Das Ritual

Schwefel dampfend

Schwefel oder Sulfur ist eines der großen homöopathischen Mittel und hier Symbol für das ideologisch heiß umkämpfte Terrain. © kuhnmi under cc

Der homöopathische Alltag wird vermutlich öfter von den Idealvorstellungen der Gegner und Anhänger abweichen, als dass er diesen sehr nahe kommt, dennoch steht die Homöopathie exemplarisch für eine ganz andere Art der Medizin, die manchen nicht passt, weil sie sie eben für gar keine Medizin halten, während einige sie lieben und erneut nutzen die meisten sie pragmatisch.

Vielleicht löst der gesamte Kontext einer homöopathischen Behandlung einen Placeboeffekt aus, das Bewusstsein, dass es da noch etwas gibt. Für manche ein Symbol für Ungiftigkeit, für andere ein ganz anderer Ansatz, für wieder andere eine Chance nach erlebten Enttäuschungen. So gut wie jeder Anwender der Homöopathie hat seine Geschichte, in der nach zahllosen Versuchen dann ausgerechnet der Homöopath helfen konnte. Wer so etwas erlebt hat, misstraut den Skeptikern und das mitunter aus gutem Grund. Spätestens dann, wenn sie beginnen einem das was man selbst erlebt hat, abzusprechen.

Man kann die Homöopathie, ihr Idealbild, als großes Gesamtritual betrachten, wenn man es denn will und man sollte es erhalten. Angesichts einer therapeutischen Breite, die von Tele-Medizin über Gentechnik, minimalinvasive OP-Techniken bis zur Virtual Reality Brille (gegen Phobien) reicht, darf man dennoch den fundamentalen Aspekt der zwischenmenschlichen Begegnung nicht vernachlässigen, in denen auch Phänomene wie Superheiler auftauchen. Ob sich die psychogenen Effekte bei Erkrankungen und Heilungen letztlich auf den Begriff des Placebo-/Noceboeffekts reduzieren lassen, glaube ich nicht, die gezielte Einbindung desselben sollte jedoch eine Pflicht sein, die merkwürdig negative Fokussierung auf die Homöopathie (in der Presse sogar inzwischen mehr als unter Ärzten) erscheint mir unangebracht.

Ist Heilung durch Information Unsinn?

Wir bei psymag.de bewegen uns ja in einem psychologischen und psychotherapeutischen Kontext und natürlich ist Heilung durch Information nirgendwo stärker verbreitet als in der Psychotherapie. Denn was bitte hilft hier, wenn nicht Information? Ein veränderter Blickwinkel, ein neuer Kontext, eine Information, die der Patient erhält, als Deutung, Anregung oder Aufforderung, die Dinge doch mal anders als gewohnt zu betrachten. Nicht jede Therapie gelingt, aber wo sie gelingt können die Erfolge geradezu dramatisch sein und über Wege wie die Weltbild-Methode, die Individuations-Therapie, die Psychosomatik, kann die Psyche den Körper heilen und das tut sie allein mit Informationen unterschiedlicher Art. Geht also, zweifelsfrei.

Das eigentliche Problem der Homöopathie besteht darin, dass sie die Behauptung aufstellt, die Homöopathie könne durch die Praxis des Dynamisierens, also des schrittweisen Verdünnens oder Verreibens und Verschüttelns, die Information, das Prinzip des Aufgangsstoffes von seiner materiellen Hülle lösen und auf einen anderen Träger übertragen. Informationen kann man problemlos auf andere Träger übertragen, ich kann etwas hinschreiben, abfotografieren, als Sprachnachricht aufnehmen, verschiedene Formen der gleichen Information. Doch die Isolation der Information durch das Dynamisieren ist der eigentliche Knackpunkt. Denn können wir wirklich die „Seele“ des Schwefels, einer Pflanze oder Biene, ihre Information isolieren? Ist es überhaupt möglich etwas auf reine Informationen zu reduzieren? Keiner weiß es.

