Weiblicher Narzissmus schwankt zwischen verdecktem Überlegenheitsdenken und Selbstzweifeln, die mit narzisstischen Verhaltensweisen kompensiert werden. Narzissmus bei Frauen ist häufig weniger dominant, weniger von Grandiosität geprägt als bei Männern. In vielen Fällen tragen männliche Personen ihr Überlegenheitsdenken offener zur Schau. Weiblicher beziehungsweise verdeckter Narzissmus geschieht zumeist subtiler. Er kommt häufiger bei weiblichen Personen vor, tritt aber auch bei männlichen Personen auf.

Weiblicher Narzissmus: Zwischen Selbstüberhöhung und Unsicherheit

Bei narzisstischen Frauen besteht auch ähnlich wie bei Männern ein starkes Streben nach Anerkennung. Narzisstinnen wollen viel Bewunderung und Zuspruch erfahren. Bei ihnen zeigt sich der Narzissmus vor allem im sozialen Bereich. Weiblicher Narzissmus ist häufig unterschwelliger, angepasster und mehr an die gesellschaftlichen Erwartungen von Frauen adaptiert. Einige typische Anzeichen von weiblichem Narzissmus sind folgende:

1. Starkes Streben nach Bewunderung

Narzisstische Frauen legen in der Regel großen Wert auf ihr Äußeres und zeigen sich übermäßig selbstbewusst. Sie ziehen ihre Bestätigung darüber, dass sie für andere attraktiv sind und begehrt werden. Sie investieren viel in ihr Erscheinungsbild, möchten perfekt aussehen und sind stark mit der Optimierung ihres Äußeren beschäftigt. Im Grunde sind sie ständig auf der Suche nach Bestätigung für ihr Aussehen, ihren sozialen Status und ihre Fähigkeiten. Frauen mit Narzissmus möchten ebenfalls gern im Mittelpunkt stehen, tun dies aber weniger offensiv als viele Männer.

2. Kontrollstreben und Perfektionismus

Frau mit zwei Zöpfen trägt Lippenstift vor dem Spiegel auf

Weiblicher Narzissmus legt häufig viel Wert auf Äußerlichkeiten. © DAVID BOWIE mx under cc

Auch über ihre Fähigkeiten möchten weibliche Narzissten Bewunderung ernten. Sie sind oft perfektionistisch und möchten über alles die Kontrolle behalten. Damit versuchen sie, nach außen eine perfekte Fassade aufrechtzuerhalten. Sie achten darauf, keine Fehler zu machen und wollen gute Leistungen abliefern. Neben der inneren Anspannung tragen sie vermutlich auch einen großen Erwartungsdruck in sich, weil sie fürchten, den externen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Doch alles in allem sind es ja ihre eigenen Anforderungen, die sie fürchten, nicht erfüllen zu können, weil sie damit Gefahr laufen, nicht mehr als perfekt zu erscheinen. Die Angst, es nicht zu schaffen oder nicht gut genug zu sein, erkennt man manchmal an einem verdeckt unsicheren Auftreten, das mit selbstüberhöhten Aussagen und übertriebenem Selbstbewusstsein kaschiert wird.

Eigene Fehler werden oft abgewehrt. Sie sind nicht existent. Dennoch kann es bei Kritik, Fehlern oder Misserfolgen zu einem Einbrechen der Fassade, also des labilen Selbstwerts kommen. Eventuell treten dann infolge dessen tiefe Krisen auf. Die Verletzlichkeit des weiblichen Narzissmus wird auch über die Komorbidität mit verschiedenen psychischen Erkrankungen deutlich. Bei Frauen mit Narzissmus finden sich Symptome von Depressionen und Angsterkrankungen, Suchterkrankungen, aber auch Essstörungen, weil ihr Innenleben zwischen Größenfantasien und Selbstzweifeln schwankt. Einerseits empfinden sie sich als großartig und besser als andere, andererseits plagen sie manchmal Selbstzweifel und Selbstabwertungen beziehungsweise Minderwertigkeitskomplexe. Auch deshalb werden hin und wieder für weiblichen Narzissmus die Begriffe vulnerabler oder verletzlicher Narzissmus verwendet. Im Grunde dient also ihr Großartigkeitserleben als Selbstschutz vor Verunsicherung.

Das Bedürfnis nach Kontrolle in sozialen Beziehungen veranschaulicht sich zudem darüber, dass auch weibliche Narzissten versuchen, andere zu dominieren und zu manipulieren. Insgesamt wird es durch ihr Perfektions- und Kontrollstreben weniger wahrscheinlich, dass etwas ihren labilen Selbstwert ins Wanken bringt.

Perfektion auch bei anderen erwartet

Auch andere in ihrem Umfeld sollen perfekt funktionieren. Das kann sich zum einen auf den Partner oder die Partnerin beziehen, zum anderen auf die eigenen Kinder. Narzisstische Mütter verlangen, dass ihre Kinder perfekt funktionieren. Tun sie dies nicht, ordnen die Kinder sich nicht unter oder geben sie nach Meinung der narzisstischen Mutter nicht ausreichend Zuspruch, sind Bestrafung und Abwertung die Folge. Nicht selten wird von diesen Müttern ein Kind als das Gute hingestellt und das andere als fehlerhaft und unerwünscht behandelt. Gerade zu heranwachsenden Töchtern gehen narzisstische Mütter in Konkurrenz. Es ist ein ausgewiesener emotionaler Missbrauch, der sich bei narzisstischen Müttern im Umgang mit ihren Kindern abspielt.

