Idiotenslalom, Trolle und Blender

Sie sind rar, die Perlen der Forenwelt. © Vali…. under cc

Neben denen, die inhaltlich am Thema des Forums interessiert sind, nisteten sich also allerlei andere Charaktere ein, die manchmal selbst nicht genau wissen, was sie motiviert, die aber dort in der Mischung aus Anonymität und Öffentlichkeit, ihren idealen Nährboden gefunden haben. Was Foren spezifisch macht, findet man in dieser, optisch an die Wikipedia angelehnten, lesenswerten Darstellung.

Wir wollen uns hier in den verschiedenen Nutzertypen anschauen und eine kleine Systematik der Nutzertypen erstellen.

Perlen

Es gibt sie nach wie vor, jene User, die am Thema interessiert sind, die Bereitschaft mitbringen, sich über längere Zeiträume, mitunter Jahre, einzuarbeiten und immer tiefer zu graben, die dabei konstruktiv unterwegs sind, weil sie ja das Thema interessiert und sie sich über all jene freuen, denen es auch so geht. Die Begegnung mit ihnen kann nach wie vor so beglückend und erfüllend sein, wie in der Frühphase der Foren.

Sie sind rar, man muss sie suchen, deshalb sind sie die seltenen Perlen der Forenwelt.

Trolle

Jeder kennt sie, weil sie überall sind, nicht nur, aber auch in Foren. Vielleicht die bekanntesten destruktiven Vertreter, denen es primär um Aufmerksamkeit und Krawall geht und die hier gut und umfassend beschrieben sind. Hämisch, zynisch, sadistisch und aggressiv haben sie mitunter Spaß daran, das was anderen Spaß macht, einen Dialog zu führen, zu zerstören.

Einer der wichtigsten Punkte ist, zu verstehen, dass jede Art von Reaktion Trolle animiert, weiter zu machen, weshalb das ignorieren das probateste Mittel ist und bleibt, aber es finden sich immer User, die es nicht schaffen, auf Provokationen nicht zu reagieren.

Gladiatoren

In seinem Buch „Einführung in die Philosophie“ beschreibt Daniel-Pascal Zorn den Typus des rhetorisch und intellektuell überlegenen Dialogpartners, der Gefallen daran findet, seinen Partner, der ein ungleicher, weil unterlegener Gegner ist, vor versammeltem Publikum, wie im antiken Rom vorzuführen und niederzumachen.

Oft nicht mal grobschlächtig, sondern feinsinnig vermitteln sie anderen, dass diese ihnen nicht das Wasser reichen können und gefallen sich in dieser Pose. Diskutieren wollen Gladiatoren nicht, sie wollen nicht die besten Argumente des anderen hören, bergen, vielleicht mit ihm zusammen entwickeln, sondern einfach nur zeigen, dass sie den anderen dominieren können, dafür ist ihnen im Grunde jedes Thema recht.

Manchmal kommen sie freundlich und lobend daher, doch auch ihr Lob hält die anderen auf Abstand und soll diesen, mal mehr, mal weniger subtil zeigen, dass sie etwas schon ganz gut verstanden haben, wenn auch natürlich nicht so gut, wie der Gladiator selbst, der sich wiederum darin gefallen kann, Lob und Kritik oder Schulnoten zu verteilen.

Erklärer

Ähnlich gestrickt sind die Erklärer, die gerne jedem helfen und damit vor sich und anderen verbergen, dass sie an einem Austausch auf Augenhöhe überhaupt nicht interessiert sind. Es kann sein, dass sie das selbst nicht merken, weil sie durchaus freundlich und kommunikativ sind und sich oft sehr geduldig jenen annehmen, die tatsächlich etwas nicht verstanden haben.

Die Kabarettistin Gerburg Jahnke, die eine Hälfte des ehemaligen Duos ‚Missfits‘, spricht in ihrem Programm von typisch männlicher Erklärungslogorrhoe und meint damit ein unablässiges und notorisches Welterklären, unabhängig davon, ob man gefragt wurde oder nicht. In der Tat sind es auch in der Forenwelt häufiger Männer, die typische Erklärer sind.

Geduldig und zuvorkommend erläutern sie gerne jedem, was dieser nicht richtig verstanden hat und halten ihn genau genau damit in einer Asymmetrie, in der der Erklärer oben ist und eifrig dozieren kann. Sie sind selten aus der Ruhe zu bringen, jedoch schwer irritiert, wenn man ihnen ihrerseits erklärt, dass man ihre Ausführungen durchaus verstanden hat, aber einfach anderer Meinung ist. Dann ist manchmal Schluss mit lustig und freundlich, denn so unartige Schüler verdienen dann einen Tadel.

Das verkannte Genie

Das verkannte Genie hat mit dem Erklärer die Gemeinsamkeit, davon überzeugt zu sein, die Dinge grundsätzlich besser als alle anderen zu verstehen. Während Erklärer gerne vergleichsweise Banales und Konventionelles (was sie allerdings hoch bedeutsam finden) wieder und wieder erklären, hat das verkannte Genie in eigener Anschauung mehr zu bieten, nämlich eine Idee, auf die alle Denker der Welt bislang noch nicht gekommen sind.

