Ohne Massen kein Faschismus. © James Cridland under cc

Die psychologischen Aspekte des Faschismus zu beschreiben ist nichts, was man dann, wenn man sich mit dem Faschismus befasst auch noch tun kann, weil es doch mal ganz interessant ist, das Thema aus dieser Perspektive zu betrachten, sondern Faschismus ist im Kern ein psychologisches Phänomen. Wir können uns dem Phänomen Faschismus sogar am ehesten dann nähern, wenn wir seine psychologischen Komponenten, sein typisches Ich- und Welterleben verstehen, denn aus der zu distanzierten Analyse bleibt er unverständlich. Wir alle kennen aber mindestens zu einem Teil die Zutaten des faschistischen Welterlebens.

Was ist eigentlich Faschismus?

Man ist sich schnell einig, dass man im Kampf gegen den Faschismus nicht nachlassen darf, kein Fuß breit den Faschisten und dergleichen hört man. Wenn man aber fragt, was genau Faschismus ist, stellt man fest, dass er im Grunde kaum zu benennen ist. Mindestens ist er kein Phänomen mit scharfen Rändern.

In der Wikipedia findet man diese Problematik in den Definitionen des Faschismusbegriffs und den darauf folgenden gemeinsamen Merkmalen beschrieben. Wir haben Elemente, die irgendwie immer wieder auftauchen, aber es gibt viele Varianten des Faschismus in denen vermeintliche wesentliche Bausteine desselben fehlen.

Umberto Eco, der Schriftsteller, Semiotiker und Philosoph führt diesen irgendwie fehlenden Kern des Faschismus in einem lesenswerten Artikel über den Urfaschismus aus. (Kein Bezahlartikel, Anmeldung reicht.) Letztlich führt Eco 14 Elemente auf, die den Faschismus näherunsgweise charakterisieren.

Die Elemente des faschistischen Denkens und Fühlens überlappen einander, eines geht ins andere über und am Ende doch nie so ganz auf, weil viele Menschen bereits weiter sind, als dass der Faschismus in voller Blüte bei ihnen verfangen kann, außer in regressiven Zeiten.

Der Faschismus kombiniert Erfahrungen von Einheit oder Verschmelzung

Damit haben wir bereits am Anfang ein Problem skizziert, das darin liegt, dass Erfahrungen von Einheit und Verschmelzung gar nicht unangenehm sind, sondern zu den beglückendsten und erhebendsten Erfahrungen im Leben zählen können. Einheitserfahrungen, das sind sehr oft Gipfelerfahrungen, spirituelle Erfahrungen. Verschmelzungen kennen wir von den schönsten Momenten der Sexualität und auch Erfahrungen in der Masse, wenn man für ein Fußballspiel oder Konzert lang nur noch eins mit allen und allem ist. Grenzen lösen sich auf und es fühlt sich gut an.

Faschisten wollen im Grunde nichts anderes und man könnte fragen, warum sie nicht einfach zu Konzerten gehen, Sex haben, holotropes Atmen oder Meditation praktizieren. Damit sind wir beim Kleingedruckten, dem wir uns widmen müssen, denn das irgendwie alles eins und dasselbe ist, ist die undifferenzierte Sicht und kommt dem nahe, was den Faschismus selbst ausmacht.

Die Verschmelzung von Zeit

Der Faschismus in angetrieben von einer Erzählung der Ewigkeit. Ewigkeit verstanden als Austritt aus der Zeit. Zwar gibt es für Faschisten eine Uhrzeit, aber letztlich keine Geschichte. Geschichte ist im Faschismus nur eine Abfolge sich ewig wiederholender, gleicher Muster. Und wieder muss man aufpassen, denn nicht jeder, der irgendwo wiederkehrende Muster erblickt, ist automatisch ein Faschist. Die Ränder sind unscharf, eher sich durchdringende Wolken, als konturierende Linien.

