Ist eine Borderline-Persönlichkeitstörung (BPS) diagnostiziert, können maßgeschneiderte therapeutische Interventionen folgen. Aktuelle Verfahren legen dabei auch immer wert auf die Betonung der Stärken von Borderline-Betroffenen, an denen man therapeutisch ansetzen kann. Neben dem Umgang mit den dysfunktionalen Denk- und Verhaltensmustern ist die Stärkung von Selbstakzeptanz und Selbstwert ein wesentlicher Bestandteil der Therapien. Um die therapeutischen Ansatzpunkte zu verstehen, schauen wir uns zunächst erst einmal an, worin die Ursachen einer BPS liegen können.

Borderline: Ursachenmodell

In der klinischen Forschung wird hinsichtlich der Ätiopathogenese der BPS ein Erklärungsmodell bevorzugt, welches Wechselwirkungen zwischen genetischen und psychosozialen Einflüssen zur Entstehung der Störung miteinbezieht.

Mögliche genetische Einflüsse

Teddy auf Fels am Meer Wellenspritzer

Aufgrund von belastenden Erfahrungen in der Kindheit konnte aus dem mangelnden Urvertrauen kein Selbstvertrauen entstehen. © Jason Jacobs under cc

Torgersen et al. (2000) konnten anhand von Zwillingsstudien einen relativ großen genetischen Anteil (.69) ausmachen. Viele Borderliner scheinen als genetische Veranlagung ein starkes Temperament mit großem Gefühlserleben zu besitzen.

Bei etwa der Hälfte aller Borderline-Betroffenen sollen sich zudem im Rückblick auf die Kindheit ADHS-Symptome erkennen lassen, was ebenfalls für eine gewisse genetische Komponente sprechen kann. (Ob und inwieweit ADHS-Symptome eine klinische Relevanz besitzen sollten – anstatt einer gesellschaftlichen –, verlangt eine separate wissenschaftliche Auseinandersetzung, der hier an dieser Stelle nicht ausreichend gewürdigt werden kann.)
Nicht selten sind Anpassungsstörungen in Verbindung mit hoher Intelligenz zu finden.

Mögliche psychosoziale Belastungen

Bei einer Vielzahl der BPS-Patienten lassen sich an psychosozialen Belastungsfaktoren z. B. sexueller Missbrauch, körperliche Gewalterfahrungen, psychisch-emotionaler Missbrauch oder/und emotionale Vernachlässigung ausmachen. Das Geflecht der Einflüsse, welche zu den dysfunktionalen Verhaltensweisen geführt haben, ist überaus komplex. So facettenreich wie die Schattierungen einer BPS auftreten können, so verschieden können auch die ursächlichen Faktoren sein.
Nicht zwingend müssen beispielsweise sexuelle Traumatisierungen oder körperliche Gewalt in der Vergangenheit stattgefunden haben. Allerdings scheinen bei Betroffenen ohne derartige Erfahrungen emotionale Vernachlässigungen in der Kindheit eine übergeordnete Rolle zu spielen. So erklärt Dr. Birger Dulz, Chefarzt der Abteilung für Persönlichkeitsstörungen und Trauma der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, dass bereits im Säuglingsalter gemachte Erfahrungen mit den Bezugspersonen mit festlegen können, wie stabil die Psyche später wird und ob starke Verlustängste entstehen können:

Therapeutische Ansatzpunkte mit der Betonung der Stärken

Im therapeutischen Kontext werden mit den BPS-Betroffenen klare Vereinbarungen getroffen hinsichtlich der Eindämmung möglicher psychischer und suizidaler Krisen. Diese werden stets vorrangig behandelt.
Die Entwicklung eines offenen und vertrauensvollen Umgangs zwischen dem Patienten und dem Therapeuten ist von enormer Wichtigkeit in der Therapie.

Anknüpfen an den Symptomen

Blume rosa weiß Himmel

Mit der Betonung der Stärken bei Borderline lassen sich gute therapeutische Ansatzpunkte finden. © Faye Mozingo under cc

Das emotionale Erleben von Borderlinern scheint bis zu neunmal stärker zu sein im Vergleich zu einem durchschnittlichen Gefühlserleben. Auch scheint eine langsamere Rückkehr auf das emotionale Ausgangsniveau zu bestehen. Demgegenüber stehen die noch unzureichenden Fähigkeiten, mit einer solchen Impulsivität umzugehen. Die Betroffenen empfinden sich als Spielball ihrer Gefühle. In der Kindheit wurde ihnen nicht selten vermittelt, dass ihre Gefühle fehlerhaft und negativ seien, sie wurden nicht ernst genommen bzw. als überempfindlich und undiszipliniert abgestraft.

