Auf vielen psychologischen Webseiten – auch auf dieser – liest man, dass man Grenzen setzen sollte. Wenn uns ein Mensch oder eine bestimmte Beziehungskonstellation nicht gut tun, sollten wir gehen. Und doch fällt es vielen von uns schwer. Zwar verstehen wir in der Theorie, wie das Setzen von persönlichen Grenzen erfolgt und wann es besser wäre, sich von einem anderen Menschen zu trennen, aber an der Umsetzung in der Praxis hapert es meistens. Die Gründe dafür können durchaus widersprüchlich sein. Nicht umsonst stellen viele sich gewiss nicht zum ersten Mal die Frage: Warum schaffe ich es nicht, meine Affäre zu beenden?
Wegen widersprüchlicher Gefühle nicht klar denken können
Erwägt jemand, sich aus einer Beziehung, Affäre oder Freundschaft Plus zu trennen, tobt in ihm nicht selten ein Sturm. Auf der einen Seite befürworten die Liebe und die Sehnsucht nach dem anderen das Aufrechterhalten der Verbindung. Andererseits lassen sich die Zweifel nicht mehr ausblenden, sobald man merkt, dass die negativen Empfindungen in Zusammenhang mit der Affäre stärker werden und sich kaum noch wegdiskutieren lassen. Der Kopf weiß, dass er gehen muss, allerdings das Herz spricht dagegen.
Trennungsunsicherheit durch die Ambivalenz des anderen
Begleitet werden die Zweifel am Trennungsentschluss manchmal von Schuldgefühlen, vor allem wenn der Affären-Partner noch an dem Zusammensein festhalten möchte. Das ist besonders bitter, weil der Partner euch zwar auf Abstand hält, aber derjenige ist, der von eurer unverbindlichen Konstellation mehr profitiert, weil er weniger emotional eingebunden ist. Ungeachtet dessen äußert er eventuell sogar seine tiefe Zuneigung zu dir, möchte aber dennoch nichts an der Unverbindlichkeit eurer Konstellation ändern. Diese widersprüchliche Bindung zu dir und die Ambivalenz in seinem Verhalten verstärken deinen Zwiespalt, ob du dich trennen solltest.
Möglicherweise ist er derjenige, der die Weihnachtsfeiertage und Urlaube nicht alleine verbringen muss, weil er verheiratet ist. Vielleicht wird sein Gesprächsbedarf bereits ausreichend von dem Ehepartner abgedeckt und er hat kein Interesse an gemeinsamen Gesprächen mit dir. Eventuell gehört dein Affären-Partner auch zu den Menschen, welche gar keine Beziehung möchten. Er ist unfähig zur partnerschaftlichen Nähe und möchte im Grunde nur unkomplizierten Sex. Es gibt viele Gründe, warum Menschen eine Affäre eingehen. Im Laufe der Zeit entwickelt sich bei nahezu allen Konstellationen ein emotionales Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten, weil einer mehr als der andere empfindet und ein größeres Interesse an der Verbindung hat.
Ständige Selbstzweifel: Entscheide ich mich wirklich richtig?
Ein Großteil derer, die sich die Frage stellen: „Warum schaffe ich es nicht, meine Affäre zu beenden?“, gehört zu denen, für die die Affäre mit beispielsweise einer verheirateten Person von Nachteil ist. Sie empfinden neben den Liebesgefühlen und der Angst vor dem Trennungsschmerz eine große Selbstunsicherheit, Schuldgefühle und das Bewusstsein, Verantwortung für das Wohlergehen von anderen zu haben. Sie haben Angst davor, dass sie den Entschluss, sich zu trennen, bereuen werden, es aber dann womöglich kein Zurück mehr gibt. Menschen, die zu Selbstzweifeln neigen, sind es gewohnt, sich an die widrigsten Umstände anzupassen. Sie haben nicht gelernt, für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen, und können quasi mit „fast allem“ leben. Diese Empfindungen stehen beim Streben nach Selbstabgrenzung und beim Beenden einer Affäre im Weg.
„Ich schaffe nicht, die Affäre zu beenden“ vs. Schluss machen
Als Leitlinie beim Grenzen setzen kann folgender Rahmen dienen: Grundsätzlich setzt man Grenzen, wenn ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Situation oder Konstellation nicht mit unserem Wertesystem übereinstimmen. Bin ich ein Mensch, dem Treue, Aufrichtigkeit und Respekt sehr viel wert sind, möchte ich mich eigentlich nicht in eine Affäre mit einem verheirateten Menschen begeben. Verliebe ich mich trotz allem in diesen Menschen und lasse mich auf ihn ein, so werden die nächsten Wochen und Monate meines Lebens von einem großen Hadern begleitet sein. Nach der anfänglichen Verliebtheitseuphorie bemerkt man die Nachteile, die emotional und im Leben im Zuge der Affäre – der halbherzigen Schwester einer Beziehung – entstehen. Wir spüren den Schmerz des Vermissens, sobald der andere nicht bei uns ist, und ahnen, dass der Affären-Partner nie wirklich zu uns gehören wird.
