Helfersyndrom steht für ein Konglomerat an Eigenschaften und Verhaltensweisen, bei dem eine Person übermäßig zum Helfen bereit ist. Dabei kann die angebotene Unterstützung für die helfende Person, aber auch für die Person, welcher geholfen wird, einige Nachteile mit sich bringen. Diese Nachteile stehen nicht im Verhältnis zu dem positiven Effekt, der durch das Helfen erzielt wird.

Helfersyndrom: Anzeichen, dass es dich betrifft

Vielleicht bist du sehr hilfsbereit und kannst nicht Nein sagen, wenn jemand dich um deine Unterstützung bittet. Häufig ist das Helfen für dich mit so manchen Nachteilen verbunden, zum Beispiel in Bezug auf seelische Belastungen oder die Vernachlässigung deiner eigenen Bedürfnisse. Und nun hegst du den Verdacht in dir, du könntest von dem Helfersyndrom betroffen sein. Folgende Anzeichen sprechen dafür:

1. Motive von Anerkennung und Gebraucht werden

Menschen, die zum Helfersyndrom neigen, haben oft in der Kindheit erfahren müssen, dass sie hauptsächlich Zuwendung und Anerkennung bekommen, wenn sie sich nützlich machen und helfen. Ansonsten wurden sie von ihren nahen Bezugspersonen weniger gesehen und wertgeschätzt. Die Liebe der Bezugspersonen war sozusagen an Bedingungen geknüpft, sie gab es nicht einfach so. Die Kinder mussten etwas tun, um Liebe zu erfahren, oder sie hofften, dadurch Liebe von emotional unterkühlten Eltern zu bekommen. Mitunter haben Menschen mit Helfersyndrom Bezugspersonen in der Kindheit gehabt, die nicht so gut allein mit der Verantwortung Erwachsener zurechtkommen konnten.

Frau mit Brille schaut prüfend in die Kamera

Menschen mit Helfersyndrom haben oft das Bedürfnis in sich, alles kontrollieren zu wollen. © Holly under cc

Hinterfrage gern einmal deine Motive, warum du zu einer übersteigerten Hilfsbereitschaft neigst. Mit einem Helfersyndrom sind oft folgende Motive verbunden.

  • Starkes Bedürfnis nach Anerkennung: Durch das Helfen fühlst du dich gesehen und angenommen.
  • Du hast das Gefühl, gebraucht zu werden. Durch das Helfen empfindest du eine innere Aufwertung.
  • Überlege dir, ob du einen Nutzen durch das Helfen hast. Steigert es deinen Selbstwert und hast du das Gefühl, durch das Helfen Wichtigkeit zu bekommen? Glaubst du, du wirst dadurch mehr gemocht?
  • Fühlst du dich dadurch stärker und geordneter als die andere Person und so, als hättest du alles im Griff? Vielleicht fühlst du dich sogar tief in deinem Inneren ein bisschen besser, weil eine andere Person weniger gut mit ihrem Leben zurechtkommt?
  • Definierst du dich selbst als uneigennützige, allzeit hilfsbereite Person? Und freut es dich, wenn andere dich so sehen?

2. Übermäßig verantwortlich fühlen

Menschen, die von dem Helfersyndrom betroffen sind, fühlen sich sofort innerlich aktiviert, sobald jemand Hilfe benötigt. Sie sind sofort da, wollen sich besprechen und überlegen, was zu tun wäre. Womöglich fühlst auch du dich schnell verantwortlich für die Probleme anderer.

  • Es fällt dir schwer, das Problem der anderen Person bei dieser zu belassen. Du holst es sofort in deinen Verantwortungsbereich.
  • Damit einhergehend fällt es dir vielleicht auch schwer, dabei zuzusehen, wie die andere Person selbstständig bezüglich ihres Problems agiert und Lösungsversuche unternimmt. Sofort hast du das Gefühl, eingreifen zu müssen, wenn du glaubst, dass die Gedanken deines Gegenübers in die „falsche Richtung gehen“ und der Lösungsversuch scheitern könnte.
  • Hast du das Bedürfnis, alles kontrollieren zu wollen? Brauchst du häufig die Kontrolle über Situationen und Konstellationen?

