Trauma und Gehirn sind miteinander verwoben. Ein Trauma hinterlässt nicht nur Spuren auf der Seele, also dem emotionalen Erleben. Es wirkt sich auch auf die Gedanken, die verinnerlichten Glaubenssätze, Wahrnehmungen von sich und der Welt und das Verhalten aus. Zudem können Traumata auf unterschiedlichste Art Leistungsbeeinträchtigungen nach sich ziehen.

Trauma-Gehirn: Entwicklungstrauma und Leistungsfähigkeit

Das Gehirn als Lichtinstallation in Orange und Gelb

Trauma und Gehirn sind auch in Bezug auf die Leistungsfähigkeit miteinander verwoben. © dierk schaefer under cc

Insbesondere entwicklungsbedingte Traumata, also solche, die im Laufe der Kindheit oftmals über einen längeren Zeitraum stattgefunden haben, aber auch andere Traumata können die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen sowie zum Beispiel eine PTBS mit sich bringen. Allgemein können negative Erfahrungen in der Kindheit, die eine tiefe Verunsicherung hervorgerufen haben und dass man sich weniger angenommen fühlte, mitunter zu kognitiven Beeinträchtigungen im späteren Leben führen. Nicht immer muss also nach klinischen Maßstäben ein Trauma vorliegen, wenn man diese Symptome bei sich beobachtet. Letztendlich handelt es sich stets um ein Spektrum, auf dem das Erlebte und seine Auswirkungen eingeordnet werden, denn Menschen erleben und bewerten das, was ihnen passiert ist, auf unterschiedliche Weise. Aufgrund der inhaltlichen Bandbreite der Thematik bleiben wir in diesem Artikel jedoch auf ein Entwicklungstrauma bezogen.

Traumatisierungen in der Kindheit scheinen direkte Veränderungen im Gehirn nach sich zu ziehen. Außerdem können sie beispielsweise über eine erhöhte Angstneigung, einen geringen Selbstwert und eine höhere Wachsamkeit bezogen auf das Außen zu einer kognitiven Beeinträchtigung und verminderten Konzentrationsfähigkeit führen.

1. Angstlähmung: Nicht klar denken

Wer in der Kindheit häufiger Angst verspürte, weil das Zuhause, das eigentlich ein Ort der Sicherheit sein sollte, ein Ort der Angst war, der hat unter Umständen auch im späteren Leben eine erhöhte Angstneigung, infolge derer er sich häufiger schlechter konzentrieren kann. Schnell schlagen bei den Betroffenen die Alarmglocken an, beispielsweise wenn irgendwo eine Tür zuknallt, jemand laut schreit oder beleidigend wird, sie bewertet, prüft, unter Druck setzt oder allgemein in für sie herausfordernden Situationen. Dann gehen sie instinktiv in den Kampf-, Freeze- oder Fluchtmodus, der die kognitiven und emotionalen Kapazitäten beansprucht und erschöpfend wirken kann, vor allem wenn man ihn mehrmals am Tag durchläuft. Traumatisierte Menschen fahren emotional schnell in einen Zustand der erhöhten Wachsamkeit hoch und sie benötigen mehr Zeit, bis sich die Stressreaktion wieder abschwächt. Auch dadurch ist ihre Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt.

Neben körperlicher und sexueller Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung können auch emotionale Gewalt über Drohungen, Abwertungen, Bloßstellungen etc. zu einer Traumatisierung führen. Kinder, die in unsicheren Elternhäusern aufwuchsen, sind häufiger bis ins Erwachsenenalter mit ihrer Wahrnehmung mehr auf das Außen orientiert. Schon in der Kindheit mussten sie lernen, auf die Stimmungen und Missstimmungen ihrer Bezugspersonen Rücksicht zu nehmen, da andernfalls negative Konsequenzen drohten. Bis heute macht ihnen die Angst vor möglichen Konsequenzen zu schaffen. Sie sind öfter in einem Angstmodus, rutschen in alte Gedanken- und Gefühlsmuster ab und können sich, beispielsweise in einer Leistungssituation, weniger auf die Inhaltsebene konzentrieren.
Sie haben eine größere Angst davor, Fehler zu machen oder sich falsch zu verhalten, weil sie früher immer dafür bestraft wurden. Demzufolge trauen sie sich heutzutage weniger, sie riskieren nichts, sind vielleicht eher misserfolgsvermeidend ausgerichtet und bleiben beruflich hinter ihren Möglichkeiten zurück.

