Das setzt sich im Laufe der Zeit fest und so werden die Leerstellen und Auslassungen der anderen, zu den eigenen. Man verinnerlicht die Gewissheit, dass hier eine Sackgasse ist. Man kommt gar nicht mehr auf die Idee nachzufragen, denn da ist ja nichts, aber irgendwas in einem bleibt dennoch, man kann es nicht sagen, vor allem mit niemandem (aus dem engeren Umfeld) drüber reden, aber manchmal kann der stille Bann gebrochen werden.
Nach diesem Muster funktionieren Familiengeheimnisse und zum Teil auch die intergenerationale Weitergabe von Traumatisierungen im familiären Umfeld, so wie auch in gesellschaftlichen Kontexten oder Narrativen über die eigene staatliche oder ethnische Herkunft. Es gibt, wie beim Individuum, eine positive Mythologie, eine offizielle Lesart, die oft etwas geschönt ist und die bereitwillig immer weiter erzählt und dabei vermutlich immer auch ein wenig verändert wird. Und eben Auslassungen, von denen man manchmal nichts hören will und auch wenig gehört hat, die aber irgendwie nerven und unerwünscht sind, wenn man mal nachfragt.
Diese Weitergabe funktioniert über Generationen hinweg, manchmal auch bis zur Großelterngeneration und die Wege sind die bewusste, vor allem aber psychisch unbewusste Weitergabe im Sinne der Auslassungen. Epigenetiker finden auch Anzeichen für eine körperliche Vererbung von Traumatisierungen an die nächste(n) Generation(en). Ob sexueller Missbrauch, Kriegstraumatisierungen oder der frühe Tod von Familienmitgliedern. Doch man ist dem nicht hilflos ausgeliefert.
Psychisches Erbe oder Muster erkennen
Manchmal fällt einem durch Zufall ein Buch in die Hand, man wird angesprochen oder sieht eine Sendung oder ein Video zum Thema und auf einmal merkt man, dass es die Art beschreibt, die man bei sich immer gefühlt hat. In der Regel wird man dann von selbst hellhörig und Informationen zu sammeln ist der erste Schritt.
Oft findet man sich dort wieder und manchmal doch noch jemanden, den man offen ansprechen kann. Vielleicht verknüpft man die Fragen, mit der eigenen Empfindung und der Erklärung, dass man etwas für sich klären will, in die man vielleicht einfließen lässt, wie und warum man gerade jetzt darauf gestoßen ist. Dass um Traumatisierungen und Tabus herum Barrikaden errichtet werden, hat ja seinen Sinn, man muss mitunter schauen, dass man alte Wunden nicht wieder aufkratzt, hat aber auch das Recht, selbst etwas klären zu wollen, denn mit so einer dunklen Lücke zu leben, ist oft die Quelle eigener, nicht erklärbarer Ängste und das nicht schön.
Auch wenn man niemanden findet, mit dem man das klären kann, so kann man mit anderen sprechen, die in einer ähnlichen Situation sind. Allein Themen bewusst zu machen ist oft schon die halbe Miete oder sogar noch mehr. Therapie oder die geduldige Innenschau sind weitere Erkenntniswege, denn der Clou ist ja gerade, dass man diese Muster auch in sich findet, schließlich leidet man unter ihnen. Die Innenschau ist damit also immer auch die Schau nach Außen und mit jeder zusätzlichen Information von dort wird natürlich auf die Innenschau noch mal verändert, die einzelnen Steine des Mosaiks können Konturen gewinnen. Selbst wenn man sie vielleicht nie mehr ganz rekonstruieren kann, so doch zu einer erweiterten Version der eigenen Geschichte. Man versteht sich selbst besser und das ist der Anspruch und Ansatz vieler therapeutischer Ansätze.
Muster auflösen
Oft ist die Bewusstwerdung schon der größte Teil des Weges, um die Muster wieder aufzulösen. Das Problem an unbewussten Mustern ist, dass sie unbewusst sind. Stehen sie erst einmal im Licht des Bewusstseins, sind sie noch immer belastend, denn wie gesagt, es hat seinen Grund, wenn bestimmte Themen psychisch erst mal tief vergraben sind und nun muss man sich mit ihnen auseinander setzten. Das ist keinesfalls schön und nie ein Spaziergang, aber das Thema kann einem nun keinen Streich mehr aus dem Unbewussten heraus spielen. Dafür dreht und wendet man es und schaut es sich von allen Seiten an und der eigentlich schwierige Schritt besteht für einen selbst nun darin, dass man die eigene Lebensgeschichte umschreiben muss. Erweitert durch das, was man nun außerdem noch über sich weiß.
Andere Ansätze wie EMDR versuchen die Traumatisierung über andere Wege aufzuheben, aber auch hier zeichnet sich ab, dass das, was wesentlich hilft, nicht die Augenbewegungen sind, sondern, dass man sich dem Trauma im Geiste und in einem therapeutisch geschützten Raum noch einmal stellt.
Dies zu tun ist jedoch nicht nur gut für das private Wohlbefinden, sondern ein Dienst an der Menschheit. Gerade wenn man über psychisches Erbe nachdenkt, tradierte Ketten und Muster, die über Generationen weiter gegeben wurden, dann ist es gut, wenn man die Weitergabe dieser Muster unterbrechen kann. Denn leider werden unbearbeitete Muster oft – ohne, dass man es will, aber auch ohne, dass man es verhindern kann – im Wiederholungszwang weiter gegeben.
Etwas anderes ist ebenfalls wichtig, auch wenn es fast banal klingt. Themen die wie Weitergabe von Traumatisierungen über Generationen sind möglich, aber man sollte den Effekt auch nicht überschätzten und sich zu sehr in ihn verbeißen. Es ist gut, mehr zu wissen, um klarer und befreiter sein, wenn man irgendein Thema dann mal durchgearbeitet hat, ist es auch gut, es irgendwann wieder loszulassen.
Wenn man sich ihm in einer bestimmten Phase, idealerweise im Rahmen einer guten Therapie ausführlich widmet, super. Aber es bringt nichts es immer wieder und wieder zu wälzen. Wenn es bewusst ist, ist man mehr als halb durch, integriert bekommt man es in aller Regel auch und dann kann, darf und sollte das Leben auch weiter gehen.
Oft ist es auch nicht einmal schlimm, wenn man mit bestimmten Lebensbereichen Probleme hat, es fällt einem eben nicht immer alles leicht, aber es ist gut, wenn man sich davon in aus der Bahn werfen lässt. Reflexionen sind wichtig, sich etwas anzunehmen auch, aber auch dann muss man nicht unter jeder Last zusammen brechen. Wir sind dazu geeignet viel zu überstehen auch unser psychisches Immunsystem ist über die lange Zeit der Evolution optimiert worden. Nicht alles was traumatisch genannt wird, ist tatsächlich ein Trauma, auch das ist wichtig zu wissen, so dass wir viele Möglichkeiten haben auch noch schweren Phasen ein lebenswertes und nicht selten zufriedenes Leben zu führen, unser psychisches Erbe und seine tradierten, vererbten oder erworbenen Muster sind manchmal geradezu Wegweiser in die richtige Richtung. Denn wenn man bestimmte Lebensthemen bewältigt hat, kann einem nicht mehr viel passieren, außer einem hoffentlich guten Leben.