Geschichte würde ansonsten heißen, etwas entwickelt sich auf eine bestimmte Weise, nicht wirklich festgelegt, vielleicht so, vielleicht aber auch anders. Wesentlich ist auch, dass man einen Einfluss auf den Lauf der Geschichte hat, als Einzelner, als Gesellschaft, als Menschheit. Ewigkeit bedeutet in dem Zusammenhang, dass sich nichts ändert. Auf der Bühne der Welt spielt sich das immer gleiche Drama ab und letztlich ist es, aus faschistischer Sicht, ein Kampf des Guten gegen das Böse.

Eco beschreibt als Punkt 1 und 2 dessen, was Faschismus ausmacht, einen Traditionskult und Traditionalismus. Das heißt, es wird auf einen irgendwie historischen, aber im Grunde mythisch-historischen Beginn der Geschichte verwiesen, in der der nun ewig gleiche Ablauf einmal als Vorbild durchgespielt worden ist und seit dem wiederholt sich, von Zeit zu Zeit, die Inszenierung, an der im Kern auch nichts zu ändern ist. Das Schicksal hat es so gewollt, so ist das Leben eben. Man kann es erkennen, dann ist man klug oder man kann es verfehlen, dann kommt man unter die Räder. Wobei ein Happy End für die Klugen auch im Faschismus nicht vorgesehen ist.

Andere Erzählungen des Lebens werden von Faschisten umgedeutet, als naiv deklariert, als Illusion belächelt, verspottet oder verhöhnt. Denn das ewige Muster ist das des Kampfes gegen den oder die Feinde. Man selbst ist gut und auserwählt, so hat es ein die Masse verbindender Gründungsmythos erklärt. Die anderen sind Feinde, sie führen nichts Gutes im Schilde, sind aber durchtrieben und trickreich. Sie stellen sich als die Guten dar, wollen aber in Wahrheit nur die wirklich Guten zerstören, indem sie alles was die Guten ausmacht – ihr Leben, ihr Denken, ihre Traditionen – zerstören, umkehren und verwässern. Da im Kern gut, wollen Faschisten eigentlich nur ihre Ruhe haben, aber wenn sie trotz größter Geduld unablässig provoziert, attackiert und gepiesackt werden, müssen sie, wohl oder übel eben tun, was getan werden muss. Der Feind muss vernichtet werden, je gründlicher und gnadenloser, desto besser. Denn wer Frauen und Kinder verschont, hat mit dem Problem der Rache zu kämpfen, darum lieber gleich richtig, so das niemand übrig bleibt. Logisch, aber ausgesprochen brutal und mitleidlos.

Der Glaube an die Reinszenierung über- oder außerzeitlicher, ewiger Muster und ihrer Unabänderlichkeit ist ein Kern des faschistischen Weltbildes.

Die Verschmelzung von Beziehungen

Die psychologischen Aspekte des Faschismus kennen eine spezifische Form von Beziehungen, in denen man das Problem der Gefangenschaft in ewigen Mustern wiedererkennt und noch besser darstellen kann. Der Mythos der ewig Gleichen muss kein kollektiver Mythos sein, man kennt diese Formen auch aus der Individualpsychologie.

Es ist das reife, integrierte Ich das sich irgendwann als mehr oder weniger wirkmächtigen Akteur im Leben erkennt und wenn dieser Anker erst einmal gesetzt ist, wird die Geschichte zum Selbstläufer. Man merkt, dass man nicht nur in Muster eingebunden ist, sondern diese auch durch eigene Entscheidungen aktiv verändern kann, begangene Fehler durch Reflexion beim nächsten Mal vermeiden kann und sich nach und nach im Leben immer mehr und besser zurecht findet. Man weiß, was man will und kann, kennt aber auch die eigenen Grenzen und kann es ertragen, dass man nicht allmächtig ist und dem Leben dennoch Spaß, Sinn und Befriedigung abgewinnen. Falls das Ich integriert und reif ist.