2. Geringer Selbstwert: Weniger Zutrauen

Wer selbstunsicher ist, der wird oft weniger für sich einstehen und beruflich oft weniger vorankommen. Ein geringer Selbstwert kann manchmal dazu führen, dass im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung weniger Leistungen erbracht werden, etwa weil man angst- und schambehaftet ist. Personen, die aufgeregt sind und sich kaum etwas zutrauen, können sich häufig schlechter konzentrieren und haben ein unsicheres Auftreten. Im Endergebnis könnte ihre Leistung dann schlechter sein.
Ein Referat vor der Klasse wird dann bereits zu einer wahren »Überlebensherausforderung«, da selbst kleine Fehler von den Betroffenen als persönliches Rundum-Versagen der gesamten Person interpretiert werden. Anstatt also zu denken: »Da habe ich offenbar etwas falsch gemacht«, werten sie sich in ihren Gedanken womöglich selbst und in ihrer Gesamtheit ab: »Ich bin ein Versager, ich kann absolut nichts.« Was dazu führt, sich zukünftig noch weniger zuzutrauen. Negative Glaubenssätze wie »Ich bin nicht gut genug«, die man in der Kindheit gelernt hat, werden dann sofort aktiviert.

Mann sitzt am Computer im Großraumbüro

In der Schule oder am Arbeitsplatz können sich Entwicklungstraumata negativ auswirken. © Vancouver Film School under cc

Es anderen beweisen zu wollen, dass man gut genug ist, kann dazu führen, dass der Geist sich verkrampft. Die besten Ideen und ein klares Denken entstehen ja in vielen Fällen nicht unter Druck oder weil geglaubt wird, immer mehr machen zu müssen. Mit Ruhe im Kopf und innerem Abstand kommen einem oft die besten Ideen. Menschen, die sich aufgrund traumatischer Erfahrungen in der Kindheit übermäßig unter Druck setzen, könnten hier also im Nachteil sein.

Aus der Angst vor einer weiteren Selbstwertschädigung gehen manche Betroffene lieber auf Nummer sicher und bleiben in einem Leistungsbereich, dem sie auf jeden Fall gerecht werden können. Da jegliche Herausforderungen bei ihnen den Überlebensmodus aktivieren, und dessen Bewältigung mit einer großen emotionalen Last aus Angst und Selbstzweifeln einhergeht, bleiben sie lieber auf sicherem Terrain.

3. Bewältigungsstrategie: Perfektionismus vs. Prokrastination

Die Auswirkungen eines Traumas auf das Gehirn versuchen Betroffene auf unterschiedliche Weise zu kompensieren. Mitunter versuchen sie, ihre Ängste und Selbstzweifel mit einem starken Perfektionsstreben auszugleichen, und setzen sich selbst noch mehr unter Druck. Sie kontrollieren ständig nach, versuchen, das Beste aus sich herauszuholen, recherchieren, verbessern bis ins kleinste Detail und wollen sehr gut in allem sein, weil sie fürchten, Fehler zu machen und schlecht dazustehen. Wenn man sich selbst nicht vertraut und immer wieder die Leistungen anzweifelt, sich zu Höchstleistungen peitscht und bei der Bewältigung einer Aufgabe immer emotional gegenregulieren muss, damit die Ängste nicht Überhand nehmen, dann kostet das nicht nur Energie, sondern auch Zeit. Faktisch könnte es also sein, dass, bedingt durch die Traumafolgen, eine Person mehr Zeit für die Erledigung bestimmter Aufgaben einplanen muss und weniger innerhalb einer bestimmten Zeit schafft.
Zudem kann es dazu führen, dass wenn man sich durch das Perfektionsstreben verzettelt, man Wesentliches von Unwesentlichem schlechter trennen kann. Logische Fehler, die man beim Draufblicken erkennen könnte, fallen dann weniger auf.

Andere bewältigen ihre starken Versagensängste, Minderwertigkeitsgefühle und die Angst, ein Hochstapler zu sein, indem sie beispielsweise die Aufgabe immer verschieben, weil sie sich dem emotionalen Ballast nicht stellen wollen. Sie prokrastinieren.

