Ein wunderschöner äußerer Moment, in dem Himmel- und Wasserblau verschmelzen. © Waldemar Merger under cc

Verschmelzungen und Einheitserfahrungen gehören zu den großartigsten Erfahrungen die man überhaupt machen oder erleben kann. Dennoch ist über sie erstaunlich wenig bekannt oder sie werden verschwiegen. Wir beleuchten das und untersuchen die Ursachen.

Fast alle Formen der Verschmelzung sind bei uns irgendwie mit einem Makel verbunden, weil sie auf den ersten Blick unsere stillen Übereinkünfte darüber, wie ein Mensch zu sein hat, untergraben. Die Situationen in denen wir Einheitserfahrungen machen sind entweder privat bis intim oder fallen gesellschaftlich nach und nach weg oder sind uns suspekt, ohne dass wir genau begründen könnten, warum das so ist. So kommt es, dass viele Einheitserfahrungen entweder etwas für Kinder zu sein scheinen oder sogar pathologisiert werden. Alles sehr vage, assoziativ und wenig vernünftig und folgerichtig.

Ironischerweise sind die Begriffe, die wir häufig als Erbe der Aufklärung sehen und die daher so oft zusammen auftreten, jedoch selbst Teil einer eher assoziativen Wolke, bei der die genanntem Begriffe eher im Rudel auftretend genannt werden, was auf eine irgendwie selbstverständliche innere Verbindung verweisen soll. Doch diese Assoziationen sind selbst eher irrational und undifferenziert:

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Mal betont man ein paar Begriffe stärker als andere – wer will, kann auch noch weitere einflechten – aber alles in allem spürt man die innere Verbundenheit dieser Begriffe oder hat es zumindest so gelernt. So scheint klar zu sein, dass, wer gegen gegen ‚die Wissenschaft‚ ist, gleichzeitig gegen den Fortschritt ist, damit auch gegen die Moderne, ein Anithumanist und ein Feind der Demokratie.

Dabei hatte man doch nur gesagt, dass man die Homöopathie nicht so schlecht findet und schon beginnt ein Orkan, an dessen Ende man schuld man am Untergang der Menschheit ist. Dabei geht es nicht um einen Frontalangriff auf diese Position, wichtiger scheint mir, dass man versteht, was da gespielt wird und damit auch auf dem Spiel steht. Die Wut kommt aus der Angst und sie besteht davor, dass man intuitiv spürt, dass wir nicht nur in einer Zeitenwende leben, sondern auch und vielleicht vornehmlich, dass unsere Erzählungen, also unserer Erklärungsarten, nicht mehr hinreichen, um die Veränderungen unserer Zeit Sinn und Orientierung stiftend zu erfassen und zu begleiten. Wir erleben die an sich spannende Phase des Niedergangs eines Weltbildes. Betrachten wollen wir diesen Niedergang vor der Hintergrund des Umgangs mit Verschmelzungen und Einheitserfahrungen.

Der Orgasmus ist erlaubt und über den spricht man nicht

Erlaubt heißt, er wird in der Regel heute nicht mehr kritisch gesehen. Fast jeder kennt das Gefühl, erlebbar allein, zu zweit oder in der Gruppe. Man kriegt eigentlich nie genug davon. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand sagt, einen Orgasmus habe ich jetzt ein paar mal erlebt, kenn‘ ich jetzt, brauch‘ ich nicht mehr. Auf der anderen Seite ist er aber auch nicht wie Essen oder Trinken, er ist keine Notwendigkeit, ohne die man nicht überleben könnte. Kann man sehr wohl, das Leben wäre nur ärmer.

In den meisten biologischen Theorien ist man fixiert auf den evolutionären Nutzen. Ob etwas schön ist, wie die Kunst oder Spaß macht, wie das Spiel, immer muss ein Nutzen erkennbar sein, dann sind wir zufrieden. So sagt man, dass Katzen spielen, damit sie später erfolgreicher Mäuse fangen und dass dies der eigentliche Nutzen des Spiels sei. Dass das Spielen auch Spaß macht, sei eine geschickte Beigabe der Evolution, damit auch schön trainiert wird. Allerdings fand man experimentell heraus, dass junge Katzen, die man am Spiel hinderte, hinterher ebenso gut Mäuse fingen.

Beim Orgasmus soll es ebenso sein. Er macht halt Spaß, damit man Sex hat und sich fortpflanzt. Allerdings gibt es wohl kaum etwas, was heute von seiner biologischen Funktion mehr entkoppelt ist, als ein Orgasmus oder eben Sexualität und Fortpflanzung. Man erlebt Sex reichlich und immer wieder, nur eben höchst selten mit der Absicht der Fortpflanzung verbunden. Man weiß, dass fast jeder das Gefühl kennt, aber man spricht nicht drüber. Vielleicht noch in der Pubertät oder im Kreis engster Freundinnen, aber nicht mal in der Partnerschaft ist das Thema Standard, gemeinsamer Sex ja auch nicht mehr zwingend.

