Wie schön wäre es, als selbstbewusster Mensch, Probleme gelassen angehen zu können. Voller Tatendrang und ohne Angst. Wie lautet diese bekannte Phrase, die aus einem Managerseminar zu stammen scheint, noch gleich? »Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen, denen man sich stellen muss.« Menschen mit einem geringen Selbstbewusstsein fühlen sich angesichts solcher Floskeln noch minderwertiger. Solche Schlagsätze helfen uns nicht weiter, sie entsprechen eher dem sprichwörtlichen Schlag ins Gesicht. Um Probleme gelassen angehen zu können, müssen wir uns die Phasen im Leben anschauen, die nicht unmittelbar mit dem Problem zu tun haben. Wenn das Leben eine Linie ist, dann schlängeln Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen einigermaßen angstfrei, aber stets wachsam, an dieser entlang. Doch das Leben wird unverzüglich zu einem unentwirrbaren Knotengeflecht, sobald wir uns mit einem Problem konfrontiert sehen. Betrachten wir zunächst die Linie, dann die Knoten.
Das Leben als Fluss
Wir können das Leben als seichten Fluss verstehen oder als Strom, der uns mitreißt und in welchem wir uns ängstlich an das letzte Stück Treibgut klammern, um nicht unterzugehen. Die andere Variante wäre, wie gesagt, der Fluss, auf dem man gemütlich »dahindümpelt«, auf dem man hier und da kleine Stromschnellen umschifft, trotz allem mit der Gewissheit, in einem sicheren Boot zu sitzen, mit einer Ausstattung, auf die man sich verlassen kann.
Komplexe verabschieden
Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen neigen häufig dazu, ein Problem als Strafe zu betrachten. Sei es die Strafe Gottes, weil man sich nicht gut verhalten hat. Sei es die Strafe dafür, weil man sein Leben einfach nicht so gut bewerkstelligen kann wie all die anderen.
Diese Gedankengänge resultieren aus der Kindheit. In der Kindheit haben Menschen wie wir häufig zu Überlebensstrategien greifen müssen, weil wir kleingehalten worden sind. Demzufolge haben wir gelernt, uns zurückzunehmen, möglichst keine Fehler zu machen, um nicht bestraft oder abgewertet zu werden, im Verdeckten entlang zu huschen und die damit verbundenen Gefühle der Angst, Scham und des Minderwerts irgendwie auszuhalten. Wir haben erfahren, fremdbestimmt zu sein, und haben gelernt, still zu leiden.
Doch jetzt sind wir erwachsen. Wir brauchen keine Durchhaltestrategien mehr. Wir sind nicht mehr fremdbestimmt. Wir können selbstbestimmt die Herausforderungen des Lebens angehen und dabei das Leben genießen. Wir entscheiden selbst, inwieweit wir uns von einem Problem entwurzeln lassen.
So leben, als wäre nichts
Sehen wir uns mit einem größeren Problem konfrontiert, gehen unverzüglich alle Alarmglocken los. Panisch machen wir uns an die Lösung des Problems. Wenn wir morgens erwachen, kommt es uns sofort in den Sinn. Abends erschwert uns das Grübeln darüber das Einschlafen. Unser eigentliches Leben stellen wir dabei zurück. Das Problem schwärzt unseren Geist ein. Dadurch machen wir es übermächtiger. Wir füttern es sozusagen und räumen ihm mehr Raum ein, als ihm zusteht. Zudem führen die gedanklichen Verstrickungen dazu, dass die Chance auf eine Lösung in weite Ferne rückt. Ist der Kopf dicht von ängstlichen Erwartungen und Grübeleien, kann man nicht mehr klar denken und kreativ nach einer Lösung suchen. Um Probleme gelassen angehen zu können, müssen wir sie ein Stück weit loslassen.
