Soziale Rollen zu vergeben

Glühbirne

Elektrisches Licht war eine echte Sprunginnovation. © Theo Crazzolara under cc

Es ist vielleicht eine der schmerzhaftesten Aussagen über einen Menschen, dass man ihm sagt, er sei im Grunde überflüssig. Niemand braucht dich und es wäre besser, du wärst nicht hier. Etwas technischer ausgedrückt, es fehlt an sozialen Rollen. Gunnar Heinsohn hat diesen Punkt in Söhne und Weltmacht stark gemacht, in dem er erklärte, dass es in Gesellschaften mit begrenzten sozialen Rollenangeboten und im Vergleich dazu mit überzähligen jungen Männern zu einem Konflikt um diese knappen Rollen kam. Um Brot wird gebettelt, um Posten geschossen, sagt Heinsohn.

Menschen wollen nicht einfach nur überleben, sondern im Leben auch, in doppelter Bedeutung des Wortes, eine Rolle spielen. Die Situation bei uns in Europa und noch spezieller in Deutschland ist, dass wir wenige Kinder haben, die immer mehr alte Menschen versorgen müssen. Nebenher noch eigene Kinder zur Welt bringen sollen, Karriere machen, für die eigene Rente vorsorgen, ach ja und noch eben die Welt retten. Das Modell Sparkonto ist out, also geht man in Fondpakete, das klappt schon, gesetzt, die Wirtschaft bricht nicht ein, was einem im Angesicht von Pandemie, Klimawandel und so weiter leider niemand sagen kann.

Vielleicht, neben der ungleichen Verteilung des Geldes in der Gesellschaft, ein Argument für eine andere Säule im Lebensansatz. Wenn in einer Gemeinschaft jeder ausreichend von dem bekommt, was er wichtig findet und braucht und dazu eben nicht nur die Grundbedürfnisse gehören, die man zum Überleben braucht, wie wäre das? Wenn man sich einbringt, wenn ein anderer aus der Gemeinschaft etwas braucht? Weil man Klempner ist, Bäcker oder Arzt. Wie sich jemand einbringt, ist eigentlich egal, dass er oder sie es tut, ist entscheidender.

Wir ziehen in unserer Gesellschaft einen Strich mit dem viele nicht gut klar kommen. Man wird von einem Tag auf den anderen Rentner. Für manche kommt dieser Tag zu spät, für andere zu früh. Auf einmal sitzt man zu Hause und wird im Grunde, gesellschaftlich gesehen, nicht mehr gebraucht. Man kann noch ein wenig Geld verjubeln und damit die Wirtschaft ankurbeln, aber ansonsten? Wohl dem, der Freunde und Hobbys hat, nicht wenige haben diese für ihren Beruf vernachlässigt. Es erschüttert mich immer wieder, wenn ich als höchstes Lebensziel alter Menschen höre, dass sie niemandem zur Last fallen wollen. Das kann man eigentlich nicht mehr unterbieten, denn in einigen Fällen heißt das, dass Menschen die Botschaft, dass sie, nun, da sie kein Geld mehr verdienen, im Grunde überflüssig sind, verinnerlicht haben. Es wird auch andere Motive geben, aber nicht selten auch das.

Kann man mehr verzichten, als durch so eine Aussage? Dabei liegt es an uns und wir haben ein überreiches Angebot an sozialen Rollen und wer nicht mehr 100% leisten kann oder will, kann immer noch 80, 60 oder 40% leisten. Oder etwas ganz anderes machen und da sehr gut und hilfreich sein. Es gibt Szenarien in denen man sich mindestens vorstellen kann, dass solche Projekte gelingen können, aber wir können da auch kühner denken. Es könnte eine neue Währung oder erst mal die Wiedereingliederung anderer Werte als des Geldwerts sein.

Wir müssen nicht verzichten, sondern dürfen und müssen mehr fordern

Machen wir uns ehrlich. Wir tun, was wir tun, für uns, für uns Menschen. Auch wenn wir für Klima- und Umweltschutz sind, so geht es nicht um die Natur, denn sie braucht unsere Rücksichtnahme nicht. Es kann passieren was will, bevor in Milliarden Jahren die Sonne zum roten Riesen wird und hier alles wegbruzzelt oder ein fetter Meteor und trifft, wird der Natur nichts geschehen, die lebt weiter. Wer in Gefahr ist, sind wir. Fridays for Future haben Sorge um ihre Zukunft, mit durchaus plausiblen Argumenten.

