Damit wir uns selbst den Weg versperren können, muss eine Art Lebensweg vorgezeichnet sein. Vielleicht nicht minutiös, aber durch offene oder stille Erwartungen.
Diesen Erwartungen können wir entsprechen und manchmal sind alle damit zufrieden. So kann man es sich für frühere Zeiten vorstellen, wenn die Kinder eines Kaufmannes, Bauern oder Handwerkers, aber auch von Künstlern, Ärzten und Anwälten oft schon qua Geburt in das jeweilige Milieu eingefädelt wurden. Die Themen, die beredet wurden, der typische Tagesablauf, die Bekannten, die zu Besuch kamen, all das drehte sich auch ein Stück weit um den Beruf des Vater oder der Eltern.
Wenn du groß bist, wirst du mal den Hof, die Praxis oder die Kanzlei übernehmen, das stand oft schon durch die Reihenfolge der Geburt fest. Ob man das wollte, war kaum eine Frage, die ernsthaft im Raum stand, oft auch wegen einer mangelnden Alternative.
Die Zeiten haben sich geändert, viele Menschen leben heute als Angestellte, da ist der Drang zur familiären Fortführung des elterlichen Berufs nicht unbedingt gegeben. Einige Erwartungen bleiben jedoch, so auch an ein nicht mehr aktuelles, wenngleich positives Relikt aus dem ausklingenden letzten Jahrtausend: Die Kinder sollten es mal besser haben. Irgendwo hat man das noch immer im Hinterkopf und auch, dass sie möglichst gut ausgebildet sein sollten. Doch Bildung ist kein Jobgarant mehr und auch keiner, zu einem guten Leben durch eine Arbeit, die einem gutes Einkommen und Anerkennung sichert. Unser Land ist sozial ziemlich undurchlässig, das heißt, mit Beziehungen kommt man oft weiter, als durch eine gute Ausbildung.
Aber so oder so, die Idee ist da, dass die Nachkommen es besser haben sollen, beigemengt heute oft noch die Idee, dass die Konkurrenz (also die Nachkommen anderer Eltern) nicht schläft und so macht man Praktika, sollte schon studieren, aber eben auch zeigen, dass man sozial engagiert ist und etwas Auslandserfahrung könnte auch helfen, vor allem, wenn man dadurch auch noch relevante Sprachen erlernt und zeigt, dass man was von der Welt gesehen hat.
Hemmungen
Diese Ansprüche merkt man, selbst wenn die Zukunft der Nachkommen nicht offen thematisiert wird, sondern wenn die Erwartungen subtil vermittelt werden. Womöglich immer dann, wenn man wirklich mal eigene Ideen hat. Die ersten Wünsche Prinzessin, Astronaut oder Feuerwehrmann zu werden zu wollen, mögen noch nicht ernst genommen werden, aber irgendwann wird es ernster.
Es kann durchaus sein, dass die Planung der Eltern gut mit dem eigenen Leben zusammen passt. Wer früher den Schneiderberuf familiär erlernte oder den elterlichen Hof übernahm, der musste damit nicht unglücklich sein, vor allem in einer Zeit in der es wenig Alternativen gab und die Übernahme auch eine Auszeichnung war. Man führte, nicht selten mit Stolz, eine Familientradition fort. Heute sind die Möglichkeiten breiter gestreut, Freiheiten und Unsicherheiten wachsen und bedingen einander jedoch.
Da können einen Zweifel beschleichen, ob man der Aufgabe es besser hinzukriegen gewachsen ist. Eventuell will man auch gar nicht den vorgeschriebenen Weg gehen, vor allem, wenn die Eltern es selbst schon einigermaßen weit gebracht haben. Wie soll man das noch toppen und was, wenn man in eine ganz andere Richtung gehen möchte und Polizist oder Arzthelferin werden möchte, statt Jurist oder Ärztin mit eigener Praxis?
Aber die Psyche ist komplex und das Wertesystem und die Vorstellungen der Eltern werden verinnerlicht, was allerdings zu dem Gefühl führt, es seien immer schon die eigenen gewesen. Es kann zum inneren Kampf gegen sich selbst führen, internalisierte Ansprüche treffen auf andere Teile des Ich und ringen mit einander. Das fühlt sich nicht gut an und führt zu Hemmungen. Beim Auto entspricht das ungefähr der Situation, wenn man Gas und Bremse gleichzeitig tritt. Nur merkt man nicht immer, dass und warum man das tut und wie wir uns selbst den Weg versperren.
Vulgärpsychologische Ratgeber
Vulgärpsychologie ist eine etwas abfällige Bezeichnung für Erklärungsmuster, die die komplizierten Wechselwirkungen der Psyche auf wenige, am besten auf ein Muster reduzieren und dann scheint alles ganz einfach zu sein. Typisches Beispiel ist die Sichtweise, dass wir alle unser unbewusstes Potential nicht nutzen würden, was angeblich 90% ausmacht, dass man das aber durch Selbstsuggestion und Affirmation nutzen könne und dann wird gezeigt, wie das geht, dass man sich in Eigenregie umprogrammiert.
Wo obiger Ansatz ganz auf die Kraft des Inneren setzt – und die etwas naive Vorstellung der möglichen Umprogrammierung – setzen andere auf das Gegenteil, die Kraft des Äußeren, der Erscheinung und wie man an ihr arbeiten kann. So werden dann sämtliche Teilbereiche der Gesamterscheinung abgegrast, von der Körpersprache über Mimik und Gestik, die Stimme, den Händedruck, die Kleidung, die Farbzusammenstellung und dergleichen.
Es stimmt schon, all das macht etwas aus, nur muss es auch zusammen passen und vor allem zur eigenen Persönlichkeit. Dass man sich da dem Erfolgstypus anpassen will, ist schon etwas gekünstelt und dass man dadurch besonders individuell sein soll, dass man so ist, wie alle, ist ein Gedanke, dessen Fehler man erkennen kann.
Aber innere oder äußere Wege, die vulgärpsychologischen Ratgeber haben die Lösung, oft in der Form, dass man nur richtig wollen muss, wie bei den Business-Seminaren der Jahrtausendwende, auf die alle so abfuhren, als Börse und Wirtschaft noch ‚Hui‘ war. Jeden Tag muss man etwas mehr wollen, früher aufstehen (ganz wörtlich), härter an sich arbeiten, man optimiert Auftritt, Aussehen, Spannkraft und schon steht dem Erfolg nicht mehr im Wege.
Wenn doch, ist der Schuldige schnell gefunden, man hat eben nicht hart genug an sich gearbeitet, der Beweis sind die anderen, die Erfolg hatten. Also festerer Händedruck, geschicktere Kleiderwahl, forscherer Blick und noch weitere Affirmationen und Selbstsuggestionen für den Erfolgsmenschen.