In der virtuellen Welt, ist man oft im Modus Slalomlauf unterwegs. © darkday under cc

Der Idiotenslalom ist eine Disziplin in der digitalen Welt, die entsteht, wenn vor allem Internetforen von sonderbaren Usern so reichlich gespickt sind, dass jeder auch noch so harmlosen oder an sich konstruktiven Diskussion etliche Hindernisse, wie die Torstangen beim Slalom im Weg stehen, was anfangs durchaus den Reiz erhöhen kann, aber irgendwann nur noch ermüdend ist.

Wie alles begann

Ich hinke hinter den neuesten technischen Entwicklungen routinemäßig immer ein paar Jahre hinterher. Auf den krummen Wegen des Lebens geriet ich so irgendwann ans Internet, natürlich war ich auch hier kein User der ersten Stunde und das war zu dieser Zeit noch recht undifferenziert. Es gab Versuche so eine Art erste Foren auf die Beine zu stellen, die aber unorganisch und gewollt erschienen. Man wollte irgendwelche Alltagsthemen installieren oder setzte auf regionale Nähe.

Da zu meinem Freundeskreis aber auch Funkamateure zählten, ich aber schon damals nie so richtig verstehen konnte – als Kind war das noch anders, da war man mit Funkgeräten der König: 200 Meter entfernt und man kann dennoch miteinander reden, wow – was daran spannend war, dem anderen seine Alltagsbanalitäten mitzuteilen, haben mich auch die ersten Foren nicht geflasht. Das sollte sich bald ändern. Kurz vor der Jahrtausendwende, begann für mich eine ungeheuer dichte Zeit in der Therapieausbildung, Studium und das Werk von Ken Wilber mich erreichten, auf dessen „Eros Kosmos Logos“ ich aufmerksam wurde, was hier gefeiert und da verrissen wurde, für mich klang es interessant genug, um mir das Buch zu kaufen und mehrfach zu lesen, da es einen großen Eindruck bei mir hinterließ. Nur, kein Mensch kannte Ken Wilber. In der Philosophie begegnete er mir mal am Rand, knapp abgehandelt und wenn ich meinen Mitmenschen oft begeistert davon erzählte, kam über kurz oder lang der Zeitpunkt, an dem die anderen netterweise noch ein interessiertes Gesicht machten und so taten, als würden sie der Unterhaltung, vielleicht war sie auch zu monologisch, folgen, aber ich musste einsehen, dass das keinem der Beteiligten einen Gewinn brachte.

Doch irgendwann gab es dann im Internet ein Wilber-Forum und wenn es den Ausdruck wtf damals schon gegeben hätte, hätte ich’s gedacht. Ich war elektrisiert und kurz darauf in meinem ersten Forum angemeldet. Nicht zum ersten und letzten Mal, war ein bisschen Himmel für mich auf der Erde verwirklicht. Da gab es andere, außer mir, die musste man nicht zwingen, die wollten über Wilber reden. Freiwillig und gerne. Sie hatten ihn tatsächlich gelesen und einige sogar verstanden und da wir von der Anfangszeit der Foren reden, war die Quote der ernsthaften User hoch.

Der Austausch war genial und gewinnbringend, ich war mitten drin und begeistert. Mein Enthusiasmus ist sogar aufgefallen, irgendwann hatte ich eine pN, ein neues Forum, das Philosophie zum Inhalt hat, würde sich gründen, ob ich da mitmachen wollte. Da man auch später noch Nein-Sagen kann, sagte ich ‚Ja‘ und blickte ein wenig hinter die Kulissen der Forenwelt. Nun war Philosophie der Schwerpunkt, fand ich auch super, Wilber wird ja, mal mehr, mal weniger, auch als Philosoph gehandelt, das passte schon irgendwie, Schreibhemmungen kannte ich so wenig, wie falsche Bescheidenheit (leider manchmal auch zu wenig richtige) und so ging es los mit den Diskussionen, die manchmal zu XXL Ermüdungsschlachten wurden. Ich traf auf jemanden, der ähnlich gestrickt war wie ich, nur meine Ansichten in der Regel nicht teilte, es gab viel Grund sich auszutauschen, der Diskussionsstil zwischen uns war eher rustikal, aber es brachte auch inhaltlich jede Menge.

