Psychischer Missbrauch durch den Partner oder die Partnerin kann viele Jahre andauern. Im Nachhinein fragt man sich, wieso man sich die Herabsetzungen und Manipulationen so lange gefallen ließ. Warum hat man es nicht früher durchschaut oder blieb vielleicht, obwohl bereits gefühlt wurde, dass etwas mit der Partnerschaft nicht stimmt?

Personen, die sich eines psychischen Missbrauchs bedienen, setzen ebenso bewusst oder unbewusst Techniken ein, um die Missbrauchten an sich zu binden. Denn nicht selten wollen diese irgendwann gehen, die Partnerschaft verlassen. Doch sie lassen sich dazu überreden zu bleiben.

Psychischer Missbrauch: Warum du in der Beziehung bleibst

Trotz des emotionalen Missbrauchs in der Partnerschaft verbleibt ein großer Teil der Betroffenen längere Zeit in der Beziehung. Es entstehen häufig On-Off-Beziehungen. Das heißt: Man trennt sich, kommt wieder zusammen, streitet sich, trennt sich, kommt wieder zusammen. Und immer so weiter.

Ein Grund, warum du ungeachtet der emotionalen Auf und Abs in der Beziehung verbleibst, liegt darin, dass du dich in einem Kreislauf aus Hoffnung auf Besserung und enttäuschten Erwartungen befindest. Dieser findet nicht etwa nur in deinem Kopf statt. Vielmehr löst oft das ambivalente, also widersprüchliche Verhalten des missbrauchenden Beziehungsmenschen eine Trennungsunsicherheit bei dir aus.

Trennungsunsicherheit durch Double-Bind

Frau schaut durch Fensterscheibe und spiegelt sich

Psychischer Missbrauch durch den Partner: Wie er dich daran hindert zu gehen. © Victoria Henderson under cc

Zwischen den Missbrauchenden und den Missbrauchten besteht eine sogenannte Double-Bind. Bei dieser Form der ambivalenten Bindung wechseln degradierende Verhaltensweisen mit Zuspruch und Zuneigung ab. Da in einer missbräuchlichen, manipulativen Beziehung auch Gaslighting, also die Verwaschung deiner Wahrnehmung, und Schuldumkehr stattfinden, bist du dir insgesamt unsicherer, ob die Beziehung nun gut oder schlecht ist. Du traust deiner eigenen Wahrnehmung und Einschätzung nicht mehr.

Untergraben deines Selbstwertes

Vielleicht kennst du solche Sätze von deinem Beziehungsmenschen wie: »Ich meine es doch nur gut mit dir.« Dennoch bekommst du immer wieder verbale Spitzen zu hören, warum du angeblich nicht gut genug seist oder dieses oder jenes falsch gemacht hättest. Wie es in einer Partnerschaft üblich ist, vertraust du deinem Gegenüber, weil du davon ausgehst, dass die andere Person nur dein Bestes möchte. Und dein Beziehungsmensch beteuert ja auch genau das. Aber wie passen diese Beteuerungen damit zusammen, dass du nach seiner Aussage so »fehlerhaft« seist? Es kann also nur die zwei Möglichkeiten geben, dass er entweder doch nicht dein Bestes möchte oder du tatsächlich fehlerhaft bist. Und weil er dich zwischendrin vielleicht auch immer wieder bestärkt, glaubst du eher letzterer Variante. Nämlich, dass er mit seiner Kritik Recht haben könnte.

Weil dein Selbstwert beständig untergraben wird, siehst du dich irgendwann implizit selbst als diese Person, die voller Ängste, Selbstzweifel und Unzulänglichkeiten ist. Du glaubst deinem Beziehungsmenschen, wenn er sagt, du würdest nicht allein im Leben zurechtkommen. Vielleicht hast du durch negative Prägungen aus der Kindheit auch tatsächlich etwas mehr Ängste und Selbstzweifel. Und genau in diese Kerbe haut dein Beziehungsmensch immer hinein. Folglich wird sie größer. Was man immer öfter hört, erscheint einem umso wahrer. Denn steter Tropfen höhlt den Stein.