Ein therapeutischer Ansatzpunkt besteht unter anderem darin, diese Gefühle benennen und annehmen zu können, aber auch gesunde Fertigkeiten im Umgang mit Spannungszuständen und unkontrollierbaren emotional-impulsiven Verhaltensweisen zu erlernen. Die Selbstakzeptanz soll gestärkt und das Selbstwertgefühl gesteigert werden. Anstelle des Schwarz-Weiß-Denkens werden ausgewogenere Denk-und Verhaltensmuster etabliert (siehe Dialektisch-Behaviorale Therapie).

Anknüpfen an Kindheitsschemata

Die Schematherapie basiert auf der Grundlage, dass jeder Mensch schon in der Kindheit bestimmte Schemata entwickelt hat. Für Borderline-Betroffene beziehen sich die Schemata u. a. auf Verlassen werden, Instabilität, Misstrauen, Missbrauch, emotionale Deprivation, ungenügende Selbstkontrolle/Disziplin, Streben nach Rache/Vergeltung.
Nach Arntz & Bögels (2000) existieren fünf Modi bei der BPS:

Eine BPD-Patientin kann in sehr kurzer Zeit von einer ausgeprägten Emotion oder Stimmung in eine andere wechseln. Die Erklärung des Schema-Modus-Modells hierfür ist, dass die Patientinnen ständig und unkontrolliert von einem Modus in den nächsten wechseln. Young schlug vor, dass die folgenden fünf Modi für BPD charakteristisch sind: der distanzierte Selbstschutz-Modus, der Modus des verlassenen oder missbrauchten Kindes, der Modus des wütenden oder impulsiven Kindes, der bestrafende oder überkritische Modus und der gesunde Erwachsenen-Modus.

Befindet sich der Patient beispielsweise gerade im Modus des verlassenen Kindes muss ein Therapeut dies zulassen können und entsprechend darauf eingehen, weswegen eine vertrauensvolle Therapeut-Patient-Beziehung unbedingt vonnöten ist:

Der Therapeut muss die Gegenwart des Modus der kleinen Nora während der Therapiesitzung zulassen. Er muss die Patientin in diesem Modus unterstützen, ihre Gefühle validieren, ihr Sicherheit bieten, sie eine Beziehung zu ihm als Therapeuten aufbauen lassen und ihren bisherigen Missbrauch ansprechen. Kurz gesagt muss er ihr das bieten, was ihr als Kind verweigert wurde.

Betonung der Stärken

Segelboot auf Sandstrand Malerei auf Leinwand

Selbstmitgefühl und Selbstwert stärken, um die innere Leere bei Borderline zu füllen. © Rah Rehula under cc

Borderliner besitzen nach Eberwein besondere Stärken, welche für die therapeutische Arbeit sehr von Vorteil sein können. Die Selbstbeobachtung in den vergangenen Jahren hat Borderliner mitunter geschult, ihr emotionales Erleben präzise beschreiben zu können, und liefert ihnen einen wichtigen Zugang zu ihrem Inneren. Auch verfügen sie oftmals über eine sensible Wahrnehmung in sozialen Situationen, was eine Auswertung erleichtern kann. Viele Borderliner können intensive Bindungen aufbauen, was die Therapeut-Patient-Ebene zunächst vereinfacht. Mit Feingespür muss im Laufe der Therapie auf beiden Seiten dafür Sorge getragen werden, dass diese Verbindung bestehen bleibt. Gedanklich können Borderliner Extreme ausloten, was ihnen eine große Palette an Variationen möglicher menschlicher Erlebens- und Verhaltensweisen schenkt.

Eine BPS therapeutisch anzugehen erfordert Zutrauen und Geduld auf beiden Seiten, sowohl beim Patienten als auch beim Therapeuten. Im Laufe der letzten Jahre wurden die therapeutischen Ansatzpunkte für Borderline fortwährend und mit Betonung der Stärken bei Borderlinern optimiert, mit dem Ergebnis, dass die Therapieerfolge steigen. Es ist möglich, mit den Facetten einer BPS umgehen zu lernen und eine Verminderung der impulsiven Ausschläge zu erreichen – so aussichtslos es für den einen oder anderen gerade vielleicht in seiner individuellen Situation erscheinen mag. Es ist möglich zu erlernen, mehr im Einklang mit sich selbst zu leben. Habt Vertrauen. Wagt den Schritt. Holt euch Hilfe.