Alter Baum in Morgennebel auf Wiese

Oft hat der Tod auch eine faszienierende und manchmal schöne Seite. © Kurt Stocker under cc

Er ist das einzig Sichere im Leben, daher wäre es doch gut, ausgesöhnt mit dem Tod zu sein. Oder?

Gut verdrängt wie er ist, sind wir dann dennoch geschockt, wenn wir von jemandem hören, der ‚viel zu früh‘ von uns gegangen ist, wie es dann gerne heißt. Als hätte man mit der Geburt auch gleich ein Anrecht auf gut 80 Jahre gesundes Leben, bis man dann irgendwann friedlich entschlummert. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland mal unter 40 Jahren war, hat man nicht mehr so auf dem Schirm. War das im frühen Mittelalter oder doch in der Steinzeit? Nein, noch 1890.[1]

Es war nicht nur die Säuglingssterblichkeit, auch eine Infektionskrankheit konnte zum Tod führen. Typhus, Ruhr, Tuberkulose, Syphilis. Der Tod war damit auch immer Teil des Lebens, es kamen die Weltkriege und das änderte sich nicht groß, Ende vor weniger als 80 Jahren, ungefähr eine aktuelle Lebensspanne.

Man hört dann, es sei der medizinische Fortschritt gewesen, der alles änderte, man kommt der Wahrheit wohl näher, wenn man eine breite Mischung aus Arbeitsrecht, Hygiene, Wohnsituation, Elektrifizierung und dann Impfungen, Antibiotika und dergleichen annimmt, jedenfalls wurde die Möglichkeit des frühen Todes erstaunlich schnell vergessen oder eben verdrängt. Man weiß, da ist was, aber mich betrifft es eigentlich nicht.

Als der Tod vergessen wurde

Irgendwie natürlich doch, er läuft halt immer im Stillen mit und eine der Fragen ist, ob er uns nicht gerade dadurch doch die ganze Zeit stark motiviert. Denn was tun wir nicht alles, um den Tod zu vermeiden? Vielleicht nicht so explizit, aber hinten herum. Um länger fit zu bleiben, sexuell attraktiv, leistungsfähig im Beruf. Oder sind das alles eigene Themen, die mit dem Tod rein gar nichts zu tun haben? Man will sich einfach gut fühlen, so lange wie es geht, macht das nur für sich.

Aber wofür eigentlich? Oder darf man solche Fragen gar nicht stellen? Für manche hat es bereits einen pathologischen Wert, wenn man sich überhaupt damit beschäftigt, mit dem Tod. Zu dunkel, zu depressiv. Auf der anderen Seite kann man hinter manche Klassifikationen auch ein Fragezeichen machen: Wer länger als zwei Wochen um einen nahe verstorbenen Angehörigen trauern, gilt als depressiv. Heute.[2]

Früher, bis 1980 hatte man ein Trauerjahr, ab da und bis zum Jahr 2000 dann zwei Trauermonate. Mir würden sich eher Fragen stellen, wenn jemand drei Wochen nach dem Tod des Partners richtig gut drauf ist. Sind wir wirklich noch so? Immer weiter, Leistung zeigen, nicht nachfragen, sich immer neu anpassen, intrinsisch motivieren, wie es heute wieder gerne genannt wird?

Von der Stigmatisierung durch Diagnosen mal ganz abgesehen, aber wenn sich jemand für den immer häufigeren Wandel in kurzer Zeit nicht mehr aufs Neue begeistern kann, was hat dieser Mensch? Eine Depression oder Recht? Oder zumindest das gute Recht, die wieder einmal nächste Runde irgendwann nicht mehr mitmachen zu wollen? Am Ende steht dann der Tod, für manche als Stopp-Schild, Ärgernis.