3. Mehr auf andere orientiert als auf sich

Vielleicht bist du insgesamt mit deinen Gedanken häufiger im Kopf bei anderen. Für dein eigenes Leben, dein eigenes Wohlergehen und deine Bedürfnisse hast du dagegen weniger einen Blick.

  • Überlege, ob du übermäßig stark am Leben anderer Menschen emotional beteiligt bist und demgegenüber deine eigenen Bedürfnisse unsichtbar für dich sind.
  • Ist es vielleicht sogar so, dass die Konzentration auf das Leben eines anderen Menschen bei dir eine Leere füllt oder dir dabei hilft, deine eigenen Probleme auszublenden?
  • Kompensierst du durch das Helfen vielleicht eine innere Unzufriedenheit oder eigene Schwächen?

4. Starke Überzeugungen

Help-Buchstaben auf Zeitung

Wer das Helfersyndrom hat, der definiert sich oft über die Hilfe für andere. © Jesper Sehested Pluslexia.com under cc

Menschen mit Helfersyndrom glauben oft, es „besser zu wissen“. Sie haben Schwierigkeiten, von ihren Theorien, Ideen und Lösungskonzepten Abstand zu nehmen oder diese zu relativieren. Vielmehr versuchen sie, ihr Gegenüber von ihren eigenen gedanklichen Ansätzen zu überzeugen.

  • Was macht es mit dir, wenn dein Gegenüber anders lautende Lösungsvorschläge bringt? Stößt es dir innerlich auf?
  • Widersprichst du der anderen Person und verteidigst deine vorgeschlagene Lösung für ihr Problem?
  • Neigst du dazu, sie zu überzeugen, warum ihr Vorschlag nicht klappen kann?

5. Aufopferung

Menschen mit Helfersyndrom tendieren zur Aufopferung. Sie haben Schwierigkeiten, Nein zu sagen, und fühlen sich sofort verpflichtet, wenn man sie um Hilfe fragt. Ob die Unterstützung gerade zeitlich für sie passt oder sie eh schon erschöpft sind, berücksichtigen sie dabei gar nicht.

  • Sagst du häufiger Ja zu einer nachgefragten Hilfe, obwohl dein Bauchgefühl es eigentlich ablehnt, weil du dich erschöpft und überlastet fühlst oder keine Zeit hast?
  • Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du die Hilfe nicht zusagen würdest?
  • Vielleicht vernachlässigst du sogar deine Gesundheit und deinen Alltag, weil du dich verpflichtet fühlst, anderen zu helfen.

6. In abhängigen Beziehungsmustern eingebettet

Menschen mit Helfersyndrom haben nicht selten soziale Beziehungen in Form von Partnerschaften, Freundschaften oder familiären Beziehungen, die durch eine Abhängigkeit gekennzeichnet sind.

  • Hast du mit der Person, der du hilfst, eine sehr dichte Bindung? Möglicherweise ruft sie dich bei nahezu jeder Kleinigkeit an und hofft auf einen Ratschlag von dir. Es scheint so, als könne sie fast nichts alleine entscheiden.
  • Du spürst ein Gefühl von Verpflichtung ihr gegenüber in dir und glaubst, die andere Person käme ohne deinen Ratschlag weniger gut zurecht.
  • Regst du dich vielleicht auch manchmal darüber auf, weil die andere Person ohne deine Unterstützung nicht zurechtzukommen scheint, sie „nichts alleine hinbekommt“ und völlig hilflos erscheint?
  • Hast du auch soziale Beziehungen, in denen du nicht die gebende, stärkende, beratende oder versorgende Person bist? Fühlst du dich in diesen weniger „geliebt“, weniger nahe und haben diese weniger Bedeutung für dich?
  • Hilfst du oft auch Personen übermäßig intensiv, obwohl du sie gar nicht so gut kennst? Weil du denkst, du kannst helfen, also hilfst du?

7. Hilfe anderer nicht annehmen können

Vermutlich vermeidest du selbst, die Hilfe anderer, weil du nicht zur Last fallen willst und nicht in der Schuld einer anderen Person stehen möchtest.