4. Trauma-Gehirn: Dissoziationen, weniger Konzentration

Ein Trauma kann sich auf das Gehirn durch Dissoziationen und Flashbacks auswirken. Aufgrund von Wahrnehmungen in der Umgebung oder der eigenen Gedanken fühlen Betroffene sich vielleicht an eine schlimme Situation aus der Kindheit erinnert und in diese emotional zurückgeworfen. Das Abdriften von Gedanken bis hin zum Abspalten von Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen und Verhalten kann die Betroffenen kognitiv beeinträchtigen. Sie erleben sich dann nicht mehr im Hier und Jetzt. Wahrnehmung, Erleben und Gedankenwelt sind im Zuge dessen voneinander getrennt. Kurzum: Man erlebt sich nicht mehr als eine Einheit.
Gerade in extremen Stresssituationen oder wenn zu viele Reize auf einen einwirken, kann ein dissoziatives Erleben auftreten. Plötzlich ist eine Stunde am Schreibtisch vergangen und die Betroffenen waren geistig so abwesend oder »abgespalten«, dass sie nicht mehr wissen, was sie in der vergangenen Stunde gemacht haben beziehungsweise jegliches Zeitgefühl verloren haben. Wer diese Erfahrung von sich kennt, in dieser oder etwas abgeschwächter Form, der wird sich infolge dessen noch weniger zutrauen.

Das gedankliche Wegdriften kann also letztendlich dazu führen, dass viele weniger auf die eigenen Gedanken und Wahrnehmungen vertrauen. Sie fragen sich: Habe ich das Geschriebene jetzt schon kontrolliert oder sollte ich es besser noch einmal tun? Ist es so, wie ich den Inhalt des Artikels verstanden habe, richtig oder habe ich etwas übersehen?
Ist die eigene Konzentration immer wieder unterbrochen, kann man schwerlich auf den eigenen Arbeitsfluss vertrauen.

5. Wahrnehmung im Außen – weniger Inhalte

Frau lächelt in die Kamera

Die Aufarbeitung vergangener Traumatisierungen kann nicht nur zu einer Verbesserung des Wohlbefindens beitragen, sondern auch zu einem besseren Umgang mit Herausforderungen. © Lisa Stevens under cc

Wer von Traumafolgen betroffen ist, der wird unter Umständen schneller von den Reaktionen der Umstehenden verunsichert, weil man seit der Kindheit das Gefühl vermittelt bekam, nicht zu genügen und fehlerhaft zu sein. Demzufolge werden eventuell bestimmte Reaktionsweisen des Gegenübers fehlinterpretiert und führen zu Verunsicherung. Eine Konzentration auf das Wesentliche und die eigentlichen Inhalte der Thematik sind somit weniger möglich.

6. Höhere Stressbelastung: schlechterer Schlaf

Bei Menschen, die von Traumafolgen betroffen sind, schaltet das autonome Nervensystem schneller auf Alarmbereitschaft, wenn sie getriggert werden. Sofort wird etwas als Bedrohung interpretiert, weil auch früher ihre Umgebung nicht sicher war. Sie grübeln häufiger schon über kleine Probleme nach, welche andere Menschen unter normalen Umständen weniger belasten würden. Sie neigen zum Katastrophisieren und dem Ausmalen des »Worst Case«-Szenarios. Das kann zu Erschöpfung und Schlafmangel führen. Gerade das Grübeln beim Einschlafen oder Aufwachen in der Nacht bringt eine erhebliche Reduktion der Schlafdauer und Beeinträchtigung der Schlafqualität mit sich. Die Folgen davon sind eine schlechte Konzentration und Übermüdung.

Folgen von Trauma auf Gehirn: Was tun?

Für Betroffene von Traumafolgen steht die Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen an erster Stelle. Bei Bedarf kann und sollte dies im Rahmen einer professionellen Psychotherapie stattfinden. Der richtige Umgang mit dem Erlebten, die Aufarbeitung und zeitliche Integration des Geschehenen in die Vergangenheit führt zu neuen Gedankenansätzen, einer ruhigeren Gefühlswelt, veränderten, weniger impulsgeleiteten Verhaltensweisen, einer Distanzierung von Menschen und Situationen, die einem nicht guttun, sowie allgemein zu mehr Selbstfürsorge, einer positiveren Sicht auf sich und Steigerung des individuellen Wohlbefindens.

Erfolgt eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Erlebten, wird das Trauma auf das Gehirn zukünftig weniger Auswirkungen haben. Betroffene lernen, sich zu vertrauen. Sie machen für sich erfahrbar, dass Fehler nicht in einem Katastrophenszenario münden, so wie sie es aus der Kindheit kennen. Im Zuge des Umlernens und der korrigierenden Erfahrungen werden sie zunehmend mit weniger Versagensängsten an Herausforderungen herangehen können. Die Betroffenen gelangen zu einem höheren Kontrollerleben und einer besseren Fehlertoleranz mit weniger Angst vor Ablehnung. Sie gewinnen an Zuversicht, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit und können ihr Leben mit mehr Gelassenheit und Eigenverantwortung angehen.