Es gibt Menschen, die haben wirklich krumme Lebensläufe. Beruflich schnuppern sie mal in diesen, mal in jenen Bereich. Und obwohl sie gar nicht schlecht sind in ihrem Job, schmeißen sie irgendwann alles hin und fangen etwas Neues an. Weil sie sich langweilen zum Beispiel. Manche würden am liebsten zwei Jobs gleichzeitig machen, weil sie einfach zu viele Themenbereiche spannend finden. Andere wiederum fangen gar nicht erst an, sind wie gelähmt, weil sie sowieso nicht auf sich und ihre Ausdauer vertrauen können. Denn sie haben die Erfahrung gemacht, äußerst sprunghaft zu sein. Kurzum: Eine Scanner-Persönlichkeit ist ein Mensch, der sich nicht entscheiden kann. Oder anders gesagt: der tausende Hobbys und Interessen hat. Diese Personen wirken teilweise getrieben, so als würden sie die unzähligen Möglichkeiten im Leben wie eine Buchseite abscannen – querlesen – und dann weiterziehen.

Scanner-Persönlichkeit und Zeitgeist

Universalgenies, welche in vielen Bereichen von Naturwissenschaft, Philosophie und Kunst talentiert waren, sind uns bis in die heutige Zeit noch bekannt. Sie haben es in die Memoiren der Menschheitsgeschichte geschafft und werden auch in der Zukunft als prägende Köpfe der Vergangenheit gelten.

Wen kennt man bis heute, der universell talentiert war?

Der griechische Universalgelehrte Aristoteles lebte 384 v. Chr. bis 322 v. Chr. und ist uns auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch bekannt. Der Naturwissenschaftler und Philosoph erfand unter anderem den Begriff der Rhetorik, das heißt der Kunst des Redens. Darüber hinaus führte er eine Aufzeichnung aller zu jener Zeit bekannten Pflanzen- und Tierarten. Seine Abhandlungen und Denkweisen prägen uns bis heute.

Goethe Statue Blaetterkranz

Johann Wolfgang von Goethe war ein vielseitig begabter Mann und ist uns bis heute bekannt. © Martin aka Maha under cc

Auch Johann Wolfgang von Goethe darf als überaus vielseitiges Talent angesehen werden. Der deutsche Dichter und Naturforscher lebte von 1749 bis 1832. Seine literarischen Werke prägen uns bis heute und seine unter anderem in der Literatur verankerten Beobachtungen und Erkenntnisse haben bis heute nicht an Aktualität eingebüßt. Als Goethe an den Hof von Weimar geladen wurde und dort politische Ämter übernahm, soll es ihn mit der Zeit in eine Art Sinn-Krise getrieben haben, da er angesichts der Ämter weniger der Umsetzung seiner literarischen Schaffenskraft nachgehen konnte. Ähnlich wie viele Scanner-Persönlichkeiten heute fiel es Goethe offenbar schwer (zumindest ließe sich das schlussfolgern), einem stark strukturierten, relativ vorgezeichneten beruflichen Lebensweg nachzugehen, der die Arbeitsaufgaben weitestgehend beschränkt und der eigenen Kreativität nicht zuträglich ist.
Goethe befreite sich aus diesem Korsett und erlebte auf seiner Italienreise eine schöpferisch befreiende Renaissance, welche ihn weitere nachhaltig prägende literarische Werke erschaffen ließ. Goethe gilt als einer der bedeutendsten Köpfe der literarischen Sturm und Drang-Zeit und verfasste zudem naturwissenschaftliche Abhandlungen.

Leibniz: Das letzte Universalgenie?

Als einer der letzten Universalgenies (häufig wird er zeitgeschichtlich auch als das letzte Universalgenie eingeordnet) gilt Gottfried Wilhelm Leibniz. Der deutsche Mathematiker und Philosoph galt als Vordenker der Epoche der Aufklärung. Er lebte von 1646 bis 1716 und war darüber hinaus Doktor der Rechte, Diplomat, Sprachwissenschaftler und Historiker. Leibniz soll den innewohnenden Drang verspürt haben, sich alle Disziplinen zu eigen machen zu wollen. Im Grunde basieren unsere heutigen Programmiersprachen auf seiner binär-mathematischen Theorie der Dyadik, welche die Zahlen mit 0 und 1 codiert. Unter anderem soll Leibniz von sich gesagt haben:

Mir kommen manchmal morgens während einer Stunde im Bett so viele Gedanken, dass ich den ganzen Vormittag brauche und mitunter sogar den ganzen Tag und länger, um sie genau aufzuschreiben.

