Chronische Traumatisierungen in der Kindheit zeigen sich manchmal nur sehr diffus im Erwachsenenalter. Viele von uns wissen gar nicht, dass sie im Grunde traumatisiert sind. Wie auch? Wir leben mit unseren Annahmen über uns und das Leben schließlich bereits ein ganzes Leben lang. Wenn wir in der Kindheit übergriffigem Verhalten ausgesetzt waren, so glauben wir vielleicht, dass dies ein normaler zwischenmenschlicher Umgang sei. Wir sind es einfach gewohnt, in der Art behandelt zu werden. Doch nimmt man es genau, sind wir vom psychologischen Standpunkt her traumatisiert und verfügen nicht über ein mentales Gleichgewicht in unserem Inneren. Welche Anzeichen von Traumatisierung in der Kindheit kannst du im Erwachsenenalter spüren?

Traumatisierung in der Kindheit – aber kein Elternbashing!

Zu Beginn des Artikels möchten wir jedoch gleich vor etwas warnen. Menschen, die sich auf die Ursachensuche ihres diffusen Innenlebens begeben, neigen schnell dazu, die Eltern dafür verantwortlich zu machen. Bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, körperlicher Gewalt, starker emotionaler Vernachlässigung und starkem psychischem Missbrauch etc. haben die Vorwürfe und die Wut selbstverständlich ihre Berechtigung.

Ungeachtet dessen können aber auch weniger offensichtliche Traumatisierungen in der Kindheit stattgefunden haben. Auch diese können mit Verlassensängsten, mit der Angst vor Kontrollverlust, mit dem Untersagen der eigenen Gefühle, der Überschreitung persönlicher Grenzen und mit getriggertem Minderwert etc. einhergehen. Es gibt unzählige Fehlverhaltensweisen im zwischenmenschlichen Umgang, welche Kinder traumatisieren können. Gerade emotionaler Missbrauch geschieht in einer Grauzone, welche viele Abstufungen aufweisen kann, beginnend von einzelnen Herabsetzungen in emotionalen Ausnahmesituationen bis hin zur tagtäglichen unterschwelligen Demütigung.

Emotionale Aufarbeitung ist unsere Aufgabe

Uferlandschaft schwarz weiß

Der undurchdringliche mentale Nebel in dir könnte ein Hinweis auf eine Traumatisierung sein. © Matthias Ripp under cc

Unsere Eltern gehören einer anderen Generation an, die vermutlich ebenfalls relativ häufig mit Traumatisierungen zu kämpfen hatte, aber weniger Bereitschaft zur Aufarbeitung hatte, weil die psychosoziale Aufklärung heute schlichtweg größer ist. Kurzum: In vielen Fällen wussten es die Eltern einfach nicht besser. Wirft man seinen Eltern vielleicht vorschnell solche Traumata vor, werden viele womöglich mit Tränen in den Augen fassungslos vor dir stehen und nicht wissen, wie ihnen geschieht.

Deshalb ist eine Traumaaufarbeitung in psychologischer Begleitung sinnvoll, um nicht vorschnell voreilige Schlüsse für das zukünftige familiäre Miteinander zu ziehen. Auch Selbsthilfegruppen, Beratungen oder auch Gespräche mit Freunden können helfen, die verschlungenen Wege deiner Psyche zu eruieren. Ein ruhiges Gespräch mit den Eltern oder den Geschwistern zu suchen, kann natürlich ebenfalls hilfreich sein. Doch bedenke, wie offensiv du deine Vermutungen formulieren möchtest, lass deinen Groll außen vor, denn auch du trägst Verantwortung für dein Verhalten.

Schauen wir uns zunächst erst einmal an, wie sich eine unbestimmte Traumatisierung in der Kindheit im Erwachsenenalter zeigen kann.

Anzeichen von Traumatisierung in der Kindheit

Im Erwachsenenalter gibt es verschiedene Anzeichen von Traumatisierung in der Kindheit. Die nachfolgend aufgeführten Anzeichen stehen nicht zwingend für Traumatisierungen und sind in ihrer Aufzählung auch nicht erschöpfend. Sie können lediglich ein möglicher erster Hinweis für Traumatisierung in der Kindheit sein.

Du fühlst dich wertlos

Wenn du dich wertlos fühlst und glaubst, nicht gut genug zu sein, kann dies ein Anzeichen für eine Traumatisierung in der Kindheit sein. Vielleicht denkst du, dass du es verdient hast, alleine zu sein oder dass dich keiner liebt.

