Hochhäuser bei Nacht

Das ist unsere Welt … © Lenny K Photography under cc

Aktuell gibt es Krisen, wohin man schaut, die man auch als Kampf der Weltbilder deuten kann. Eine Annäherung an eine ungewohnte Sichtweise.

Der Höhepunkt der Omikronwelle scheint so eben überschritten, da droht im schlimmsten Fall ein Krieg zu entbrennen. Plus andere Probleme im Hintergrund, die nicht einfach aufhören, nur weil sie aktuell weniger Beachtung finden. Spaß macht das nicht, aber was sich da gerade einruckelt, kann auch als ein Art plattentektonische Bewegung der Weltbilder verstanden werden, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Entwicklung ist kein linearer Vorgang

Entwicklung ist ein umstrittenes Konzept. Man weiß nicht, ob und welchem Rahmen es insgesamt eine Entwicklung zum Höheren gibt. In der Individualentwicklung setzt man es voraus, aber selbst hier gibt es immer wieder Phasen der Stagnation, der Regression, echte Entwicklungssprünge sind jenseits des 20. Lebensjahrs eher selten.

Betrachten wir die Gesamtsituation unseres Planeten ist das Bild noch wesentlich bunter, weil wir inzwischen eine Vielzahl verschiedenster Lebensformen auf unserem Planeten sehen, die alle zeitgleich stattfinden und alle ihre eigenen Weltbilder haben, die zum Teil kaum zusammen zu passen scheinen, wir werden sie kurz skizzieren.

Zig Systeme, die sich überlagern, verstärken, hemmen, in die Quere kommen oder sich kaum bemerken und es ist schwer daraus eine Essenz zu ziehen, zu zerfasert scheint alles zu sein. Dazu kommt noch eine Phase der demografischen, geopolitischen Neuausrichtung, deren Zeitzeugen wir gerade sind, verbunden mit einer neuen Rolle von multinationalen Konzernen und einem Hereinragen des Cyberraums in unser aller Leben.

Die andere Seite ist die: Egal wie zahlreich und unzusammenhängend die Komponenten zu sein scheinen, wie durch Zauberhand stellt sich doch immer wieder eine neue Phase der Ordnung ein. Manchmal durch den Zerfall, auf Ordnungsstufen, die vorher bestanden, die Regression. Ein anderes Mal durch das plötzliche Auftauchen ganz neuer Ordnungsstrukturen, die man Progression, Emergenz oder auch Transzendenz nennen kann.

Das Verhältnis vom Individuum zum Weltbild

Das Verhältnis vom Individuum zum Weltbild ist wechselseitig. Ich definiere Weltbilder als die Summe der gegenwärtigen, dynamischen, bewussten und unbewussten Einstellungen darüber, wie die Welt und die Beziehungen ihrer Bewohner untereinander interagieren.

Weltbilder geben dem Individuum Sinn und Orientierung. Sie dienen uns bei einer der wichtigsten Aufgaben überhaupt, nämlich die verwirrende Gesamtheit dessen, was uns umgibt, zu verstehen. Dafür werden die Gesamtzusammenhänge auf eine Ebene reduziert, auf der das Individuum Antworten auf seine Fragen danach findet, warum das alles so ist, wie es ist. Da die Menschen verschieden sind und Welt unterschiedlich komplex verarbeiten können, gibt es mehrere Weltbilder als Angebote zur Auswahl.

Man kann sie ab einem gewissen Alter wählen, wie man lustig ist, da wir freie Wesen sind. Auf der anderen Seite können wir natürlich nur jene Weltbilder wählen, die für uns nicht so banal sind, dass ihre Antworten und primitiv und unangemessen vorkommen, denn so ein Weltbild würde mehr Verwirrung als Ordnung stiften. Es darf auf der anderen Seite auch nicht so kompliziert sein, dass wir ständig überfordert sind, dann verstehen wir die Welt nämlich auch nicht und fühlen uns obendrein unwohl und überfordert. Insofern ist die Wahl unseres Weltbildes aus dieser Sicht schicksalhaft, wir können nicht anders, obwohl wir frei sind.

Unsere Freiheit bleibt jedoch erhalten, denn wenn das Weltbild nicht mehr passt, merken wir das. Wir haben nicht mehr das Gefühl der ersten Phase im neuen Weltbild, nun endlich zu wissen, wie die Welt funktioniert, sondern finden uns zunehmend zweifelt, gespannt und am Ende fast zerrissen vor. Es gibt nun zwei Richtungen, in die es weiter gehen kann. Entweder das Gezerre einer anderen Deutung, die in die Schwachstellen und Erklärungslücken des bisherigen Weltbildes fällt, wird mit der alten Weltsicht integriert und ein neues Ganzes emergiert. Oder dies gelingt nicht, man bleibt zerrissen oder sinkt zurück auf frühere, eigentlich überwundene Muster, das ist die Regression.