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Universalgelehrter

Wer wird der Nächste sein?

Aristoteles, Goethe und Leibniz haben Wissenschaft, Philosophie und Kultur über die Jahrhunderte hinweg nachhaltig geprägt. Sie haben mit ihrer Draufsicht und ihrer Vielseitigkeit unkonventionelle Schlüsse gezogen, neue geistige Wege beschritten und Theorien abseits des damaligen Mainstreams generationsübergreifend in unsere Köpfe implementiert. Vielleicht wird es allmählich Zeit für einen neuen Geist, der sich in die Reihe der großen Denker einfügt …?

In den letzten Jahrzehnten: erschwerte Bedingungen für Multitalente?

Das vergangene zwanzigste Jahrhundert war auch und vor allem von Spezialisierung geprägt. Wer ein absoluter Wissensexperte auf seinem Fachgebiet war, der galt – und gilt bis heute – als versiert, entscheidungsberechtigt und angesehen – und jenes zurecht. Neben diesen Experten könnten jedoch womöglich im heutigen hochtechnologischen Zeitalter auch Scanner-Persönlichkeiten wieder mehr gefragt sein. Immerhin gilt es, die großen Probleme der Erde zu lösen: Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, alternative Transportwege, Wertewandel, medizinische Forschung, alternative Wirtschaftsmodelle etc. Dafür braucht es unkonventionelle Ideen und innovative Denkansätze.

Darüber hinaus passen Scanner-Persönlichkeiten hervorragend in die schnelllebige sozialmediale Welt. Sich aus der Fülle von Informationen die wesentlichen herauszupicken, sich ein breitgefächertes Wissen anzueignen und nach diesem zu handeln, kann viele Vorteile haben …

Ich könnte alles tun! Wenn ich nur wüsste, was ich will …

Kette Amboss

Scanner-Persönlichkeiten versetzt die Beständigkeit eines Jobs in blanke Panik. © James Johnstone under cc

… aber auch viele Nachteile. Eine Scanner-Persönlichkeit hat die Qual der Wahl und erliegt dieser unter Umständen. Finden Scanner keinen entsprechenden Zugang zu ihrem Inneren, um damit umzugehen, kann es gegebenenfalls zur Stagnation im Lebenslauf sowie zur Frustration kommen.

Die US-amerikanische Autorin und Coach Barbara Sher hat den Begriff der Scanner-Persönlichkeit entscheidend geprägt. In ihrem Werk Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will beschäftigt sie sich eingehend mit den Problemen, mit denen Menschen, die ein Lebensziel schmerzlich vermissen, zu kämpfen haben.

Ein gutes Leben hat man, wenn man jeden Morgen aufsteht und es kaum erwarten kann, dass es losgeht.

(aus dem Buch von Barbara Sher)

Glück ist …

Glück ist, so sagen einige, zu wissen, was man erreichen will im Leben und gezielt darauf hinzuarbeiten. Für solche Menschen ist dies die perfekte Vorstellung von einem zufriedenen Leben. Scanner-Persönlichkeiten können von dieser Stringenz nur träumen. Aber …

Du musst dich NICHT entscheiden, wenn du tausend Träume hast

Im Grunde brauchen Scanner-Persönlichkeiten eigentlich NUR den oder die passenden Job(s) – und damit verbunden eine gewisse Freiheit -, damit sie ihre spezielle Vielbegabung entfalten können. Denn Scanner haben eben auch Angst vor Verbindlichkeiten und Endgültigkeit.
In ihrem Buch Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast zeigt Coach Barbara Sher gedankliche Pfade für Scanner-Persönlichkeiten auf, um aus deren vermeintlicher Not eine Tugend zu machen.

Tausendsassa und ihre Jobchancen

Social Media Apps Handy

Die heutige sozialmediale Welt bietet für eine Scanner-Persönlichkeit viele neue Möglichkeiten. © Jason Howie under cc

Womöglich eignen sich Scanner-Persönlichkeiten gut für vorübergehende Projektarbeiten, bei denen sie sich auf immer neue Herausforderungen oder Menschen einstellen müssen. Sie bearbeiten hocheffizient ihre Aufgaben, wollen allerdings auch immer mit neuen Herausforderungen gefüttert werden. Ein Traum für so manchen Arbeitgeber und sehr passend für so manche Jobbeschreibung in der heutigen Zeit.

