Oversharing steht für ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen in Relation zum Grad des Bekanntseins mit einer anderen Person zu viel von sich preisgeben. Übersetzen lässt sich der Begriff mit „Über-Mitteilen“. Nicht immer hat Oversharing mit einer hohen Zentrierung auf sich selbst zu tun. Welche Ursachen können noch dahinter stehen?

Oversharing: Mögliche Gründe

Hinter dem Oversharing können verschiedene Gründe stecken, in Abhängigkeit von der jeweiligen Persönlichkeit, dem Temperament und der individuellen Lebenslage einer Person. Einige der möglichen Ursachen haben wir nachfolgend aufgeführt.

Über-Mitteilen aus Unsicherheit

Zwei junge Männer unterhalten sich

Beim Oversharing wird dem Gegenüber zu viel Privates mitgeteilt, obwohl man sich gar nicht so gut kennt. © Vincent Diamante under cc

Vielleicht kommt ein Gespräch mit einer dir noch fremden Person nicht so recht in den Gang. Du versuchst, kein Schweigen aufkommen zu lassen. Damit der Gesprächsfluss nicht versiegt, gibst du immer mehr von dir preis. Auch wenn dein Gegenüber keine Reaktion zeigt und dir mit starrer Miene kein Feedback gibt, läufst du Gefahr, dich immer weiter zu erklären und weitere private Informationen von dir zu verraten.

Damit steht eine gewisse Überverantwortung in Verbindung. Du fühlst dich für das Gelingen der Situation sowie auch für die Reaktion deines Gegenübers verantwortlich. Aber das bist du nicht.

Über-Mitteilen aus Verpflichtungsgefühl

Möglicherweise hat in einem Gespräch die andere Person viel von sich preisgegeben und nun fühlst du dich verpflichtet, es ihr gleichzutun. Andernfalls brächtest du ihr nicht das gleiche Vertrauen entgegen, so denkst du dir. Du bist höflich und möchtest niemanden verletzen.

Damit einer geht aber auch die Angst, selbst nicht abgelehnt zu werden, etwa wenn du dich nur reduziert mitgeteilt hättest.

Suche nach Anerkennung und Bestätigung

Menschen, die in der Kindheit von ihren ersten Bezugspersonen nie richtig gesehen und bedingungslos angenommen wurden, haben oft auch im Erwachsenenalter das Bedürfnis, gesehen zu werden. Dementsprechend teilen sie viel über sich mit.

Unbewusst suchen sie bei den anderen Personen nach der Anerkennung, die sie in der Kindheit nicht erfahren durften.

Oversharing wegen Selbstzentrierung

Mann in der Frontalaufnahme seines Gesichtes, im Hintergrund ein Haus

Es kann viele Gründe geben, warum man stark auf sein eigenes Leben konzentriert ist. © passer-by under cc

Auch wenn der Fokus zu sehr auf einem selbst liegt, neigen manche Menschen zum Oversharing. Sie interessieren sich weniger für das Leben anderer und können kein ausgewogenes Gespräch führen. Stattdessen präsentieren sie sich. Dahinter steht eine starke Orientierung auf sich selbst, die verschiedene Ursachen haben kann. Ein narzisstischer oder histrionischer Persönlichkeitsstil kann damit beispielsweise einhergehen.

Andererseits können eine hohe Angstneigung, Minderwertigkeitsgefühle und starke Grübeleien mit einer höheren Selbstzentrierung zusammenhängen. Wer früher oft die Schuld für etwas bekommen hat oder beschämt wurde, der empfindet es manchmal auch im Erwachsenenalter so, dass das Umfeld stärker auf einen achten würde. Man glaubt unter Umständen, man hätte mehr Einfluss darauf, wie andere einen sehen, genauso wie die Verantwortung dafür, als es tatsächlich der Fall ist. Mitunter beginnt man dadurch, mehr von sich mitzuteilen.

Suche nach sozialer Anbindung

Wer einsam ist, der hat niemanden zum Reden. Demzufolge wird alles in ein einzelnes Gespräch gelegt, wenn dieses beispielsweise in der Nachbarschaft oder im Supermarkt stattfindet. Das Bedürfnis nach sozialer Anbindung ist stark geworden, sodass man sich vollständig offenbart.

Durch das Oversharing fühlen sich die Betreffenden verbundener mit anderen Menschen. Manchmal erfahren sie Zuspruch durch sie.

Oversharing aufgrund mangelnder Grenzen

Die Fähigkeit, gesunde Grenzen zu setzen, rückt in den sozialen Medien im Umgang mit dysfunktionalen sozialen Beziehungen immer mehr in den Mittelpunkt. Wenn bei Personen in der Kindheit die Grenzen nicht respektiert und immer wieder übergangen wurden, erleben sie eine mangelnde Abgrenzung zwischen sich und der Umwelt. Das kann dazu führen, dass sie sich über die Maßen mitteilen.