  • Hast du Schwierigkeiten, dir einzugestehen, wann du Hilfe brauchst?
  • Eventuell ist das Suchen von Hilfe für dich unbewusst mit Schwäche verbunden. Wohingegen das Geben von Hilfe für dich mit Stärke assoziiert wird.
  • Hast du andererseits aber auch manchmal das Gefühl, ausgenutzt zu werden, weil du Hilfe gibst, aber im Gegenzug dazu keine bekommst?

8. Wertlos fühlen, wenn Hilfe nicht gewollt wird

Mann hängt nur noch mit einem Arm am Geländer

Personen mit Helfersyndrom glauben oft, andere kämen ohne ihre Hilfe nicht zurecht. © Steve Garner under cc

Menschen mit Helfersyndrom sind oft sehr betroffen, wenn ihre Hilfe abgelehnt wird. Sie fühlen sich zurückgewiesen, weniger „geliebt“ und so, als sei ihr Ratschlag, ihre Unterstützung oder auch sie als Person nichts wert.

  • Wie reagierst du, wenn jemand deinen Ratschlag oder deine Hilfe ablehnt? Fühlst du dich dann weniger wert?
  • Empfindest du die andere Person als undankbar, wenn sie deine Unterstützung nicht möchte? Denkst du dir: „Sie wird schon sehen, was sie davon hat!“
  • Vielleicht reagierst du sogar in einer passiv-aggressiven Weise, weil du dich übergangen fühlst, und strafst die Person nun mit einer unterkühlten, abweisenden Art. Selbst wenn du dich anders verhalten wolltest, schaffst du es gerade nicht, weil du dich vor den Kopf gestoßen fühlst.

Helfersyndrom? Das kannst du tun

Wenn du den Verdacht hast, du könntest von einem Helfersyndrom betroffen sein, dann ist die Erkenntnis der erste Schritt. Nun gilt es, die seit der Kindheit in dir verankerten Verhaltensmuster aufzubrechen. Sie dienten dir einst als eine kluge Strategie, um von deinen Bezugspersonen gesehen und anerkannt zu werden. Doch nun als erwachsene Person brauchst du diese nicht mehr. Du kannst, darfst und solltest dich auf deine Selbstfürsorge orientieren – und natürlich auch hin und wieder helfen.

Auf dich orientieren

Manchmal sind die Muster, die zu einem Helfersyndrom führen, so stark in der Psyche verwoben und mit anderen Gefühlen von Angst und Minderwert verstrickt, sodass mitunter eine psychotherapeutische Intervention angeraten sein kann.

Es ist wichtig, über die Hilfsbereitschaft weder deine Rolle in einer sozialen Beziehung noch deine Wertigkeit als Person zu definieren. Du bist auch so ein guter Mensch, der viele tolle Eigenschaften aufweist und mit dem man gerne zusammen ist, ohne dass du etwas dafür tun musst. Vermutlich hast du die unbewusste Annahme in dir: Wer gebraucht wird, wird nicht verlassen. Deshalb solltest du vermutlich auch deine Verlustängste angehen.

Gerade wenn man dazu neigt, alles kontrollieren zu wollen, fällt es schwer loszulassen und die Verantwortung für die Probleme anderer Menschen bei ihnen zu lassen. Versuche, dich innerlich davon abzugrenzen. Konzentriere dich bewusst auf dein Leben. Du kannst einer Person unterstützende Ratschläge geben, ihr gewiss auch helfen, aber den Großteil der Verantwortung für ein Problem und die Umsetzung für dessen Lösung trägt sie. Tritt im Geiste einen Schritt zurück, nachdem du um deine Meinung gefragt worden bist und diese kundgetan hast, und dann lasse die andere Person einfach machen.

Hinter einem Helfersyndrom steht manchmal der unbewusste Glaube, andere Personen kämen ohne einen selbst nicht zurecht (vielleicht weil man es in der Kindheit so erfahren hat, dass erwachsene Bezugspersonen nicht für sich sorgen konnten und Unterstützung brauchten). Doch schlussendlich trägt jeder Mensch die Verantwortung für sein Leben und man sollte sie ihm nicht „aberziehen“. So versagt man ihm die Chance auf Weiterentwicklung, beispielsweise auch durch Fehler, verschiedene Versuche und Zutrauen in seine individuellen Fähigkeiten. Mache dir das bewusst und vergiss nicht, dich auch um dein Leben zu kümmern, sodass du dich darin wohlfühlen kannst.