Möglich wären auch kreative Berufe, die eine größere Abwechslung mit sich bringen, etwa verschiedene Bücher zu veröffentlichen zu verschiedenen Themen. Oder Artikel schreiben, in welche man sich thematisch immer wieder einarbeiten muss. Scanner brauchen einen anderen Schlüssel zum Leben. Klassische Lebensläufe passen zu ihnen nicht.

Mediengestaltung, Kommunikationswissenschaft, Psychologie oder ähnliches sind Studienfächer, die für Scanner-Persönlichkeiten in Frage kommen, weil sie breitgefächert aufgestellt sind und viele Anknüpfungspunkte schaffen, ohne dabei inkonsistent zu wirken.

Darüber hinaus: Warum auch nicht mehrere Jobs gleichzeitig oder nacheinander ausüben? Die Welt ist so offen wie nie zuvor gegenüber ungeraden Lebensläufen. Diese Toleranz im Sein anderer wird noch weiterhin zunehmen. Zu sich zu stehen und sich nicht entmutigen zu lassen, so speziell und andersartig man auch sein mag, sollte als menschliche Devise der heutigen Zeit forciert werden. Ein Jeder kann mit seinem eigenen Leben dazu beitragen, dass die Gesellschaft sich vor Andersartigkeit nicht verschließt.

Doch es gibt auch Zweifel …

Die Tatsache, dass Scanner sich nicht so wirklich und dauerhaft auf Themengebiete einlassen können, lässt sie hin und wieder auch an sich selbst zweifeln. Sie wissen von ihrer Wechselhaftigkeit und haben es dadurch schwerer, an tiefergehender Expertise in einem Bereich zu gewinnen. Weil sie eben so manches Mal die Dinge nicht zu Ende bringen. Weil sie Zielfindungsschwierigkeiten und Motivationsprobleme haben. Deshalb können Scanner-Persönlichkeiten beruflich durchaus das Nachsehen haben. Manche finden sich dann notgedrungen in einem Job ein, werden in diesem allerdings zunehmend unsicherer.

Das vorrangige Ziel: Bewerte um!

Muelltonne vor grauer Wand Cinema

Kreativität hat viele Gesichter. Zeit, sich auszutoben, für Scanner-Persönlichkeiten. © Robert Couse-Baker under cc

Der Beginn von allem ist die kognitive Umbewertung bei einer Scanner-Persönlichkeit. Statt zu sagen: Menschen, die sich nicht entscheiden können. Besser formulieren: Menschen mit vielen Talenten und Interessen. Vielbegabte, ist zum Beispiel ein positiver – und zutreffender – Ausdruck für Scanner-Persönlichkeiten. Vielbegabung ist eine Form der Hochbegabung.
Dementsprechend sollte das erste Ziel für Scanner-Persönlichkeiten lauten, eine Umbewertung ihrer Interessenvielfalt vorzunehmen. Wer im Reinen mit sich selbst ist, findet auch schneller Mittel und Wege, um den eigenen – ganz individuellen – Lebensweg zu festigen.

Bist du eine Scanner-Persönlichkeit?

Nachfolgend einige Punkte, um »abzuscannen«, ob man eine Scanner-Persönlichkeit sein könnte:

  • Neugier und Wissbegier bei vielen Themen
  • hohe Auffassungsgabe
  • talentiert in mehreren Bereichen
  • fürchten endgültige Spezialisierung, da sie eventuell etwas verpassen könnten beziehungsweise ihr Potential für andere Bereiche verloren gehen würde
  • immer gleiche Arbeiten machen ihnen Angst, sie mögen Abwechslung keine Routine
  • fühlen Unterforderung und Langeweile, sobald sich Routine einschleicht

Zu wissen, wer man ist, kann einem schon helfen, zu seinen Vielbegabungen zu stehen. Auch Scanner-Persönlichkeiten haben in dieser heutigen Welt ihren Platz. Sie müssen lediglich akzeptieren, dass ihr Lebensweg mehrere Abzweigungen hat und in seiner Vielschichtigkeit eine ganz eigene Kontinuität bietet. Wenn du deine Vielbegabung akzeptierst und als normal bewertest, werden die anderen es über kurz oder lang auch tun.