In dieser Artikelserie geht es um die biologisch-medikamentöse Behandlung von Sexualstraftätern. Hier im ersten Teil soll es besonders um die Geschichte der chirurgischen Kastration gehen und wie wirksam dieses Mittel ist.
Ein besonders schockierendes Beispiel ist die Handhabung in Tschechien. Straftäter haben die Wahl, ob sie ein Leben hinter Gittern verbringen wollen oder sie sich kastrieren lassen. Das führt dazu, dass Menschen gezwungen werden, Entscheidungen gegen ihren Willen zu treffen. Sie haben Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung oder wollen eigentlich selbst Kinder bekommen. Doch was wäre die Alternative für ein Leben? [1] Moralisch gesehen sind das sehr schwer zu beantwortende Fragen. Sollte man zum Beispiel pädophilen Menschen verbieten eine eigene Familie zu gründen?
Auf der einen Seite ist die Idee der (verpflichtenden) Kastration nur ein Schutz der Gesellschaft. Wenn man sich die Rückfallquoten von kastrierten gegenüber nicht-kastrierten Männern ansieht, scheint die Entscheidung nur allzu leicht zu sein. Doch darf die andere Sichtweise nicht außer Acht gelassen werden: die Geschichte eines Menschen mit einer pathologischen Neigung.
Chirurgische Kastration
Bei der Kastration eines Mannes werden ihm die Hoden entfernt, was nicht zu verwechseln ist mit der Sterilisation, bei welcher lediglich die Samenleiter durchtrennt werden. Das Ziel der Kastration ist die Reduktion der sexuellen Aktivität und des sexuellen Interesses. Dem Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 1991 zufolge ist dies bei einer Studie allen Probanden gelungen. Bei der Mehrzahl nahmen die Ejakulationen innerhalb von sechs Monaten nach der Kastration deutlich ab. Das Rückfallrisiko senkte sich somit auch signifikant. Ohne den Eingriff liegt es für sexuelle Delikte bei 46 % und außersexuelle Delikte bei 43 %. Bei kastrierten Patienten konnte maximal eine Rückfallquote von 3 % für Sexualdelikte und 25 % für außersexuelle Taten verzeichnet werden. Eine Kastration vermindert demzufolge nicht nur das Risiko als Sexualstraftäter rückfällig zu werden, sondern auch generell eine Straftat zu begehen. [2]
Geschichte der chirurgischen Kastration
Um zu verstehen, wie sich die Gedanken zu der biologisch-medikamentösen Behandlung von Sexualstraftätern entwickelten, ist es zunächst notwendig, die lang zurückreichende Geschichte der chirurgischen Kastration zu kennen.
Beispielsweise wurden im 18. Jahrhundert junge, männliche Mitglieder des Chors kastriert um zu verhindern, dass sie während des Stimmbruchs ihre hohe Singstimme verlieren. [3] Doch die zu seiner Zeit als modern und fortschrittlich geltende Idee der Kastration und Sterilisation entstand zunächst in den USA. 1899 begann Dr. Harry Sharp aus Indiana erste Operationen an Häftlingen durchzuführen, um ihre sexuellen Triebe zu verringern. Seine Intention war die Heilung seiner Patienten von ihren pathologischen Zwängen. Doch im frühen 20. Jahrhundert drängte sich immer mehr die Frage der Eugenik (Erbgesundheitslehre zur „Verbesserung der menschlichen Rasse“) in den Vordergrund. [4]
Therapeutische Kastrationen
Die erste therapeutische Kastration in Europa wurde 1892 in einer Schweizer Psychiatrie vollzogen. Dänemark war das erste Land, das 1929 ein Gesetz zur Kastration verabschiedete. [5] Hurwitz und Christiansen schrieben, dass sich mit Le Maires Daten errechnen lässt, dass vom 01. Juni 1929 bis zum 01. Juni 1939 3,3 % der Sexualstraftäter chirurgisch kastriert wurden, bei homosexuellen Straftätern lag die Zahl bei 14,3 %. [6] Auch in den anderen skandinavischen Ländern gab es ähnliche Kastrationsgesetze. In Deutschland trat am 01. Januar 1934 das Sterilisationsgesetz „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. Dieses Gesetz entstand auch vorrangig im Zuge der Rassenlehre und um den Gedanken der Eugenik praktizieren zu können. [7] Andere europäische Länder zögerten bei der Verabschiedung eines solchen Gesetzes. [8]
Bei seinem Besuch 1947 in Amerika stellte Le Maire mit Erstaunen fest, dass die Kastration auf Zurückhaltung und wenig Interesse in der amerikanischen Kriminaltherapie stoß. Der Grund dafür waren die unmenschlichen Verordnungen der Deutschen. [9] In Deutschland wurden von 1934 bis 1945 etwa 3.000 Sexualstraftäter gegen ihren Willen kastriert. [10]
Nach der Nazi-Zeit in Deutschland wurde ein Gesetz verabschiedet, welches die Kastration nur noch in besonderen Fällen erlaubt. Demzufolge ist es notwendig, dass der Betroffene älter als 25 Jahre ist und in die Kastration einwilligt, es die Linderung eines Leidens zum Zweck hat, für ihn körperlich und seelisch keine Nachteile zu erwarten sind und die Behandlung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durchgeführt wird. Die Linderung eines Leidens und das Nichterwarten von körperlichen oder seelischen Nachteilen können vernachlässigt werden, wenn der Betroffene einen gefährlichen Geschlechtstrieb hat und rechtswidrige Taten zu erwarten sind. [11]
Risiken der chirurgischen Kastration
Ethische Bedenken sind allerdings nicht unumstritten, was sich auch durch die klaren gesetzlichen Richtlinien abzeichnen lässt. Die missglückte Sexualität kann zu Frustration, Leid und Fremdbestimmung führen. [12] Antriebsarmut und Depressionen sind nach der chirurgischen Kastration keine Seltenheit. Die Behaarung kann sich verändern und der Patient kann stark an Gewicht zunehmen. [13]
Lieber eine chemische „Kastration“?
In der Behandlung von Sexualstraftätern wird heutzutage oft auf chemische „Kastration“, d.h. medizinische Behandlung zurückgegriffen, die mit der Beeinflussung der Hormone einhergeht. Im nächsten Teil erläutern wir, wie diese Medikamente in der Therapie von Sexualstraftätern eingesetzt werden und wie selbstbestimmt eben diese darüber entscheiden können.