Todeszeichen

Dabei tritt er oft früh in unser Leben. Ein erstes graues Haar hier, ein wenig Vitalitätsverlust dort, zarte Fältchen oder eben als Tod der Eltern, eines Haustieres oder Freundes. Durch Corona und Krieg kommen diese Möglichkeiten auch wieder in unsere Bewusstsein. Doch so einen richtigen Umgang damit haben wir noch immer nicht. Die Gefahr wollen wir nicht wahr haben, darum wird Corona gerne verharmlost, dann ist der Feind auf einmal der, der dramatisiert. Oder der Tod wird delegiert: Sollen im Zweifel doch besser die anderen sterben, also her mit dem Scheinfrieden um jeden Preis, solange man ihn nur selbst nicht zahlen muss.

Aber kann man sich dem Tod nicht auch freundlich annähern? Die beiden Themen Corona und Krieg habe ich noch mal bewusst ausgebuddelt, denn egal auf welcher Seite der Argumente man sich befindet, der grundsätzliche Konflikt ist der zwischen Leben (um so ziemlich jeden Preis) und Freiheit. Beides wichtige Grundgrößen. Man kann auch, um die emotionale Ladung rauszunehmen, eine Fitness App als Beispiel nehmen.

Eine der vielleicht nahen Zukunft, die meine Risikofaktoren von der genetischen Belastung bis zur Lebensführung analysiert und auf mich und meine Gesundheit und Leistung optimiert. Diät, Bewegung, Entspannung, an alles wird man freundlich erinnert. Dass man noch 1700 Schritte machen muss, die Hände eincremen und in dieser Woche schon ein kleines Bier getrunken hat, ob man denn wirklich sicher ist, dass man … Das ganz gesunde Leben ist aber auch eine Frage von Leben versus Freiheit. Auf welcher Seite der Waagschale ist man dem Tod näher?

Irgendwann ist dann auch mal gut

Wie ausgesöhnt mit dem Tod kann man sein? Riesige Angst vor dem Tod findet man oft in den jungen Erwachsenenjahren, vielleicht weil dies ohnehin eine Zeit großer Unsicherheiten und Veränderungen ist, jetzt geht es so richtig los mit dem eigenen Leben, da kann man schon mal nervös werden, vor allem muss auch hier Altes sterben, man verlässt das Haus, die Umsorgung, Freiheit gepaart mit Angst, manchmal sind beide Seiten im Widerstreit.

Mit dem Alter und in unmittelbarer Todesnähe sinkt die Angst, zumindest statistisch.[3] Wie könnte sich das anfühlen?

Dieses: Irgendwann ist dann auch mal gut, kann einhergehen, mit einer ebenfalls langsam nachlassenden Lebenslust, aber vermutlich ist es noch anders. Die Lebenslust kann noch da sein, aber man hat schon viel gesehen und keine Lust mehr auf die nächste Welle der Neuerungen einzulassen, einfach, weil es anstrengend ist, dies immer wieder zu tun.

Wenn man jung ist gehört das dazu, aus dem simplen Grund, dass alles neu ist. Man ist gespannt auf das, was das eigene Leben einem anbietet. Ob gelungen oder misslungen, irgendwann hat man die Erfahrungen aber gemacht und vielleicht ist der unbedingte Hunger gerade dann weg, wenn es gut gelaufen ist. Wem das Leben etwas versagt hat, der kann diesen Hunger weiter aufrecht halten. Natürlich kann es auch riesigen Spaß machen, wenn es gut läuft, so dass man sich wünscht, es möge immer so weiter gehen.

Fundamentale Werte oder Lebensgewohnheiten können sich ändern

Vieles, was man mit durch sein Leben nimmt, stammt aus frühen Lebensjahren. In schnelllebigen Zeiten kann sich das ändern. Man muss nicht sehr alt sein, um schon einige Veränderungen durchgemacht zu haben und irgendwann sagt man sich vielleicht einfach, dass man das nicht mehr braucht, einfach keine Lust mehr hat.