Der Transport der Weltbilder ist abhängig von den Individuen, die sie teilen. Wenn einer von 8 Milliarden Menschen irgendwo sitzt und verstanden hat, wie das alles funktioniert und vor allem besser funktionieren könnte, dann bringt das wenig, wenn niemand diesen Ansatz versteht und teilt. Er wird niemals in Praxis verwandelt. Je komplexer die Weltbilder werden, umso mehr spielt es eine Rolle, dass ihre Teilnehmer sie wirklich durchdringen und verstehen, man kann nicht alles erklären und vorschreiben. Je mehr ein Weltbild ventiliert wird, je mehr seine Prämissen und Narrative geteilt werden, um so stärker wird es.

Die Akteure

Wir wollen die krisenhafte Situation mit Blick auf die beteiligten Weltbilder beschreiben. Viele kann man problemlos wiedererkennen. Am schwierigsten zu erkennen ist das Weltbild in dem unsere Gesellschaft gerade mehrheitlich steckt, weil genau das, aus psychologischen Gründen kaum als Weltbild zu erkennen ist, man denkt statt dessen, die Welt sei so. Ein Weltbild, das haben die anderen, man selbst sieht, wie die Dinge eben sind. Genau dieses Gefühl ist jedoch das, was uns ein Weltbild vermittelt, wenn es gut funktioniert.

Das mythische Weltbild

Also blicken wir zunächst auf eines, was wir leichter erkennen können, das mythische Weltbild. Oft wird es mit einem religiösen Weltbild gleichgesetzt, was nicht ganz zutrifft. Religion kann ein Teil des mythischen Weltbildes sein, das wesentlich dadurch geprägt ist, dass es eine klare hierarchische Ordnung gibt. Eine unbestreitbare Autorität: Gott, ein religiöser Führer, der mehr oder weniger direkt mit der Gottheit in Kontakt steht, aber auch eine ideale oder utopische Idee oft verbunden mit einem charismatischen Führer definieren ein klares Ziel, mit klaren Regeln und das beste, was das Individuum tun kann, ist die überlegene Autorität anzuerkennen und sich treu in ihren Dienst zu stellen.

Das wirkt einerseits vollkommen unzeitgemäß, gerade auch angesichts der Krise der Religion in Europa, auf der anderen Seite kann man mit Unbehagen spüren, dass das Verlangen nach klarer und manchmal sogar autoritärer Führung auch in Deutschland wächst. Mindestens ist man in wachsendem Maße misstrauischen gegenüber unseren Institutionen, der Bürokratie, der Wissenschaft, der Politik und auch gegenüber der Demokratie. Das mythische Weltbild ist zielgrichtet, oft klar in seinen Rollen und Anforderungen, es wirkt kraftvoll und vital und versorgt uns mit Sinn und Ziel.

Das reife, rationale Weltbild

Das rationale Weltbild verkörpert die Verlockung der Aufklärung. Durch die Kraft der Einsicht und Vernunft entwickelt sich die Menschheit immer weiter, ersetzt alte mythische Bilder durch moderne Erklärungen, aus diesen entsteht ein neues Verständnis der äußeren und inneren Natur und je mehr wir diese verstehen, umso klüger können wir sie zu unserem Wohl nutzen, wobei der Weg ambivalent oder dialektisch ist. Fortschritte auf dem einen Gebiet können mit zwischenzeitlichen Rückschritten auf einem anderen einhergehen, aber unterm Strich sollte die Welt durch die Rationalität immer besser werden.

Die rationalen Visionen führten durch die Jahrhunderte zu einem neuen Menschenbild, zu einer neuen Sicht auf die Zusammenhänge der Natur, zu neuen Erkenntnissen die in der Spitze und Breite in Praktiken und Gerätschaften umgesetzt wurden. Wissenschaft und Technik dominierten die Weltsicht. Ihre Erfolge waren bahnbrechend und so fiel es lange Zeit nur wenigen auf, dass die Deinstallation der alten Narrative und Mythen mehr war, als ein wenig alten Staub zu beseitigen. Mahner gab es durchaus, verstehen konnte oder wollte man sie nicht, zu überzeugend der Siegeszug des Neuen.