Daraus folgt, dass deine Angst, deinen Beziehungsmenschen zu verlassen, ebenfalls immer größer wird. Weil du dich geschwächt, unzulänglich und nicht liebenswert fühlst. Du denkst, du könntest nicht mehr ohne ihn leben. Du bräuchtest ihn, um glücklich zu sein. Das hindert dich daran, ihn zu verlassen. Weil du keine Kräfte mehr hast und nicht mehr stabil in dir ruhst.

Gegebenenfalls finanzielle Abhängigkeit

Ein unschöner Nebeneffekt einer Beziehung mit einem manipulativen, selbstzentrierten Beziehungsmenschen ist, dass er sehr viel deiner Zeit und deiner Kapazitäten in Anspruch nimmt. Die ständigen Streitereien und das emotionale Tohuwabohu führen dazu, dass du kaum noch Zeit und Kraft für dein eigenes Leben findest. Du bist einfach viel zu sehr mit der Beziehung beschäftigt. Je mehr Baustellen sich in deinem Leben anhäufen, wie beispielsweise eine aufgeschobene Prüfung oder die vernachlässigten Freundschaften oder die Suche nach einem Job, desto beängstigender wirkt es für dich, nach der Trennung in dein eigenes Leben zurückzugehen. Desto weniger attraktiv erscheint es dir. Auch deshalb bleiben viele lieber in der Partnerschaft.

Gänseblümchen steht allein auf der Wiese

Wurdest du in der Partnerschaft isoliert, fühlst du dich nun allein auf weiter Flur. © Thomas Kohler under cc

Hinzu kommt, dass dir eventuell berufliche Ziele von deinem Beziehungsmenschen ausgeredet wurden. Gleiches gilt für Ziele, die dich weiter in Richtung Selbstständigkeit führen sollten. Deine finanzielle Unabhängigkeit wird vielleicht zudem vor dem Ansinnen eines gemeinsamen Lebensentwurfes gekürzt. Vor allem in länger andauernden Partnerschaften mit gemeinsamen Kindern ist dadurch eine tatsächliche Abhängigkeit entstanden, aus der es sich zu befreien gilt.

Soziale Isolation verstärkt psychischen Missbrauch

In einer Beziehung mit einer missbrauchenden Person wirst du nicht selten systematisch von deiner Familie und Freundschaften ferngehalten. Das passiert oft schon allein dadurch, dass dein Beziehungsmensch selbst ungern in soziale Kontakte geht. Er möchte seine Ruhe haben, bittet dich mit ihm daheim zu bleiben und schwört dich darauf ein, dass ihr beide gegen den Rest der Welt zusammenhaltet.

Etwaige Konflikte und Streitereien zwischen deinem Beziehungsmenschen mit befreundeten Personen oder mit Familienmitgliedern treten außerdem manchmal auf. Weil du keine Spannungen wünschst, bleibst du von dir aus den Familientreffen oder Partys fern. Schlimmstenfalls wirst du noch derart manipuliert, dass die besagte befreundete Person oder das Familienmitglied ein unangenehmer Mensch sei.

All jenes führt dazu, dass du während deiner dysfunktionalen Beziehung zu deinem Freundes- und Familienkreis auf Abstand gegangen bist. Nun fehlt dir ein Bezugssystem, welches dir in Bezug auf die partnerschaftlichen Probleme und das Verhalten deines Beziehungsmenschen eine alternative Sichtweise bietet. Die Meinung deines Beziehungsmenschen ist zu deinem Hauptanhaltspunkt geworden.

Mit wem kannst und willst du die Beziehungsprobleme besprechen? Gibt es jemanden in deinem Umkreis, mit dem du die Vorfälle in der Beziehung auswerten könntest? Solche Gespräche und Kontakte sind Gold wert. Diese wieder aufzubauen, ist ein erster Schritt, um sich aus der Zange eines emotionalen Missbrauchs zu befreien. Ansonsten helfen auch Selbsthilfegruppen und soziale Netzwerke, denn so wie dir ergeht es vielen.

