Ist analoges Denken nur eine psychologische Größe?
Nein. In ihrem dicken Buch Die Analogie – Das Herz des Denkens, beschreiben Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander das allumfassende Vorkommen der Analogie, für die beiden bilden sie sogar das Herz des Denkens. Im hinteren Teil des Buches beschreibt Hofstadter, der selbst Doktor der Physik ist, dass die Analogie bei allen bedeutenden Wendungen der Physik eine Rolle spielte, zwölf Meilensteine führt er auf. Weiter beschreibt er, dass er sich lange Zeit gescheut habe, Einstein mit in den Kreis einzubeziehen, weil er dachte, eventuell könne das Genie Einstein anders getickt haben als alle anderen. Doch dann fand er heraus, dass Einstein sogar Analogien in Hülle und Fülle benutzte, er hatte nur die besondere Fähigkeit, die wichtigen Systeme zu korrelieren, auf eine Art und Weise die entweder niemand zuvor bedachte, oder die nicht zu Ende gedacht wurden. Was Hofstadter als Geniestreich Einsteins darstellt, war „eine entscheidende Parallele zwischen einem schwarzen Körper und einem anderen System aufzuzeigen, welches ebenfalls ein Spektrum hatte, das durch seine Gesamttemperatur bestimmt war. Dabei handelt es sich um einen in einen Behälter eingeschlossenes ideales Gas.“[2] Auch anderen war dieser Zusammenhang schon aufgefallen, sie hielten ihn aber für eine rein mathematische Besonderheit, Einstein machte Ernst mit der Idee, dass es sich dabei auch um physikalische Zusammenhänge handelt, mit anderen Worten, er sah oder ahnte zumindest die Kausalität hinter der Korrelation, er hatte in einem besonderen Maße diesen anderen analogen Blick. Auch in den exakten Wissenschaften hat analoges Denken seinen Platz und ist weit verbreitet.
Andere Wege zur psychologischen Diagnostik
Nicht nur Freud und Einstein sahen und erkannten Analogien, die vor ihnen vermutlich nie jemand so klar sah und verfolgte, auch später gab es immer wieder Forscher, die analoge Ansätze nutzten. In Seltene Methoden der Psychologie stellten wir den Begründer der bioenergetischen Analyse, Alexander Lowen vor, dem und dessen Team es gelang, durch einen einfachen Bogenstand in kürzester Zeit zutreffend die psychischen Probleme von Patienten zu diagnostizieren. Auch die Therapie fand weitgehend auf der körperlichen Ebene statt.
Erfahrene Ärzte sehen manchmal auf einen Blick, mit was für einem Problem ein Patient kommt, in einigen Verfahren der Komplementärmedizin ist der Blick auf den ganzen Menschen unverzichtbar, weil man auch hier denkt, dass die gesundheitlichen Problemen eines Patienten sich auf mehreren Ebenen manifestieren und angegangen werden können oder müssen. Mit einem geübten kann dann auch ein Psychotherapeut manchmal sofort sehen, was mit dem Patienten los ist. Nur sind solche Diagnosen schwer zu systematisieren, vielleicht auch nur, weil wir analoges Denken selten über unsere ersten Eindrücke hinaustreiben, wo sie in der Tat sehr hilfreich sind. Aber man muss hier nicht anhalten, auch auf komplexeren Ebenen helfen und Analogien weiter.
Wer es lieber systematisch hat, der wird in der Analyse der Gegenübertragung fündig. Bei dieser konzentriert man sich bewusst auf all jene Eindrücke, die der Patient beim Therapeuten auslöst, der sich auf einmal in dessen Gegenwart wie gelähmt oder auch ungewohnt großartig vorkommen kann und der genaue Blick auf diese unbewussten Signale, die der Patient aussendet, helfen dem psychodynamisch oder -analytisch arbeitenden Therapeuten weiter und auch hier wird analog gearbeitet.
Brunnen, Höhlen und die Vagina
Analoges Denken verhilft uns zu merkwürdigen Sprüngen, die in der Linguistik vor allem durch die Metapher gebildet werden. Metaphern stellen vermutlich weniger künstlich etwas her, viel mehr scheinen sie einen Zusammenhang der bereits da ist, irgendwie treffend einzufangen. In der Rede von warmen oder kalten Farben, aber auch von einem hitzigen Temperament oder der Eiseskälte, die von einem empathielosen Menschen ausgehen kann, findet man Beispiele, in denen verschiedene Empfindungen korreliert werden.