Wenn das nicht der Fall ist, erlebt man die Welt völlig anderes. Man sah sich schon früh einer überwältigenden Macht ausgeliefert, der gegenüber man ohnmächtig war. Da man ein Kind war, das etwas erleben, erdulden und erleiden musste, aber weder verstehen, noch etwas ändern konnte. Sadistische Willkür – also Macht um ihrer selbst willen ausüben, weil man es kann –, gewalttätige und sexuelle Übergriffe am eigenen Leib und der eigenen Psyche zu erleben oder diese als hilfloser, ohnmächtiger und verängstigter Zeuge ansehen und -hören zu müssen, fördern das Gefühl, dass es in der Welt nur Starke und Schwache gibt, und die Überzeugung, dass es besser ist zu den Starken zu gehören, weil diese mit den Schwachen stets machen, was sie wollen.

Die einseitige Fixierung von Eltern auf Leistung und Kunststückchen, die man vorführen soll, während man ansonsten kalt ignoriert wird, nicht geliebt, aber für Artigkeiten gelobt oder die Überdosis Lob, wenn man als kleiner König oder Prinzessin nichts falsch machen kann, fördern solches Welterleben, wenn auch etwas abgeschwächter, ebenfalls.

Natürlich ‚weiß‘ man dann, weil man es nicht anders lernen konnte, dass es immer welche gibt, die oben sind und andere, die das eben nicht sind. So funktioniert die Welt, davon ist man überzeugt. Und weil die eigene Welt zumindest so funktioniert, sucht man sich, häufig unbewusst, angetrieben durch den Wiederholungszwang, das was man kennt und was die Essenz des Lebens ausmacht: Spitzenaffekte und die Nähe von Menschen, mit denen man sie erleben kann und die mit einem die bekannten Muster wiederholen. Und man wird sie immer wieder finden, jene, die das innere Bild, was man von Menschen hat – und in der Phase: haben muss – bestätigen. Jede Bestätigung versichert einem mehr, dass man Recht hat, dass die Menschen sind so, kein Zweifel. Ein Narr, wer sich etwas anderes vormachte.

Es gibt auch im Leben dieser Menschen die anderen. Menschen, die unter dieser Ich-Schwäche leiden haben auch sie in aller Regel schon kennen gelernt, aber deren Welt spricht sie nicht an. Zu bieder, halbherzig, lauwarm, zögerlich. Und an diesem Punkt auch noch nicht zu verstehen, zu unattraktiv. Sie wollen Action, im großen Gefühl baden, kein graues Leben mit Disziplin und Verplanung führen. Die Welt in der jene aufwuchsen, die später unter Umständen zu Faschisten werden, ist einerseits die Hölle, aber sie beherbergt auch eine verstörende Form der Lust und Vertrautheit. Es ist eine Binsenweisheit, dass Schmerz, Qual und Lust ineinander übergehen und sei es nur in der Form der Erlösung, wenn der Schmerz nachlässt, wenn dann doch mal alles gut ist. So gänzlich unbekannt ist uns das nicht.

Das Oszillieren von Täter und Opfer

Das Spiel von Tätern und Opfern ist ohnehin schon ausgesprochen kompliziert, die psychologischen Aspekte des Faschismus vereinfachen es in gewisser Weise, weil der sprunghafte Wechsel, vom Täter zum Opfer und zurück deutlicher wird. Wer in einer Zeit, in der er nichts ändern konnte Opfer war, hat in Grunde, aufgrund des eigenen Weltbildes, das man sich nicht ausgesucht hat, was man aber auch nicht mal eben ändern kann, zwei Optionen: Man kann Opfer bleiben und der Welt erzählen, dass man sich das alles anders gewünscht hat, aber nie eine Wahl hatte und diese folglich jetzt auch nicht hat und das ist auf der einen Seite so richtig, wie es unzureichend ist. Die andere Entscheidung ist, nie wieder Opfer zu werden, sich zu wehren und notfalls zurück zu schlagen und diese Alternative führt manchmal in eine wissentliche oder unwissentliche Variante des Faschismus.

