Respect Existence or Expect Resistance-Plakat auf Demo

Cooler Spruch. © Tyler Merbler under cc

Haltung und Respekt bringen die besten Eigenschaften der Menschen hervor. Sie verlangen uns aber auch einiges ab.

Kürzlich hatte ich eine Unterhaltung mit einer Bekannten, die recht kurz hintereinander auf dem Konzert von The 1975 und Muse und von beiden begeistert war. Sie ist engagiert für die Rechte der LGBTQ-Community und interessant ist das deshalb, weil dieselben Bands kurz darauf in Malaysia spielten, wo der Frontmann der 1975ers aus Protest gegen das Verbot von Homosexualität in dem Land, seinen Bassisten auf der Bühne auf den Mund küsste. Das Konzert wurde daraufhin von Sicherheitskräften des Landes unterbrochen und die Band des Landes verwiesen. Muse spielten in Malaysia, obwohl sie auch als politische Band gelten.[1]

Die Frage dahinter ist natürlich, wie man sich richtig verhält. Einerseits ist es stark und mutig ein Statement zu setzen und dabei sogar noch eigene Risiken einzugehen. Wenn man bestimmte Umstände schlecht findet, muss man dies irgendwann mal signalisieren und Stars entfalten da sehr viel mehr Zugkraft als normale Bürger und sind als öffentliche Personen weniger gefährdet. Auf der anderen Seite: Wenn man Länder boykottiert, sind die dortigen Einwohner doppelt gestraft. Sie leben in einem System, in dem sie sich vielleicht unterdrückt fühlen und zusätzlich machen Stars, die ihr Leben vielleicht schöner gestalten könnten, einen Bogen um das Land. Vielleicht ein Grund mehr um gegen die Unterdrückung aufzustehen? Noch komplizierter wird es, wenn die Menschen in einem Land mit den Werten ihrer Heimat oft durchaus einverstanden sind. Für die unterdrückten Minderheiten wird das in dem Umfang sicher nicht gelten.

Sind alle Werte und Gesetze gleich gut?

Das ist die Frage, um die es im Kern geht. Gesetze fußen auf Werten, auch wenn nicht alle Wertvorstellungen gesetzlich geregelt sind. Wir sagen einerseits, dass durchaus nicht alle Werte gleich gut sind. Was die Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten angeht, liegt ein dunkler Schatten auf Deutschland, jener der Nazi Vergangenheit.

Auch wenn heute kaum noch Menschen leben, die direkte Schuld auf sich geladen haben, so haben wir als Bewohner dieses Landes doch eine Verantwortung, vielleicht sogar ein besondere. Aber vieles ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Aus dem verständlichen Impuls niemanden mehr unterdrücken zu wollen ist die Idee eines politischen Pluralismus geboren, der insbesondere auch schwache und marginalisierte Gruppen in einer Gesellschaft zu Wort kommen lassen will.

Jeder soll das Recht haben so zu leben wie er oder sie will und sich frei entfalten zu können, die einzige Grenze ist die Freiheit der anderen. Hier muss abgewogen werden und hier kommt es im Zweifel zu Streits. Zudem gibt es seltsame Missverständnisse, weil einige meinen, Demokratie sei ein System automatisierter Wunscherfüllung und dann ist man irgendwie enttäuscht, wenn man feststellt, dass sie so niemals gedacht war. Man darf frei sagen, was man gerne hätte, was dann davon umgesetzt wird, muss ausgehandelt werden, da auch andere Einzelpersonen und Gruppen ihre Vorstellungen und Freiheit und Selbstentfaltung haben.

Gegen Unterdrückung

Es gibt einige Begriffe, die immer gut klingen, wenn man sie sich auf die Fahnen schreibt. Für Freiheit, für Gerechtigkeit. Oder negativ formuliert: Gegen Krieg oder gegen Unterdrückung. Den Schlagworten stimmt man gerne zu, wer ist schon für Krieg oder gegen Freiheit, aber die jeweilige Ausbuchstabierung der Schlagworte weicht dann doch stark von einander ab.