Dass sie überhaupt Gegenwind bekommen, liegt daran, dass einige sehr viele Zeit und Mühe in ihren Wohlstand investiert haben und ein gewisses Recht spüren, nun wenigstens einige Jahre ihres Lebens genießen zu können. Ich bin unbedingt für das Recht auf ein gutes Leben und Genuss. Aber Genuss heißt differenzieren zu lernen, seinen Geschmack auszubilden, Qualität zu erkennen[. Doch wir dürfen auch Menschen, die keinen differenzierten Geschmack haben, dies nicht vorwerfen. Jeder ist, wie er nun mal ist und niemand ist in allen Bereichen differenziert. So gut wie alle wollen aber glücklich sein.

Wenn ich aus unseren Artikeln zum Thema Glück die Essenz ziehe, dann staffeln sich die Zutaten aus Befragung und Forschung entlang der Maslowschen Bedürfnisspyramide.
Schutz und Sicherheit sind primär. Nicht zu vergessen, dass bereits Affen die Nähe, Beziehungen noch dem Futter vorziehen. Auch für uns Menschen sind Beziehungen ein Grundpfeiler zum Glück. Je länger und tiefer die Beziehungen sind, umso zuverlässiger ist man glücklich, eine große Anzahl braucht man nicht.

Nahrung, Schutz, eine gewisser Wohlstand und Gesundheit gehören zu den wichtigen Faktoren auf der grundlegenden Ebene. Erstaunlicherweise ist Anpassung ein starker Indikator für das Glück[link], was erklärbarer wird, wenn man die Rückseite der Medaille anschaut, da geht es nämlich um Anerkennung. Nur einige Asper, HiPos (Menschen, die Sprunginnovationen in die Welt setzen oder setzen könnten), Genies und Exzentriker genügen sich in einem gewissen Rahmen selbst, fühlen sich aber oft stark mit ihrer Tätigkeit verbunden und gehen in ihr auf. Auch das ist ein Austausch mit Welt. Überschneidungen zwischen den genannten Gruppen sind möglich. Das passt sehr gut zum nächsten großen Pfeiler des Glücks, dem Sinn. Wenn man das eigene Leben und Schaffen als sinnvoll empfindet, ist man zutiefst motiviert und glücklich. Der letzte Glückspfeiler ist eine fundamentale moralische Instanz, man will die Welt oder Menschheit irgendwie weiter bringen. Neugier und Optimismus sind ebenfalls wichtige Zutaten.

Wenn jeder das tut, was er gut kann und/oder gerne macht, fühlt er sich angekommen und die Wahrscheinlichkeit, dass man Anerkennung erfährt, wird sehr viel größer. Jeder könnte sich ein Stück Welt nehmen, für das er oder sie gerne Verantwortung übernehmen möchte. Für alte Menschen, Kinder, Kranke, einen Baum, eine Straßenecke, Musik, Essen, Literatur, Sport, die Ausdifferenzierung von Geschmack, die Versorgung mit Energie, Philosophierunden, Meditationsangebote, Rituale, Tiere, Wasser … wo auch immer die Neigung einen hin zieht.

Wenn die Verpflichtungen zu groß sind, wählt man eben eine oder zwei Nummern kleiner. Das sind soziale Rollen, wir haben reichlich davon zu vergeben, man übernimmt Verantwortung, geht Verpflichtungen ein und erhält Anerkennung. Ein wichtiger Faktor zum eigenen Glück. Wenn die erwähnten Faktoren erfüllt sind, ist das Leben reicher, glücklicher und erfüllter. Man braucht viel weniger auf Ersatzbefriedigungen umzusteigen. Man hat viel weniger Angst, dass einem das letzte bisschen, was man noch zu haben glaubt, genommen wird. Man krampft nicht rum und hält fest, sondern wird wieder (oder zum ersten Mal) neugierig, offen und kreativ. Das alles ist nicht weit weg. Wir müssen nicht verzichten. Im Gegenteil.

Quellen:

  • [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Weltbev%C3%B6lkerung