Aber: Fußarbeit leisten
Zwar besteht der psychologische Kniff darin, das Problem loszulassen, das heißt aber nicht, dass man es verdrängen soll. Sich dem Problem zu widmen, um es aus dem Weg zu räumen, ist natürlich notwendig. Die Fußarbeit muss sozusagen erledigt werden. Wie wir uns dabei fühlen, macht allerdings den Unterschied. Genau deswegen sollten wir uns Lockerheit erlauben, Sport treiben, mit den Kindern spielen, etwas kochen. Abstand zum Problem bekommen. Wir werden erleben, wie mit dieser neuen Leichtigkeit das Problem uns nicht mehr fremdbestimmt und wir immer weniger Angst vor zukünftigen Herausforderungen haben. Einfach, weil sie nicht mehr so lebenseinschneidend sind.
Wir können auf das Leben vertrauen. Für den Anfang gilt wie immer: So tun, als ob. Das Umlernen von Einstellungen braucht Erfahrungen und diese müssen wir zunächst sammeln. Also: Fake it ‚til you make it!
Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.
(Schriftsteller Charles Dickens)
Aug in Aug: Probleme gelassen angehen
Selbstheilung oder -entwicklung funktioniert nicht von heute auf morgen. Man muss sich Zeit nehmen.
Sich die richtige Zeit nehmen
Um ein Problem zu lösen oder eine Herausforderung anzugehen, ist es wichtig, Ungewissheit aushalten zu können. Abwarten können und Geduld haben. Beim Lösen einer Aufgabe benötigt man nun einmal die Zeit, die man braucht. Nimmt man sich zu viel Zeit, läuft man Gefahr, sich zwanghaft zu verstricken, und kommt nicht effizient voran. Nimmt man sich zu wenig Zeit, läuft man dagegen Gefahr zu schludern. Das Ergebnis wäre wenig zufriedenstellend und der Minderwert, der hämisch auf der Schulter sitzt, wird gefüttert: »Siehst du schon wieder eine Pleite. Du kannst nichts.«
Zurückweisung richtig interpretieren
Bekommt man den Job zum Beispiel nicht, obwohl man nach eigenem Ermessen eine gute Bewerbung abgegeben hat, so gilt es nun, diese Ablehnung angemessen zu interpretieren. Nicht: Ich bin nicht gut genug. Sondern: Ich habe ein Angebot gemacht und dieses passte nicht.
Natürlich können wir noch einmal in uns gehen und konstruktiv erwägen, welche Punkte im Lebenslauf oder welche Fähigkeiten wir hätten mehr betonen sollen. Doch diese konstruktive Rückschau hat nichts mit der eigenen Wertigkeit zu tun oder ob man gut oder schlecht ist. Lediglich damit, warum unser Angebot nicht auf diese Stelle passte und wie man zukünftig anders verfahren könnte.
Ängste müssen raus
Ein wichtiges Thema in der Psychologie ist der Umgang mit Ängsten. Verdrängen sollte man Ängste nicht, sonst lassen sie einen niemals los. Ängste sind wie kleine Kobolde im Kopf, die herumwüten und für Unordnung sorgen, solange bis man ihnen die nötige Beachtung schenkt. Folglich geht es darum, die Ängste wahrzunehmen, ihren Ursprung aus der Kindheit zu erkennen, und ihnen zu gestatten, dass sie an die Oberfläche kommen dürfen. Sie müssen zugelassen, erspürt und losgelassen werden. Mit der Zeit werden sie schwächer.
Ausblick: Die seichte Flussfahrt genießen
Mit der weiteren Arbeit an sich selbst werden wir den vormals reißenden Strom, dem wir uns übermächtig ausgeliefert sahen, als seichten Fluss wahrnehmen. Wir erarbeiten uns eine Ausstattung, die unser Boot zunehmend sicherer werden lässt. Und dann beginnen wir, die Flussfahrt des Lebens mit mehr Leichtigkeit zu genießen. Biegungen, Abzweige und Stromschnellen werden wir lernen, mit der Ruhe eines erfahrenen Steuermanns zu bewältigen. Minderwertigkeitskomplexe sind keine feststehenden Charakterstrukturen, es sind Annahmen, die man umlernen kann. Arbeiten wir an der Basis, werden wir Probleme gelassen angehen können.