Das Hauptproblem des linken Pluralismus ist, dass man im Namen der kulturellen Offenheit bei anderen oft Verhaltensweisen toleriert, die man ansonsten im eigenen Umfeld um keinen Preis duldet. Das ist und bleibt ein Selbstwiderspruch, weil das gleiche Recht für alle gelten muss, sonst ist es ungerecht.

Zudem ist die Einstellung, dass die anderen halt so sind und man dafür Verständnis aufbringen muss, ebenso stereotyp und paternalistisch oder anders ausgedrückt, von oben herab, wie jene offenen Ressentiments, die alle jene, die anders leben, denken und empfinden als man selbst, sofort als irgendwie zurückgeblieben betrachten.

Ernst nimmt man andere dann, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet und ihnen dasselbe gewährt, aber auch das gleiche verlangt, wie von allen anderen, je nach Situation vielleicht nach einer Phase der Unterstützung.

Erschwerend kommt hinzu, dass es inzwischen auch einen rechten Pluralismus gibt, der sich im Grunde einen Dreck für Gleichberechtigung interessiert, aber aus taktischen Gründen einfach das undurchdachte Argumentationsmuster der linken Pluralisten übernimmt und für sich reklamiert, dass man für seine eigenen Vorstellungen, in denen andere durchaus unterdrückt werden, bitte nicht unterdrückt werden will.

Muss man die Werte anderer einfach akzeptieren?

Natürlich riecht man den Braten und will entsprechend die Rechten, die sich wie Pluralisten aufführen, aus dem Diskurs drängen, aber das bleibt eben so lange unüberzeugend, wie man unterschiedslos alle Einstellungen gleich gut findet und nur die der politisch Rechten nicht hören will oder generell, sich nicht zu formulieren traut, dass es eben doch bessere und schlechtere Werte gibt.

Denn Unterschiede zu machen und in besser und schlechter zu unterteilen, das gilt als typisch rechts und so will man nicht sein. Vor allem wertend zu unterscheiden, das ist nichts, womit man sich identifizieren kann und will. Denn so war es in den dunkelsten deutschen Zeiten, da hat man brutal in wünschenswert und unerwünscht unterteilt, mit manchmal tödlichen Folgen für die Unerwünschten.

Indem man sagt, dass es so nie wieder werden darf und soll, macht man ja bereits einen wertenden Unterschied. So wie es damals, zur Zeit der Nazis war, war es schlecht, alles andere ist besser. Aber man kann und sollte weiter differenzieren in das, was wir heute ebenfalls nicht mehr haben wollen und man kann formulieren, wie man sich eine bessere Zukunft und Welt vorstellt, erst mal hier bei uns, denn darauf haben wir direkten Einfluss.

Aber an der Stelle kommt man zu einem entscheidenden Punkt, man muss sich zur Überlegenheit der eigenen Werte bekennen und wenn man das tut, muss man begründen, warum diese Werte denn eigentlich – aus unserer Sicht – überlegen sind und drittens, muss man erklären, warum wir uns selbst nicht immer an die Werte halten, die wir doch so gut finden.

Denkverbote und ihre Überwindung

Die Überlegenheit der Werte der eigenen Kultur? ‚Das ist ja wieder nur eine neue Form des Kolonialismus‘, sagen die einen und ‚Soll ausgerechnet am deutschen Wesen wieder mal die Welt genesen?‘ Aber das ist kein Diskussionsbeitrag, sondern im Grunde der Versuch die Diskussion abzuwürgen. Es ist das, was viele heute als Moralismus bezeichnen, der sie unendlich nervt. Doch auch diese Menschen springen oft zu kurz und signalisieren mit ihren ‚Moralismus‘-Schlagwort, dass sie ihrerseits kein Interesse an der durchaus schwierigen Diskussion haben.

