Die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung kann in Folge von wiederholten, schweren und andauernden Traumatisierungen auftreten. Sie drückt sich durch ein heterogenes Krankheitsbild aus und bleibt bis heute oft unerkannt. In diesem Artikel beschreiben wir einzelne Merkmale der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS), an denen man die Traumafolgestörung erkennen kann. Die Beschreibungen dienen nicht der Selbstdiagnose, aber sie können helfen, sich selbst besser zu verstehen.
KPTBS: Lange unerkannt
Die kPTBS wird oft erst spät oder teilweise gar nicht bei den Betroffenen erkannt, unter anderem weil sie eine hohe Überschneidung mit anderen psychischen Krankheiten hat. So wird in Verbindung mit ihr eine klassische PTBS diagnostiziert oder eine Emotional-Instabile Persönlichkeitsstörung. Angst- und Zwangserkrankungen, Suchterkrankungen, Panikstörungen oder Depressionen genauso wie Dissoziative Störungen können komorbide mit der kPTBS auftreten. Der Zusammenhang der Krankheitssymptome mit einer langanhaltenden Traumatisierung in der Kindheit oder durch eine Partnerschaft bleibt häufig verschleiert. Die in der ICD-11 genannten Symptomcluster sind für Nichtkliniker nicht unbedingt leicht zu verstehen. Umso wichtiger ist die öffentliche Aufklärung darüber anhand fachlich fundierter, aber dennoch verständlicher Umschreibungen.
Merkmale der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung: vielfältig
Traumatisierungen infolge von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt oder/und emotionaler beziehungsweise physischer Vernachlässigung bringen mitunter starke Beeinträchtigungen des Erlebens und Verhaltens, des Fühlens und im sozialen Miteinander mit sich, die nachhaltig einen persönlichkeitsverändernden Charakter haben können. Das Beschwerdebild der kPTBS ist vielfältig, jedoch beinhaltet es ein Muster typischer Veränderungen. In Anlehnung an die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie führen wir nachfolgend die Merkmale der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung beschreibend auf.
Probleme bei Emotionsregulation und Impulskontrolle
Gefühle wie Wut oder Ärger, aber auch Trauer lassen sich von den Betroffenen kaum regulieren. Die Eigenberuhigung fällt ihnen schwer. Wutausbrüche, Betäubung mittels Alkohol oder Drogen sowie Selbstverletzungen und Selbstgefährdung, also sich in riskante Situationen zu begeben oder einer riskanten, übermäßigen Sexualität nachzugehen, können die Folge sein. Das Abkoppeln der Gefühle von ihrem Verhalten gelingt Traumatisierten weniger gut. Häufig werden die Emotionen ausagiert oder die Betroffenen müssen eine große Selbstbeherrschung aufbringen, um sich zu kontrollieren. Einige Betroffene werden von ihren Gefühlen regelrecht überrannt, sie befinden sich dann beispielsweise in einer blinden Wut, in der kein Außenstehender sie noch erreichen kann. Da sie Schwierigkeiten haben, einen stabilen Umgang mit den Emotionen zu pflegen, erscheinen nicht wenigen die eigenen Gefühle bedrohlich. Sie fühlen sich ihnen ausgeliefert.
Dissoziatives Erleben und Erinnerungslücken
Viele Betroffene von komplexen Traumatisierungen berichten von einem dissoziativen Erleben. Das heißt, ihre Wahrnehmung, ihr Denken, ihr Bewusstsein und ihre Identität fühlen sich nicht mehr vollständig integriert an. Die Konsequenz davon kann sein, dass sie sich so fühlen, als würden sie neben sich stehen. Oder die Umwelt erscheint ihnen unwirklich. Es kann zu ausgeprägten Erinnerungslücken kommen. Einzelne Zeitfenster der vergangenen Tage oder der Vergangenheit können ihnen gänzlich abhanden gekommen sein.
Außerdem kann es zu einem Wiedererleben der traumatischen Erfahrungen kommen oder zu einem plötzlichen „Gefühlsschwapp“, der scheinbar wie aus dem Nichts belastende Erinnerungen mit sich bringt.
Wahrnehmung von Hilflosigkeit
Merkmale der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung können auch in einer veränderten Selbstwahrnehmung liegen. Die von einem komplexen Trauma Betroffenen tragen oft Gefühle der Hilflosigkeit in sich. Sie gehen von der Annahme aus, wenig Einfluss auf ihr Leben nehmen zu können. Einige fühlen sich nahezu „für alles verantwortlich“, haben Schuldgefühle und ein großes Schamgefühl. Nicht wenige fühlen sich isoliert von der Gesellschaft und ihrem Umfeld, sie empfinden sich als nicht zugehörig. Sich anderen Menschen so zu zeigen, wie sie sind, fällt ihnen schwer. Minderwertigkeitskomplexe gehen häufig damit einher. Sie fühlen sich wenig verstanden und haben mitunter das Gefühl, nette Worte und Aufmerksamkeit „nicht verdient zu haben“.
Beeinträchtigung im sozialen Miteinander
Gerade Betroffene, die in ihrer Kindheit durch die Bezugspersonen eine chronische Traumatisierung erfahren mussten, haben meistens nie ein adäquates Modell erlernen können, wie ein annehmbarer, gesunder zwischenmenschlicher Umgang möglich ist. Sie vertrauen anderen Menschen kaum. Auf der anderen Seite haben sie Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen, um sich selbst vor einem missbräuchlichen Umgang durch andere zu schützen. Manche Traumatisierte sind irgendwann in ihrem Leben dazu übergegangen, lieber andere Menschen zu verletzen als selbst verletzt zu werden.
Körperliche Beschwerden
In Zusammenhang mit den Merkmalen einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung können körperliche Beschwerden auftreten, für die es keine organische Erklärung gibt. Gemäß der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie treten folgende Beschwerden bei komplex Traumatisierten häufiger auf:
Besonders häufig sind chronische Schmerzzustände, Beschwerden des Verdauungssystems, Erschöpfung, Schwindel sowie Beschwerden im Bereich des Herzens, der Atmung sowie des Harn- oder Genitaltraktes.
Resignation und Desillusion
Betroffene sind oft von einer starken Verzweiflung befallen. Sie fühlen sich hoffnungslos, resigniert und desillusioniert. Vieles erscheint ihnen sinnlos.
Die Merkmale der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung fügen sich zu einem allumfänglichen, tiefgreifenden Beschwerdebild über die verschiedenen Lebensbereiche zusammen, das zu großen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen führen kann. Eine professionelle Psychotherapie hilft bei der Aufarbeitung der komplexen Traumatisierung und bei dem Umgang mit den Symptomen, die eine kPTBS mit sich bringen kann. Wir wünschen dir von Herzen das Beste für dich!