Zwar gab es auch damals nicht all zu viele Leute, die diese neue Mischung aus unbedarfter Frische, Experimentierwillen, Mitteilungswut und dann doch auch Qualität mitmachen konnten und wollten, dennoch fiel mir irgendwann auf, dass es doch merkwürdig war, dass in diesem doch anonymen Kontext – nix Bilder, Social Media oder gar Videos damals, man focht allein mit Begriffen, noch nicht mal diese exzessive Link-Seuche war ausgebrochen – die Emotionen so hoch kochten. Denn das taten sie.

In Dankbarkeit, Amen

Und so konnte man, wenn man denn merkte, wer was drauf hatte und wer ein Blender war – was man natürlich nur merken konnte, wenn … is klar, ne? – sehr viel lernen, weil die Leute, die ja auch Zeit und Energie investierten, mitunter richtig klasse waren. Es ist immer schwer zu sagen, wo man mehr gelernt hat, weil ja alles auf einander aufbaut, aber der Austausch über Philosophie im Internet hat mir wahnsinnig viel gebracht. Mitunter ein zähes Ringen, mit Niederlagen, die sich im Nachhinein oft als die größeren Gewinne erweisen, weil man irgendwann lernt, dass einen ja niemand zwingt, jedes mal wieder aufs hohe Ross zu steigen. Mit schönen Gewissheiten, wenn man andere wirklich zum Nachdenken bringt und weil man nur über die Einsicht in eigene Fehler und Erweiterungen des eigenen Standpunktes Fortschritte macht.

Schreiben ist Freiheit, ein Ordnen der Gedanken, Therapie und Erkenntnis, von allem etwas, wenn die Prise Klatsch, Tratsch und Vertrautheit noch dabei ist, ist das auch okay. Fast ein wenig familiär kann es werden, außer, dass man eben raus und vergessen ist, wenn man nichts mehr schreibt.

Aber das macht Spaß, wird zur lieben Gewohnheit, ist lehrreich und hat im Grunde sogar eine therapeutische und sozialisierende Komponente. Es gehört zum normalen Selbstbild dazu, dass man von sich etwas hält und also auch die eigenen Gedanken als wertvoll erachtet. Doch sie auszuformulieren und auf den Punkt zu bringen ist noch einmal etwas anderes. Vor allem auch, weil man sich damit der Kritik durch andere aussetzt und die eigenen Gedanken öffentlich macht. Wenn sie dann auch noch kritisiert werden, kann man im besten Fall viel auch über sich selbst lernen. Ist man beleidigt, erschüttert oder eingeschüchtert? Ist der selbstgefällige Plauderer in einem geweckt worden, der allen erklärt, dass das doch ganz anders gemeint war? Ist man in missionarischer Art ganz eins mit einer Idee, Weltanschauung oder Botschaft verbunden, von der man meint, dass die anderen sie unbedingt verstehen müssen? Hier wird man immer auch gespiegelt, wie man wirkt, wie man argumentiert, was einen antreibt, was einen maßlos ärgert und vieles mehr.

Es ist jede Menge Material zu finden, zur tieferen Erkenntnis in ein Thema, aber auch in die Struktur von Kommunikationen im Internet aber auch in anderen Bereichen des Lebens, man kann andere zu einem gewissen Teil erkennen, und immer auch sich selbst.