Aber Floskeln und Phrasen auszutauschen und sich wechselseitig mit Häme zu überziehen, bringt uns nicht vom Fleck, sondern man gräbt sich mit durchdrehenden Reifen nur immer tiefer im Schlamm ein. Das Kernproblem ist ein psychologisches: Die Antworten, die man ab einem bestimmten Grad an Komplexität findet, sind nicht mehr klar, einfach und eindeutig, sondern sie sind zum Teil ambivalent und zwei Schritte in eine richtige Richtung können durchaus einen Rückschritt in einer anderen Richtung bedeuten.

Es fühlt sich aber besser an, wenn es einfache Antworten, einfache gut/böse Schubladen und Praktiken gibt, bei denen man nur die Ärmel hochkrempeln muss und dann kann man die Welt verbessern. Doch der Lohn ist der, dass, wenn man einmal die Schallmauer durchbrochen hat, man nie wieder hinter diese Einsicht zurück fällt. In Ein neues, integrales Denken und Handeln haben wir das ausgeführt.

Vermeintliche Denkverbote zu überwinden ist nicht schwer, man braucht einfach nur nach Argumenten zu verlangen oder Argumente einzubringen. Dabei geht es nicht um Tabuverletzungen und eine provokative Ausweitung des Denkbaren in Richtung diverser Unmenschlichkeiten, sondern einfach um eine konsequente Diskussion des Themas, in welchem Umfeld auch immer. Jeder kann mitmachen.

Symmetrie der Rechte, Pflichten und der Argumente

Um eine lange Geschichte kurz zu machen, kann man sagen, dass unsere Kultur eine Mischung aus an sich schon widersprüchlichen Strängen ist. Unsere religiösen und ethischen Wurzeln sind eine christliche Religion und eine Kantsche Ethik, die den Wert des Einzelnen, des Subjekts stark betont, als eine Mischung aus der christlichen Gleichheit vor Gott und den Ideen der Aufklärung. Ferner eine angelsächsisch geprägte utilitaristische Ethik, die den Nutzen und Schaden einer Handlung für die Mehrheit zu berechnen versucht. Zudem eine Mischung aus Evolutionstheorie und kapitalistischem Wirtschaftssystem, die das Individuum beide marginaliseren. Was etwas kompliziert und irgendwie auch widersprüchlich klingt, ist es auch, es ist nicht leicht, hier eine rote Linie zu finden.

Prinzipiell zählt der Wert des Individuums in der westlichen Wertehemisphäre wesentlich mehr, als in anderen Teilen der Welt, die tendenziell eher kollektivistisch orientiert sind. Insbesondere als Folge des Nazi-Diktatur wollte man noch mehr verhindern, dass Menschen sich zu einfach und bequem in den Dienst einer Sache stellen und moralisch dahinter verstecken, wie in Terror, Folter und Sadismus: Wenn normale Menschen grausam werden ausgeführt.

Aber auf der anderen Seite wollen wir auch, dass die Wirtschaft brummt, der Mythos des Nachkriegs-Deutschlands beruht wesentlich auf einem unerwarteten Wirtschaftswachstum und Erfolgen in Kultur, Wissenschaft, Medizin, sozialem Wohlstand und gelingendem Miteinander. Besonders im Bereich der Wirtschaft wird vom Individuum aber eine nahezu kollektivistische Unterordnung verlangt und wenn es um gute Wirtschaftsbeziehungen geht, werden unsere Grundwerte gerne mal für einen Moment vergessen, um danach dann wieder betont zu werden. Die dritte Frage: Warum halten wir uns eigentliche nicht an unsere Werte?

Doch alles in allem ist die Symmetrie der Rechte, Pflichten und der Argumente ein starker Aspekt unserer Kultur. Ein signifikanter Unterschied zu anderen Kulturen, in denen Kritik an der Obrigkeit auch heute noch gravierende Folgen bis zur Haft oder zum Tod nach sich ziehen kann. Das wird hier gerne versucht zu verwischen, so als ob wir Demokratie nur spielen. Das stimmt nicht, dennoch ist unsere Demokratie in Gefahr, weil vielen, auch durch gezielte Propaganda nicht mehr klar ist, was wir an ihr haben.