Öffentlich ein Thema das nicht oder wenn, dann eher technisch besprochen wird. Aber Montags zur Arbeit zu kommen und vom Wochenende zu erzählen: „War toll, ich habe sieben Orgasmen gehabt“ und diese sogar noch näher auszuführen, ist nicht denkbar. Geparkt in der Sphäre der Subkultur: Jeder weiß, da gibt es was, was jeder kennt, aber man spricht nicht drüber. Was den Orgasmus aber unter anderen ausmacht ist, dass er auf einfache Weise Spannungen reduziert und vor allem auch eine Erfahrung der Verschmelzung sein kann. Ich und der andere, für Momente ganz eins. Ein im besten Falle wunderbares und die Beziehung vertiefendes Gefühl.

Weitere Möglichkeiten der Verschmelzung

Alkohol und andere Rauschdrogen

An erster Stelle sind da vermutlich Alkohol und Drogen zu nennen. Alkohol ist der Weichzeichner für die Psyche, der Entspannungstrinker der häufigsten Trinkertyp. Alles wird etwas wärmer, runder, weniger stressig. Die weite Verbreitung von 96% derer, die bei uns Alkohol trinken zeigt an, dass wir Entspannung offenbar dringend nötig haben. Alkohol kann man gut dosieren, so wie man es braucht, um die Welt besser ertragen zu können. Er enthemmt und macht lockerer. Trinkt man gemeinsam etwas mehr, fallen Hemmungen verschiedener Art bis man einen Rausch erlebt, der durchaus schön ist, sonst würde es niemand tun. Weniger schön ist oft der Tag danach oder wenn das Trinken zur Sucht wird.

Cannabis, Amphetamine und Kokain sind die folgenden Drogen, die das Bewusstsein verändern und uns ebenfalls helfen können Grenzen chemisch zu überwinden. Risiken und Nebenwirkungen inklusive, aber auch wenn reichlich gebraucht, so ist es doch nicht gesellschaftlich angesehen, sich chemisch zu entspannen und der Gedankentest macht klar, dass auch dieses Thema am Montag bei der Arbeit keines ist, was man breit treten sollte.

Schlafen und Tagträumen

Ein natürlicher Weg der Verschmelzung ist der Schlaf, in dem wir Träumen und in andere Welten vordringen, sofern wir noch träumen. Auch das passt nicht so richtig zu unserem Lebensstil, der aktiv und produktiv sein sollte, also schlafen …? Viele können es schon nicht mehr und leiden unter Schlafstörungen oder müssen sich chemisch runter regulieren. Der Schatten der andauernden Aktivität und vorgespielten oder tatsächlichen Leistungsbereitschaft in der Leistungsgesellschaft.

‚Träum‘ nicht‘, sagen wir und meinen, dass jemand endlich auch aktiv werden sollte, statt einfach herum zu sitzen und in Tagträumen versunken die Gegend zu starren. Dabei beneiden wir das durchaus, wenn wir die Kindheit romantisieren, wo alles noch schön einfach schien. Oder das Künstlerleben, was aber zum Teil in der Phantasie ebenfalls anders ist, als man es sich vorstellt.

Spielen

Kinder leben zwar nicht annähernd in einer so unbeschwerter Welt, wie viele Erwachsene es glauben möchten, aber tatsächlich haben sie die Fähigkeit im Spiel versunken lange in ihrer eigenen Welt zu verweilen. Auch Jugendlichen und etlichen Erwachsenen gelingt das noch, die ebenfalls ausgedehnt in die virtuellen Wunder- und Phantasiewelten abgleiten und sich dort oft wesentlich wohler fühlen, als in der realen Welt, die ihnen nicht immer etwas sagt und gibt.

Sowohl Kinder als auch Erwachsene daddeln dabei aber nicht einfach irgendwie rum, sondern sind hoch konzentriert, engagiert und oft kreativ bei der Sache und haben riesigen Spaß dabei. Anerkannt ist freilich auch das nicht. Auch Spaß ist kein Selbstzweck des Lebens, das gerade bei uns oft als gelungen gilt, wenn etwas verbissen und mit eisernen Disziplin errungen wurde. Denn das Leben ist kein Spiel, sondern Ernst, wenn nicht Kampf, auch das wollen uns verkürzte Erzählungen der Biologie lehren.

Mit Brot und Spielen, stellt man das tumbe Volk ruhig, das ist was für den Feierabend, wenn man frei hat, nicht fürs Leben. Zum Entspannen und Ablenken okay, wenn man seine Pflicht getan hat.