Wurde einem Menschen seitens seiner Bezugspersonen nicht vertraut oder ihm negative Absichten unterstellt, wurden also seine persönlichen Grenzen nicht respektvoll gewahrt, verspürt er vielleicht unbewusst das Bedürfnis, zu zeigen, dass er harmlos ist. Auch die zuvor angesprochene Beschämung und Schuldzuweisung durch frühere Bezugspersonen gehört ebenfalls zu dem Punkt der mangelnden Wahrung von Grenzen in der Kindheit, die zu Oversharing führen können. Man möchte sich gegenüber anderen immer erklären.

Auch kann Oversharing mit erlernter Hilflosigkeit einhergehen. Erlernte Hilflosigkeit ist ebenfalls eine Form von mangelnder Wahrung der Grenzen – dieses Mal bezogen auf die Grenzen der anderen. Eine Person teilt viel von sich mit, weil sie auf die Art in der Vergangenheit gelernt hat, dass andere Menschen ihr dann Hilfe anbieten und Ratschläge geben, quasi ihre Probleme für sie lösen.

Über-Mitteilen wegen mangelnder Emotionsregulation

Hält man in bestimmten Situationen die eigenen Emotionen schwerer aus, kann es zum Oversharing kommen, damit die unangenehmen Gefühle verschwinden. Ängste, Wut, Scham- oder Schuldgefühle werden manches Mal dadurch bewältigt.

In dem Sinne dient das Oversharing somit einer Kompensationsstrategie, um die Gefühle zu regulieren.

Oversharing eindämmen: Was tun?

Frau mit Brille und kurzen Haaren schaut in Kamera

In sozialen Interaktionen geht es immer um einen angemessenen Austausch. © Þóra Kristín under cc

Um Oversharing zu verringern, ist es wichtig, bei den Ursachen anzusetzen:

  • Erkenne, wenn du in einer Situation zu viel von dir preisgibst. Wie bei einem Sidekick (das sind die nützlichen Begleitenden der Hauptfiguren in einem Film oder Buch) kannst du dich und dein momentanes Verhalten in einer Situation „überwachen“. Werde dir dessen gewahr, sobald du zu viel von dir teilst.
  • Fühle in dich hinein, warum du gerade so viel teilst. Bist du unsicher, einsam, beschämt? Was liegt dem zugrunde?
  • Werde allgemeiner, wenn du weniger von dir verraten möchtest. Überlege dir Themen, die du stattdessen ansprechen kannst. Smalltalk ist mehr als sein schlechter Ruf. Smalltalk gewährleistet eine wichtige soziale Anbindung ohne zu viel Intimität. Eine gute Methode, um von sich selbst abzulenken, ist es, seinem Gegenüber Fragen zu stellen. So liegt der Fokus des Gespräches nicht mehr auf dir.
  • In Abhängigkeit von den Ursachen des Oversharings suche dir wahlweise Unterstützung, um die Gründe anzugehen. Praktiziere Selbstfürsorge, damit du dich in einem guten emotionalen Gleichgewicht befindest und an Selbstsicherheit gewinnst. Lerne, unangenehme Emotionen und Situationen auszuhalten.

Oversharing ist nicht nur schlecht

Oversharing hat nicht nur Nachteile, wie beispielsweise, dass sich eine Person, mit der zu viel geteilt wird, unwohl fühlt. Oder dass ein Zuviel an Informationen von einem anderen Menschen missbraucht wird, der es nicht gut mit einem meint.

Manchmal treffen beim Oversharing zwei Gleichgesinnte aufeinander. Es kann ein willkommener und vertrauensvoller Austausch werden, bei dem man sich gegenseitig Beistand und Tipps gibt. Die Welt ist oft viel zu kühl geworden, Menschen misstrauen einander und viele verschließen sich. Eine kleine Portion Oversharing (in einer angemessenen Dosis) kann demzufolge nicht schaden.

Der Grad zwischen Oversharing und Offenheit ist ein schmaler. Letztendlich kann jede Person für sich selbst entscheiden, wie viel sie von sich preisgibt. Und ihr Gegenüber entscheidet, wie mit dieser Offenheit umzugehen ist.

Fakt ist, dass es für einen gelungenen sozialen Austausch in der Regel besser ist, mehr zu reden als zu wenig. Das Fazit lautet: Finde für dich das richtige Maß. Wenn du dich selbst mit dem Oversharing wohlfühlst und dich auch nicht durch die Reaktion deines Umfeldes abgelehnt fühlst, kannst du einen offenen Austausch praktizieren. Empfindest du jedoch im Anschluss ein Schamgefühl oder beim Mitteilen schon eine erhöhte Ängstlichkeit, solltest du noch einmal in dich gehen und dir überlegen, wie du deinen Hang zum Oversharing ausbremsen kannst.