Kognitive Dissonanz in der Affäre: ein Zustand innerer Anspannung
Wenn unsere Einstellungen, Wünsche, Gefühle, Lebenslagen und Handlungen nicht miteinander übereinstimmen, erleben wir eine sogenannte kognitive Dissonanz. Eine innere Spannung beziehungsweise einen unangenehmen Gefühlszustand, der uns unaufrichtig, nicht ausbalanciert und wenig in Einklang mit uns selbst fühlen lässt. Dieser Zustand kann so weit gehen, dass er nicht nur Einfluss auf unser emotionales Erleben, sondern auch auf unser Selbstkonzept und unseren Selbstwert nimmt.
Wir sind nicht mehr die Person, die wir gern sein würden. Wir erleben uns nicht mehr als gleichwertigen Menschen, der mit seinen Werten im Einklang steht. Unbewusst nehmen wir uns als Anhängsel von jemandem wahr, der aus bestimmten Gründen keinen ernsthaften, verbindlichen Kontakt mit uns möchte.
Verdrängung ist die falsche Strategie
Das ist der Punkt, an dem für viele die Verdrängung beginnt. Wenn wir unser Verhalten nicht unseren Wertvorstellungen anpassen können, zum Beispiel weil wir den anderen lieben und deshalb in einer Affäre feststecken, neigen wir dazu, unsere Wertvorstellungen an das Verhalten anzupassen. Versuchen es zumindest. Wir reden uns ein, dass eine Affäre doch eigentlich ganz cool ist. Oder wir versuchen uns selbst weiszumachen, dass wir keine richtige Beziehung wollen. Doch letztendlich spüren wir in uns die wirkliche Wahrheit, die lautet: Ich schaffe es einfach nicht, die Affäre zu beenden.
Anfangs hoffen wir womöglich noch, der geliebte Andere würde seinen Lebenspartner verlassen und sich uns zuwenden. Oder wir glauben, wenn wir nur lange genug um den Freiheitsliebenden kämpfen, gibt er seinen Wunsch nach Unabhängigkeit auf und möchte vielleicht doch eine feste Beziehung.
Vor allem wenn Andeutungen in Bezug auf eine gemeinsame Zukunft seitens des anderen mit im Spiel sind, schaffen wir es lange Zeit, die Wahrheit vor uns selbst zu verschleiern. Doch das Verhalten des anderen und der Beziehungsstatus, in dem man sich mit ihm befindet, sprechen für sich, das spüren wir. Fatal ist leider, dass in uns allmählich der Irrglaube heranreift, nicht liebenswert zu sein. Immerhin scheinen wir nicht für unser Gegenüber als Beziehungspartner in Frage zu kommen …?
Trotz Trennungsschmerz die kognitive Dissonanz beseitigen
Mit der Zeit dämmert uns, dass der Zwiespalt des Gegenübers – weil dieser sich beispielsweise zwischen zwei Menschen entscheiden müsste und keinen verlieren möchte – nicht unser Zwiespalt ist. Seine mangelnde Verantwortungsübernahme für sein fehlerhaftes Verhalten geht zu unseren Lasten, emotional und kognitiv. Unsere Selbstabgrenzung wird zwingend notwendig. Trotz des Liebeskummers müssen wir gehen. Längst ist aus dem Ende mit Schrecken ein Schrecken ohne Ende geworden. Begleitet wird dieser Prozess der Abwägung von einer emotionalen Aufruhr, schließlich liebt man die Person. Erst wenn der Schmerz zu bleiben, größer ist, als der Schmerz zu gehen, entscheiden sich die meisten für einen Schlussstrich.
Nach der Trennung verspürt man neben vielen Zweifeln, großer Trauer und unbestimmten Ängsten auch eine gewisse Ruhe. Zunächst nehmen viele von uns diese nur unterschwellig wahr, doch schenkt man ihr zunehmend Beachtung, wird sie deutlicher spürbar. Diese Ruhe, die wir wahrnehmen, ist das Resultat der kognitiven Dissonanzbeseitigung. Die Ruhe ist unser Leuchtturm. Sie zeigt uns, wie wir ein Leben in Einklang mit unseren Werten führen können.
Welche Tricks können uns dabei helfen, die Stolpertsteine auf dem Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit uns selbst zu umgehen? Damit wir es schaffen können, die Affäre zu beenden? Im nächsten Abschnitt unserer Reihe „Trennung trotz Liebe“ geben wir dir eine Landkarte der Emotionen an die Hand, die dich im Prozess der Trennung begleiten können, und zeigen dir, wie du mit ihnen umgehen kannst, um bei deiner Trennungsentscheidung zu bleiben. Diesen Leitfaden zum Schluss machen siehst du hier: Beziehung beenden trotz Trennungsschmerz: Endgültig Schluss machen – Trennung trotz Liebe (2).