Diese faschistische Weltsicht kann durchaus vollkommen unpolitisch sein und einfach in der stillen Übernahme der Idee bestehen, dass es in der Welt in Gewinner und Verlierer gibt, Starke und Schwache, Raubtieren und Schafe oder Opferlämmer und wer stark, schlau, durchtrieben, tollkühn oder skrupellos ist, dem kann es gelingen, sich auf der Seite der Sieger zu positionieren. Vielleicht erst durch Probleläufe: in dem man nicht den Erwartungen entspricht, gegen alle Ordnungen rebelliert, die oft stellvertretend für gewalttätige Eltern(teile) stehen und irgendwann trifft man auf andere, die einen nicht dafür kritisieren, dass man anders ist, sondern die diese Einstellung teilen und einem beibringen, dass die Herde der doofen Schafe, der triste Mainstream, die wahren Idioten sind, während man selbst einfach einer ist, der das Spiel durchschaut hat und drüber steht.

Das muss überhaupt nichts mit Politik zu tun haben, es reicht irgendeine rigide bis fundamentalistische Idee zu vertreten, die sich gerne auf die Ordnung der Natur gründet. In ihr, so heißt es oft, sei alles so klar und übersichtlich und mit dieser Ordnung können Faschisten viel anfangen. Die einen fressen, die anderen werden gefressen, so läuft das Spiel, besser man ist ein starkes Raubtier, als ein schwacher Pflanzenfresser und wenn schon Pflanzenfresser, dann Elefant oder Nashorn, mächtig und wehrhaft.

Einfach nur aggressiv zu sein, das gefällt auch Faschisten nicht unbedingt, zumindest gehört es oft zum Spiel, so zu tun, als wäre man nicht einfach ein Verbrecher und Halunke, sondern in vielen Fällen, besonders, wenn man eine Ideologie annimmt, muss das Motiv schon edler sein. Die Natur will es dann einfach so oder man wehrt sich eben, denn das weiß man oft noch von früher, dass der Feind überall und zudem gerissen, mächtig und willkürlich ist. Man kennt das, weil man es so erlebt hat. Es gibt in der Welt mancher Menschen einfach niemanden, der gute Absichten hat und wenn, ist es jemand, der irgendwann gefressen wird. Nur ist die Trennung gar nicht so leicht. Täter brauchen oft Opfererzählungen. Solche von den Absichten und Machenschaften anderer, die man genau kennt und erkennt und es ist ihnen egal, ob andere das auch so sehen, oder nicht. Sie haben einfach beschlossen nie wieder Opfer zu sein, nun fühlen sie sich erneut als solches, weil ihnen niemand glaubt. Dazu kommt, dass sie die optimistischen Botschaften der Lauwarmen, der Optimisten, als vollkommen irre ansehen: Entweder sind die anderen wirklich durchgeknallt, wenn sie tatsächlich glauben, was sie sagen oder sie sind maximal durchtrieben, dann muss man ihnen erst recht das Handwerk legen. Die Wahrheiten der Faschisten sind so einfach wie ihr Weltbild. Es gibt Sieger und Verlierer im Leben, das muss man einfach sehen und entweder man erkennt das und iakzeptiert es ein für alle mal oder nicht, dann ist man Feind oder Idiot, ein Unterschied der keine große Rolle spielt, jedenfalls niemand, auf den man Rücksicht nehmen muss.

Bei den Opfern misslingt die Trennung von gut und böse ebenfalls häufig. Sie werden zu Tätern, oft wider Willen. Es bricht dann einfach so aus ihnen heraus, die Möglichkeit, dass sie selbst etwas ändern könnten, hat in ihrem Leben nie bestanden, sie glauben auch nicht wirklich daran, wenn sie Opfer jahrelanger Demütigungen waren. Beide, die Täter und die Opfer wissen, dass da draußen immer ein Aggressor lauert, dass der Mensch niemals gute Absichten hat und dass er allenfalls so tut, als ob. Deshalb muss man immer auf der Hut sein oder in der Lage, sich zu wehren.