Du hast große Unsicherheiten im Zwischenmenschlichen

Beine Schuhe Jungen auf Bank Rückansicht

Andere können problemlos Freundschaften knüpfen, du tust dich damit schwer. © Rainier Martin Ampongan under cc

Auch dass du starke Verunsicherung im zwischenmenschlichen Miteinander hast, kann für eine kindliche Traumatisierung stehen. Du weißt nicht, wie man Beziehungen führt. Eventuell boykottierst du deine Beziehungen. Oder du ordnest dich zu sehr unter. Oder du glaubst, du musst dich anstrengen, um geliebt zu werden.
Außer vielleicht aus Fernsehfilmen oder Büchern verfügst du über kein vernünftiges Rollenmodell dahingehend, wie eine gesunde, respektvolle Beziehung auf Augenhöhe geführt werden könnte. Vielleicht weil man dir in deiner Kindheit nicht mit einem Miteinander in Würde begegnete, deine Grenzen immer wieder übergangen wurden und deine Identitätsentwicklung nicht respektiert wurde. Solche Fehlverhaltensweisen gegenüber Kindern können langfristig zu chronischen Traumatsierungen führen, die sich im Erwachsenenalter im Erleben und Verhalten manifestiert haben. Eventuell glaubst du, nicht beziehungstauglich zu sein.

Du kannst keine Grenzen setzen

Dies bringt uns zum nächsten Punkt. Weil man deine Grenzen in der Kindheit nicht akzeptierte, kannst du selbst auch keine beziehungsweise nur schwer Grenzen setzen. Wenn du es tust, fühlst du dich sofort schuldig, so als hättest du kein Recht dazu. Vermutlich hältst du auch lange Zeit die Nichtakzeptanz deiner Grenzen aus und plötzlich mündet der fehlende Respekt gegenüber dir und deinem Leben in einem aufgestauten Wutausbruch.

Deine Gefühle sind nicht in Balance

Womöglich bist du abgestumpft oder melancholisch oder aber du besitzt eine überaus starke, facettenreiche Emotionalität. Du empfindest große Wut, aber auch große Ängste, übertriebene Freude und so manches Mal eine gewisse leere Euphorie. Die positiven Gefühle, welche du empfindest, scheinen sehr intensiv zu sein, aber sie wirken auch irgendwie ausgehöhlt und leer.

Bestimmte Sachen triggern dich

Selbst wenn du nicht sagen kannst, woher deine Gefühle kommen, dennoch gibt es bestimmte Menschen, Situationen oder Kontexte, welche dich triggern. Du spürst ein Unwohlsein, Ängste, Groll, Abscheu etc., ohne vielleicht in der aktuellen Situation eine wirkliche Ursache dafür benennen zu können.

Du hast unbestimmte Rückblicke/Flashbacks

Hin und wieder hast du Gedanken oder Erinnerungen, die dich nicht loslassen. Sie sind sehr raumnehmend und du begreifst vielleicht noch gar nicht, was sie dir sagen wollen. Vielleicht hast du auch Flashbacks, also erlebst rückblickend Situationen gedanklich und emotional noch einmal. Dann ist es so, als wärst du wieder in dieser Situation von damals, spürst, wie du dich damals gefühlt hast usw.

Du hast viele Ängste

Gelbe Sessel um Tisch

Lieber das Gespräch mit einem Therapeuten suchen, wenn die Ängste Überhand nehmen. © dankueck under cc

Du hast unbestimmte Ängste und verspürst Panik in Situationen, welche neutral betrachtet nicht Panik-auslösend sind. Vielleicht traust du dich nicht U-Bahn zu fahren oder ein bestimmter Geruch verschafft dir ein negatives Gefühl. Vielleicht kannst du es nicht ertragen, wenn jemand deine Füße festhält oder dir den Weg versperrt. Oder du betäubst all diese Ängste mit Alkohol.

Du hast Panik, verlassen zu werden

In der Partnerschaft oder in Freundschaften fürchtest du, verlassen zu werden. Sobald du Grenzen setzt und für dich einstehst, denkst du, der Andere könnte in einem Anfall von Empörung und Wut gehen und dich zurücklassen. Und nie wieder zurückkehren. Diese Angst vor dem Verlassenwerden steht unmittelbar in Zusammenhang mit dem Gefühl, wertlos und nicht liebenswert zu sein. Auch Schuldgefühle spielen hier mit rein. Du fühlst dich für alles verantwortlich und glaubst, das Verhalten anderer beeinflussen zu können.

Es ist ein unbestimmtes Konglomerat, das wie ein undurchsichtiger Nebel in deinem Kopf wabert. Du spürst diese negativen Anzeichen, weißt aber auch nicht, woher diese genau stammen. Natürlich kann und sollte man die Ursachen für eine Traumatisierung in der Kindheit eruieren, bestenfalls auch mit professioneller therapeutischer Unterstützung. Doch im zweiten Schritt geht es darum, diese Fehlannahmen über sich und das Leben loszulassen und es zukünftig anders anzugehen.