus: Wie wirkt ihr auf andere?, Könnten andere glauben, dass er dich nicht liebt?)
- drohende Trennung kann ausufern bis hin zur Ankündigung, sich umbringen zu wollen etc.; krampfhaft an Beziehungen festhalten, selbst wenn man im Inneren spürt, dass diese einem nicht gut tut; Demütigungen durch Partner erdulden, sowohl verbal bis hin zu körperlicher Gewalt, nur damit man ja nicht verlassen wird; auf sexuelle Kontakte einlassen, obwohl man eigentlich nicht bereit dazu ist (nachgeben, wenn der andere drängt)
- Partner verkörpert Lösung persönlicher Probleme; durch die Liebe glücklich im Leben sein können und nur dadurch
Ein Unterschied zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit wird deutlich anhand des Trennungsschmerzes. Zumeist ist dieser bei einer emotionalen Abhängigkeit deutlich intensiver, ähnlich einem Drogenentzug. Auch wenn die meisten von uns diesen noch nicht gehabt haben dürften und ein Vergleich dahingehend wenig fruchtbar erscheint, so fühlt es sich doch ähnlich schmerzhaft an, wenn das vermeintliche Lebenselixier fehlt. Merke: Wer seinen Selbstwert kennt und weiß, was einen im eigenen Leben glücklich macht, der wird Trennungen leichter überwinden lernen.
Schön und gut soweit. Aber dass man sich toll fühlt, nahezu beflügelt, wenn man verliebt ist, dass man sich stärker fühlt, wenn man einen Weg gemeinsam gehen kann, sollte doch unmöglich ausschließlich negativ bewertet werden?! Wo ist nun das Maß zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit?
Woran erkennt man eine Beziehung basierend auf Liebe, nicht Abhängigkeit?
Zehn Punkte, die eine gesunde Beziehung charakterisieren, in welcher sich ehrliche Liebe entwickeln kann:
- Respektvoller Umgang auf Augenhöhe, persönliche Grenzen wahren, sowohl die eigenen, als auch die des Partners
- Akzeptieren, dass jeder sein eigenes Leben führt, mit eigenen Interessen und Freunden
- jeder kümmert sich um die Gestaltung seines eigenen Lebens und – allem voran! – um seinen eigenen Selbstwert (Ein Hauptsatz, der in der Suchttherapie zu finden ist, bei der es um die Auflösung von Abhängigkeiten und Co-Abhängigkeiten geht, lautet: »Bleib bei dir!«)
- Vertrauen ins sich selbst und in die Funktion der Partnerschaft sowie in die Liebe des anderen
- kein Aufopfern in Beziehungen, stattdessen ein Geben und Nehmen in Maßen
- Ehrlichkeit, offener Umgang zueinander, aber auch mit den eigenen Bedürfnissen
- Vertrauen darin, dass die Partnerschaft diese Offenheit aushält, weil beide Partner einen stabilen Selbstwert haben
- Weiterentwicklungen des Partners werden begrüßt, ohne Angst zu haben, man könnte den anderen verlieren
- Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz; gemeinsames Reifen und Weiterentwickeln möglich; kein Partner hemmt den anderen, dennoch stehen beide zueinander und sind füreinander da
- natürlich darf man auch glücklich darüber sein, dass man einander hat ;)
Unterschied zwischen Liebe und emotionaler Abhängigkeit: der Selbstwert
Obwohl der Hinblick auf den Selbstwert sich durch den gesamten Artikel zieht, soll er gegen Ende noch einmal explizit herausgestellt werden. Er stellt die Basis für alle Unterschiede da, die sich in Beziehungen finden, die durch Liebe versus durch emotionale Abhängigkeit gekennzeichnet sind. Arbeiten wir an unserem Selbstwert, berücksichtigen wir ebenjene aufgezählte Punkte und der Schlüssel zu einem glücklicheren Leben und keiner Neverending-Story mit immer denselben Verhaltensmustern und Unglücken ist gegeben. Wie genau man dabei vorgehen kann, wird unser nächster Artikel aufzeigen: Was tun, wenn man emotional abhängig ist?