Bisweilen ist es aber so, dass verkannte Genies zu Hause sitzen, sich tatsächlich knietief in ein Thema einarbeiten, das von ihnen Besitz ergreift und sie leider öfter mal dazu veranlasst, den Wald vor Bäumen nicht mehr zu sehen. Heißt, wenn man sie darauf hinweist, dass ihr genialer Gedanke durchaus schon einmal (oder mehrmals) so gedacht worden ist, aber dies zu keinem Ergebnis führte oder in der Folge verworfen wurde, so erschüttert sie das in keiner Weise und sie behaupten mit immer größerer Wucht, die anderen seien Ignoranten, die keine Ahnung hätten.

Das kann manchmal recht tragische Züge annehmen, wenn verkannte Genies die Kritik nicht annehmen und einbauen können. Echte Genies haben nämlich in aller Regel die Fähigkeit, die Ansichten der Scientific Community zu verstehen, knapp zu referieren, um dann darzustellen, inwieweit ihr eigener Ansatz darüber hinaus geht. Die verkannten Genies in Foren haben aber oft Schwierigkeiten die Höhe der Scientific Communtiy zu erreichen, auch wenn ihnen das natürlich nicht klar wird. Manche von ihnen wirken ausgesprochen selbstsicher, andere sind schnell und schwer zu erregen, wenn man nicht (an)erkennt, dass ihre Gedanken neu und einzigartig sind.

Paranoiker

Der Paranoiker teilt mit dem verkannten Genie den Frust des Unverstandenen, aber die Forenparanoiker krempeln sich die Ärmel hoch und stellen sich gegen den Strom. „Mit mir nicht“, ist ihr Wahlspruch und sie finden in der Regel zu allem noch eine Alternativmeinung, denn wenn alle etwas so sehen, ist das für sie bereits ein Indiz, wenn nicht fast ein Beweis, das es falsch sein muss. Und dann geht die Suche nach alternativen Meinungen und Experten los, sagt man, das seien eher wenig akzeptierte Meinungen, ist die Sache für den Paranoiker klar: eine Intrige des Mainstream. Wenn alle dagegen sind, dann muss was dran sein, sonst wäre ja nicht alle dagegen, denn die Menge ist ja bekanntlich dumm, naiv oder verführt.

Paranoiker haben ehrlichen Frust, aber die falsche Diagnose. Sie wollen den Fehler finden, es kann in ihrer Welt nicht sein, dass jemand etwas ohne finstere Absichten macht und zum erwählten Club derer zu gehören, die die Dinge durchschaut haben, kann zwar einsam machen, aber genau daraus ziehen Paranoiker ja ihre Energie und ihren Status. Sie sind eben nicht, wie alle. Nur, wenn sich alle einig sind, kann es gelegentlich auch mal daran liegen, dass es stimmt.

HWG – Hauptsache was gesagt

Andere sind da wesentlich unbeschwerter unterwegs. „Hauptsache was gesagt“, so bezeichnete mal ein User, der gleichzeitig als Uni-Dozent tätig war, die Motive einige seiner Studierenden. Mag es noch so banal sein, Hauptsache man gibt zu jedem Thema irgendwie seinen Senf dazu und seine Meinung ab. Was von diesen Usern gesagt wird, muss noch nicht mal falsch sein, meistens ist es einfach belanglos. So eine Art virtuelles Lebenszeichen, vielleicht dem Wunsch geschuldet mehr Beiträge als andere zu haben, oder einfach immer da zu sein oder auch nur irgendwie aufzufallen. Sie sind Teil der Community, oft nervig, aber harmlos, da belanglos, haben die eher seltenes HWGs tendenziell abgenommen.

Hauptsache nett

Nicht nur, aber eher weiblich sind jene, aus der Kategorie ‚Hauptsache nett‘. Diese UserInnen sehen oft nicht ein, dass man sich immer streiten muss, etwas, was in Foren, wie erwähnt, leider öfter mal vorkommt. Wenn pure Aggression oder Rechthaberei das Motiv hinter den Streits ist, ist es gut, wenn freundliche und unaggressive User Druck raus dem Kessel nehmen, aber ‚Hauptsache nett‘ User gehen noch einen Schritt weiter. Man soll sich nach Möglichkeit gar nicht streiten, was nett klingt, aber im Kern oft unentdeckt egozentrisch ist. ‚Haupsache nett‘ User können nämlich aus irgendwelchen Gründe keine Streits haben und sehen sich daher aufgerufen, die Streithähne zu besänftigen, die unter einer robusten Diskussion aber oft gar nicht leiden. Auch das zerstört den Diskurs zugunsten des Versuchs, sich eine liebe, nette Ersatzwelt zu schaffen, die ein bisschen an die heile Welt einer nachträglich romantisierten Kindheit, Schlager oder Heimat- oder Vorabendserienidyll erinnert.

Freundlichkeit ist super und fehlt tatsächlich oft im Internet, aber sie ist kein Selbstzweck, zumal zu Diskussionen immer auch gehört die Grundsatzpositionen zu klären oder überhaupt für sich zu entdecken – eine der großen Stärken von Foren, sich selbst, wenn man es denn will, erkennen zu können – und da geht es dann notgedrungen schon mal ans Eingemachte.