Off Topic – Wenn die Form zum Selbstzweck wird

Als die Foren ausdifferenzierten und es bald nichts mehr gab, über das kein Forum existierte, fransten einige Diskussionen aus. Man schweifte ab, manche kamen bei buchstäblich jedem Thema mit größter Sicherheit auf ‚ihr Thema‘ zu sprechen und so kam es zu einer neuen Spezies, die sich berufen fühlte zur Ordnung zu rufen. Aber im Idiotenslalom waren die Tore noch sehr weit gesteckt, sie störten die Fahrt nicht wirklich. ‚Off Topic‘ oder OT hieß der Slogan des Ordnungsrufs und wollte sagen, man sei zu sehr vom Thema angekommen. So etwas provoziert Widerstände, weil manche sich hier zu Oberlehrern aufspielen, andere wollen tatsächlich nur das Thema diskutieren und sind genervt, wenn jemand zum 80. Mal alle Übel der Welt an den Erdstrahlen oder dem Neoliberalismus festmacht, egal ob man über Weinbergschnecken oder Briefmarken diskutiert.

Wenn man allerdings breiter interessiert ist und Dinge gerne mal in einen größeren Kontext stellt, können einem die Off Topic Mahner schon gehörig auf die Nerven gehen. Denn, wer sagt denn, welcher Umweg, welche prinzipielle Klärung konstruktiv oder sogar geboten ist und wo man das Thema überdehnt? Aufgrund welcher Kriterien? So kam es zu Spannungen, zwischen denen, die sich als Sheriffs empfanden und mahnten doch bitte einfach nur mal sachlich und beim Thema zu bleiben und den ‚unartigen Kindern‘, die sich – teils zurecht, teils aus reinem Widerspruchsgeist – gegen Bevormundungen, aber manchmal eben auch gegen jede Art von Regeln auflehnten.

So spielten sich im Grunde oft parallele Diskussionen ab, eine über das Thread-Thema und andere in denen geordnet, verstoßen, befriedet und gemoppert wurde, man gewöhnte sich dran, dass dies bald in vielen Foren dazu gehörte, die Diskussionen wurden von diesen Störgeräuschen überlagert, aber nicht verunmöglicht.

Zunehmend aggro – Wenn die Ordnung zerfällt

Die heute schon klassisch zu nennenden Social Media haben mich nie interessiert. Ich könnte das mit der Datensammelwut rationalisieren, aber genau so richtig ist vermutlich, dass ich einfach mal wieder zu spät dran war und daneben ist der Mensch ja auch ein Gewohnheitstier und seinen Marotten treu. Wenn die großen Social Media Angebote mich auch nicht reizten, andere schon und das, nämlich die weitere Differenzierung der Medien mit Eigenbeteiligung, führte dazu, dass de klassischen Foren User verloren, unattraktiver wurden und zu Räumen, in denen sich immer mehr virtuell zwielichtige Gestalten einnisteten.

Wer seinen Weg in die dunklen Reiche des Internet (noch) nicht gefunden hat, wem das zu hart war oder wer einfach mehrgleisig fährt, hatte nun die Möglichkeit sich in den großen Social Media Plattformen oder Kommentarspalten unter Zeitungen und Zeitschriften zu verbreiten, was eine gewissen Aufmerksamkeit sicherte. Doch auch in den themenzentrierten Foren traf man auf immer mehr Menschen, deren Sichtweise nahezu unkorrigierbar war, die aber über viel Zeit, Langeweile und Ausdauer verfügten, um wirklich jedes Thema zu kapern. Darunter auch immer User, denen es allein oder zunehmend um Krawall und Provokation ging, vielleicht, weil auch allgemein das Umfeld ruppiger wurde, der Ton schärfer, die Stimmung gereizter.

Irgendwann dann dominierten jene mit der größeren Sturheit und Aggressivität die Foren, die langsam aber sicher an Bedeutung verloren, ohne jedoch ganz einzugehen. Auch oder gerade heute können sie noch immer eine Alternative zu den großen Social Media Angeboten sein.