Man hat natürlich einerseits das Recht auszusteigen, aber es gibt Veränderungen, die einen gesellschaftlich ausschließen, wenn man sie nicht mitmacht. Man gehört jedes Jahr ein Stückchen mehr nicht dazu. Es wird anstrengend sich wieder auf Neues einzulassen, besonders, wenn man nicht der Typ dafür ist. Die coole Oma freut sich vielleicht wenn sie über Social Media mit den Enkeln Kontakt hat, aber wenn man schon keine Kinder hat?

Was, wenn das was gestern richtig und normal war, heute falsch ist? Und es dann vielleicht wieder in die andere Richtung geht? Man muss den Sinn darin nicht unbedingt erkennen, nimmt die nächste Änderung vielleicht einfach achselzuckend zur Kenntnis. Nicht depressiv, irgendwo zwischen Abgeklärtheit und Überdruss.

Vor nicht allzu langer Zeit ging der etwas verstörende Todeswunsch eines Mannes, der einfach keine Lust mehr auf das Leben hatte, durch die Presse. In einem Land mit liberaler Sterbehilfe. Er war alt, nicht schwer krank, nicht depressiv, er hatte ganz einfach keine Lust mehr auf sein Leben, er hatte genug gesehen. Geht das zu weit?

Ausgesöhnt mit dem Tod: Wie könnte sich so etwas anfühlen?

Wir haben schon gesehen, dass sehr alte und todkranke Menschen den Tod weniger als Bedrohung erleben. Gut vorstellbar ist auch, dass alleinstehende Menschen, ohne Freunde irgendwann keine Lust mehr haben. Aber auch andere Szenarien sind denkbar.

Man lebt halt einfach so weiter. Durchaus gerne, es könnte noch so weiter gehen. Es gibt Neuerungen, Leidenschaften und auch unerwartete Wendungen im Leben, von denen man nicht dachte, dass man so etwas noch erleben würde. Schön und erstaunlich. Und doch ist da das Gefühl, dass es auch in Ordnung ist, dass es irgendwann zu Ende geht. Nicht aus Depression, Schmerz oder Einsamkeit, auch nicht aus Überdruss, sondern einfach, weil es zum Leben dazu gehört, wenn man dieser Idee etwas abgewinnen kann.

Weil man einer Religion angehört und an sie glaubt und eine Fortsetzung erwartet. Oder einfach, weil man denkt: Das Leben ist so wunderschön, jetzt möchte ich sterben. Auch das könnte ein Grund sein. Besser kann es nicht mehr werden. Man hat vieles gesehen, das Leben ist erfüllt, jetzt darf das Ende kommen.

Manche sagen, es sei pathologisch überhaupt an den Tod zu denken, andere machen Nägel mit Köpfen, weil sie meinen, dass die heimliche Angst vor dem Tod die große Störung des Lebens ist und irgendwie immer mitläuft. Darum, anschauen und integrieren, ganz explizit tut das die existentielle Psychotherapie, in der Reinkarnationstherapie läuft das Thema Tod immer mit.

Auch so kann man ausgesöhnt mit dem Tod sein, indem man ihn frontal angeht. Es gibt Menschen, die nicht loslassen können oder wollen oder die, anders formuliert, einfach noch weiter leben wollen. Es gibt einen bestialischen Lebens- und Überlebenswillen in manchen Menschen, der manchmal Gold wert ist. Er lässt uns ausweglos scheinende Situationen überleben, oft, wenn wir einen übergeordneten Sinn in unserem Leben sehen.

Ausgesöhnt mit dem Tod zu sein, muss nicht heißen, dass der Sinn fehlt, es kann auch sein, dass man das innere Gefühl hat, seinen Job erledigt zu haben. Auch am Ende des Lebens ist alles möglich, keineswegs muss es immer Verzweiflung sein.

Quellen:

  • [1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbetafel.html
  • [2] Verrückt – Der Zwang zur Diagnose (2/4) WDR 5 Tiefenblick. 14.01.2023., WDR 5. Von Martin Hubert https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tiefenblick/tiefenblick-verrueckt-feature-100.html
  • [3] https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/nimmt-die-angst-vor-dem-tod-im-alter-ab/