Psychischer Missbrauch = Angstbindung

Was dich in einer toxischen Beziehung an deinen dominanten, manipulativen und destruktiven Beziehungsmenschen bindet, ist eine Angstbindung. In vielen dieser Beziehungen fürchten die Betroffenen die Reaktion ihres Gegenübers, sobald sie Grenzen setzen oder sich von der Partnerschaft trennen wollen. Das Verhalten von Personen mit destruktiven Verhaltensmustern ist zumeist unvorhersehbar, angstmachend, unterschwellig abstrafend oder impulsiv. Deshalb verbleiben viele Betroffene in einer solchen Beziehung. Auch wenn ihnen dieser Sachverhalt nicht unbedingt bewusst ist, so lenkt er unbewusst ihr Verhalten und ihre Entscheidungen.

Psychischer Missbrauch sind auch: Leere Versprechungen

Das Wort Love gelegt aus Hölzern auf Stroh

Um dich zu binden, werden Änderungen in der Beziehung und die große Liebe beschworen © motoshi ohmori under cc

Schlussendlich gibt es neben den degradierenden und strafenden Reaktionen auch immer wieder Versprechungen deines Gegenübers, sich zu bessern. Du wirst regelrecht angefleht zu bleiben. Natürlich weißt du längst in deinem Inneren, dass die Änderungen nicht von Dauer sind. Deshalb solltest du die Beziehung verlassen, sobald du kannst.

Reminder: Bei körperlicher Gewalt ist der sofortige Weggang unter Einhaltung deiner Sicherheit und der deiner Kinder die einzige Wahl, die du hast.

Betrifft dich psychischer Missbrauch durch den Partner oder die Partnerin? Für weitere Informationen und Unterstützung wende dich beispielsweise an:

Was tun bei psychischem Missbrauch?

Hast du den Verdacht, dass du psychisch missbraucht wirst, so wird er sich in der Regel als wahr erweisen. Dein Bauchgefühl ist dir dahingehend ein wichtiger Signalgeber. Oft spürt der Bauch es schon längst, während der Kopf noch in Unsicherheiten aufgrund von Gaslighting und alten Prägungen sowie Glaubenssätzen aus der Kindheit eingebunden ist. Vertraue deinem Bauchgefühl.

Wichtig ist die Erkenntnis. Sie ist der erste Schritt auf dem Weg zur Befreiung von psychischem Missbrauch. Das Erlangen deiner finanziellen und sozialen Unabhängigkeit ist gleichermaßen wichtig. Letztendlich musst du zunehmend an Standpunktsicherheit gewinnen. Das gelingt dir, indem du die Ungeheuerlichkeiten mitsamt der Aussagen, Wahrnehmungsverwaschungen, Schuldumkehr und Lügen deines Gegenübers notierst, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Das Aufschreiben sowie der ehrliche Austausch mit befreundeten Personen oder wahlweise im Rahmen einer Psychotherapie, psychologischen Beratung oder Selbsthilfegruppe werden dir helfen, deine Gedanken zu klaren und die weiteren Schritte anzugehen.
Wenn du dich aus der Beziehung löst, dich schlussendlich trennst und kein Kontakt mehr besteht, ist ein psychischer Missbrauch durch den Partner oder die Partnerin zwar faktisch vorbei. Dennoch musst du dich von den Folgen noch lange Zeit erholen und diese seelisch aufarbeiten. Sie wiegen in der Psyche schwer. Doch mit der Zeit richtest du dich immer mehr auf. Du vertraust dir selbst, deiner Wahrnehmung, deinen Handlungen und Entscheidungen und fühlst dich befreit, so als wäre ein dunkler Schleier von dir genommen worden. Du wirst merken, wie mehr Ruhe in dein Leben einkehrt und wie viel Kraft du zukünftig für deinen Alltag hast.