Zu besonderen Verdichtungen im wörtlichen und übertragenen Sinne führen auch die drei Erfahrungen der Weiblichkeit und damit der Welt, des Körperlichen, mit denen das männliche Bewusstsein konfrontiert ist. Sehen wir in der Zigarre und allen länglichen und spitzen, penetrationsfähigen Gegenständen oft symbolisch einen Phallus, so sehen wir in weichen und geschwungenen Linien oft Attribute der Weiblichkeit. Doch das was weich, warm und Geborgenheit vermittelnd anzieht, verliert seinen Schutz, wenn das Bewusstsein reif ist, der Mutter und kindlichen Versorgungssituation zu entsagen und sich von Frau Welt und ihren verschlingenden Aspekten herausfordern zu lassen. Verdichtungen von Sex, Tod und Transzendenz begegnen uns in Symbolen des Eingangs zur Unterwelt, die manchmal einen Brunnen oder eine Höhle symbolisiert wird und so war immer auch das Abtauchen in die feuchte Höhle der Vagina ein besonderes Erlebnis, gleichermaßen mit Lust und Ängsten verbunden. Von Ängsten vor dem Verschlungenwerden ist im Mythos der Vagina dentata, der zahnbewehrten Vagina die Rede, doch stärker dürfte der psychisch verschlingende Aspekt der Sexualität gemeint sein, der einem den Verstand rauben und den klaren Geist verwirren kann, doch die Höhle ist immer auch mehr, ein Ort des Unbekannten, der Gefahr und des Totenreichs, hier beginnt die Unterwelt.
In einigen Formen imaginativer Therapien, die mit inneren Bilderreisen arbeiten, sind dann tatsächlich Begegnungen mit Brunnen, Sümpfen, Vulkanen oder Höhlen der Oberstufe (der höchsten von drei Stufen) vorbehalten, wohl auch (wenigstens dem Gerücht nach) weil einige ‚Unfälle‘ passiert, als man Patienten durch harmlose Landschaften schickte und diese spontan auf Brunnen, Sümpfe oder Höhlen stießen und dort mitunter Todeserfahrungen während der Therapiesitzungen machten und aus Regionen berichteten, mit denen die Therapeuten nicht umgehen konnten. Vorstellbar ist es, denn in der Reinkarnationstherapie packt man den Stier bei den Hörnern und geht den Tod und damit verbundene Symboliken, nach kurzen Probeläufen und Diagnosesitzungen direkt an, so dass Geburts- und Todesthematiken und deren imaginative Annäherung hier zur Regel werden.
Auch Stanislav Grof fand im Rahmen verschiedener Ansätze immer wieder eine Verdichtung von Geburt, Tod und Transzendenz, neben Sexualität und Aggression bilden sie die großen Eckpunkte des Daseins und überlappen an zahlreichen Stellen. Dem Geist werden in aller Regel männliche Attribute zugeordnet. Hoch oben, rein und klar ist er der reine Beobachter, unberührt von Weltlichem, Körperlichem, Sexuellem und Seelischen oder Emotionalen. Das dazugehörige Prinzip ist Uranos. Siri Hustvedt beschreibt in ihrem Buch „Die Illusion der Gewissheit“ die Tendenz der archetypisch und oft auch biologisch männlichen Geistfraktion das Körperliche, Weibliche, das Feuchte und immer auch Vergängliche abzustreifen, zugunsten diverser, heute transhumanistischer und trockener Erlösungsprojekte, in der der reine Geist zur reinen Information geworden ist und irgendwo im Innern eines Computers oder als reiner Algorithmus weiter lebt, Körperlichkeit allerhöchstens simulierend. Im Mythos muss der männliche Geist scheitern und er scheitert am Kampf mit der Weiblichkeit, der Körperlichkeit, der Natur, die er beherrschen will. Der Mythos, die Tragödie und der Dichter, sie alle wissen, dass der Geist erst in dem Moment siegt, indem er sein Scheitern erkennt.
Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird’s Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist’s getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.[3]
Quellen:
- [1] Thorwald Dethlefsen, Schicksal als Chance, Bertelsmann 1979/Goldmann TB, S. 91 – 101
- [2] Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander, Die Analogie – Das Herz des Denkens, S. 605
- [3] Johann Wolfgang von Goethe, Faust II, Vers 12104 ff. / Chorus mysticus – Schlussverse Faust II