Die Homöopathie verfolgt hier eine an sich geniale Idee und benutzt dazu eine zweifelhafte Umsetzung. Das scheint mit der dickste Hund zu sein. Ist damit das Ende der Homöopathie besiegelt? Ich glaube nicht und ich würde es mir nicht wünschen, im Gegenteil.

Was die Medizin von der Homöopathie lernen kann

Reden und sich Zeit nehmen, soviel sollte klar geworden sein. Es reicht nicht immer nur darüber zu jammern, dass man dafür kein Geld bekommt, es gilt dann auch irgendwann mal die eigenen Interessen in dieser Hinsicht zu vertreten und das Gespräch, die Begegnung wieder ins das Zentrum zu rücken, soll die Medizin nicht zur dazu verkommen, dass Algorithmen Krankheiten analysieren und Medikamente und Therapievorschläge rausschicken. Gegen einen solchen Reparaturbetrieb müssen auch Ärzte etwas haben, sie wären nämlich schneller, als sie gucken können, überflüssig.

Das Minimieren des Noceboeffektes und das offensive Einbinden des Placeboeffektes gehen Hand in Hand. Oben schrieb ich: „Die Homöopathie könnte, im schlimmsten Fall für ihre Anhänger zu 100% auf den Placeboeffekt zurück zu führen sein, das heißt, die Homöopathie wirkt nicht, wohl aber die Behandlung durch den Homöopathen.“ Aber: Was wäre eigentlich schlimm, am schlimmsten Fall? Die Homöopathen würden es nicht mögen. Sie glauben fest daran, dass da mehr im Spiel ist, aber was wäre, wenn es nicht so wäre? Das Einbinden von Placebo: Warum nicht mit Homöopathie? Elegantere Wege gibt es kaum, für Menschen, die eventuell darauf vertrauen müssen oder wollen, dass es noch anders als üblich klappen muss. Wer nicht will, der muss nicht. Teuer ist die Homöopathie nun wahrlich nicht. Die Interaktion, das aufwendige Suchen, der andere Ansatz, das hat was.

Homöopathie als Urprinzip

Ein letzter Punkt sei erwähnt. Die Homöopathie kann man einmal als technisches Verfahren betrachten und zum anderen als Ansatz einer anderen Herangehensweise an Heilung. Die Idee Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, nämlich das fehlende Prinzip zu ersetzen, geht über die reine Methodik der Homöopathie im engen Sinne hinaus. Hier ist das homöopathische Prinzip eng mit den aufdeckenden Ansätzen der Psychotherapie verwandt, die ein ins Unbewusste abgerutschtes oder verdrängtes Prinzip wieder bewusst machen wollen. Wer seine Aggressionen verdrängt und nun darunter leidet, dass er überall Aggressionen wahrnimmt und die Welt so böse ist, der muss nicht lernen sich noch mehr gegen die böse Welt abzuschotten, sondern Aggressionen als einen Teil des Ganzen zu sehen und anzuerkennen, statt diese weiter zu verdrängen. Was hier fehlt, im Bewusstsein fehlt, ist eben nicht Frieden, sondern Aggression und erst wenn diese bewusst ist, kann der Mensch ins Gleichgewicht kommen. Im Grunde folgt dies der Idee der Homöopathie: das was fehlt, die Information soll ersetzt werden. Diese Art der Homöopathie hat besonders Thorwald Dethlefsen stark gemacht, dessen Denken wir in Heilung aus Sicht zweier ungleicher Geschwister vorstellten, er folgt der Tradition von Herbert Fritsche, der ebenfalls mit der Homöopathie eng verbunden war.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass uns ein Wechsel des uns leitenden Weltbildes bevorsteht, das vom Naturalismus dominiert wird. Vielleicht werden die Karten dann wirklich noch einmal neu gemischt, einen Platz sollte die Homöopathie, aus hoffentlich nachvollziehbaren Gründen dennoch behalten.

Quellen