3. Übertriebene Emotionalität

Weiblicher Narzissmus kann zwar weniger von Dominanz geprägt sein. Dennoch holen sich die betroffenen Frauen ihre Aufmerksamkeit, indem sie emotional stark auf eine Situation reagieren. Fühlen sie sich verletzt oder verhält sich eine andere Person nicht so, wie sie es erwarten, zeigen sie sich übertrieben enttäuscht, entrüstet und empfindlich. Was die andere Person gemacht hat, ist in ihren Augen „dermaßen schlimm“ und „unverzeihlich“ und „so respektlos“.

Bei ihnen gibt es viel Drama um nichts. Gerade bei narzisstischen Frauen besitzen Tränen, Verzweiflung und Trauer eine gewisse Funktionalität. Dadurch erhalten sie Zuspruch, Zuwendung und Aufmerksamkeit.

Hier schimmert die Verletzlichkeit der Narzisstinnen durch, denn letztendlich wird Narzissmus im Ursprung zumeist aus nicht empfangener Liebe und Abwertung durch Bezugspersonen geboren. Er ist auch eine Kompensationsstrategie, um das eigene Nichtigkeitserleben und die Gefühle der Abwertung auszugleichen. Ein unterkühltes Elternhaus zählt zu den häufigen Ursachen für Narzissmus.

Abgrenzung zu Borderline: Innere Kälte

Nahaufnahme einer Iris vom Auge

Weiblicher Narzissmus unterscheidet sich u. a. von einer emotional-instabilen Persönlichkeit durch mehr Kälte im Blick und weniger emotionale Wärme. © Rafe Saltman under cc

Ein Unterschied zu einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung beziehungsweise Borderline-Persönlichkeitsstörung, die auch durch einen starken emotionalen Affekt gekennzeichnet ist, besteht vor allem in dem dahinter liegenden Motiv. Menschen, die von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffen sind, suchen zuvorderst nach Liebe und haben Angst vor Ablehnung. Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeit suchen vor allem nach Anerkennung und haben Angst vor Abwertung oder Kritik. Narzisstische Menschen kontrollieren und setzen andere herab. Betroffene von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung wirken abseits ihrer Impulsivität häufig „geschwächter“ und vorsichtiger. Zudem sind sie in ihrer Verletzlichkeit insgesamt authentischer und „innerlich wärmer“.

4. Manipulation statt Empathie

Ebenso wie männliche Narzissten sind auch weibliche weniger empathisch. Oder anders gesagt: Sie sind nur so empathisch, wie es ihnen nutzt. Gerade weibliche Narzissten können sehr charmant und verführerisch sein. Sie setzen diese Verhaltensweisen für ihre Zielerreichung ein und manipulieren andere damit, die sie schnell als „Schwächere“ ausmachen, weil sie oftmals unsicherer und dadurch empfänglicher dafür sind.

Die Empathie bei weiblichen narzisstischen Personen hat demnach Funktionalität, obwohl sie einfühlsam wirken. Wenn sie sich empathisch zeigen, dann vor allem auch um Bewunderung und Aufmerksamkeit zu bekommen. Rasch leiten sie von den Betroffenen, für die sie „mitfühlen“, zu sich über und erzählen von einer eigenen Geschichte, um das Mitgefühl der Umstehenden zu erzeugen.

Da narzisstische Frauen oder Narzissten im Allgemeinen sich vor allem auf die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse konzentrieren und ihren Belangen Vorrang einräumen, haben sie eher eine kalte Empathie. Sie können reflexartig lügen, um die Situation zu ihren Gunsten zu drehen.

Weibliche Narzissten manipulieren auch, indem sie Schuldgefühle bei ihrem Gegenüber erzeugen. Das geschieht nicht immer durch offene Schuldzuweisungen. Oft finden sich unterschwellige Schuldzuschreibungen an andere. Selbst wenn sie sich direkt entschuldigen sollten, schwingt subtil eine Schuldzuweisung und die Abwehr beziehungsweise Relativierung der eigenen Schuld mit. Letztendlich dienen die manchmal groß angelegten Entschuldigungen dazu, Aufmerksamkeit zu bekommen.

5. Oberflächliche Beziehungen mit Narzissten

Soziale Beziehungen mit narzisstischen Menschen sind bei genauerem Hinsehen sehr oberflächlich. Eine tiefe Bindung oder gar Commitment bestehen nicht. Sie fühlen sich nicht wirklich verpflichtet gegenüber anderen Personen. Selbst wenn sie nach außen hin so tun, als würden sie für befreundete Personen über die Maßen einstehen. Das Blatt in einer Freundschaft mit Narzissten kann sich schnell wandeln. Wer einst als gut galt, fällt schnell in den Topf für „schlechte Personen“ – unabhängig von den zuvor getätigten Beteuerungen.

Konkurrenzverhalten

Weiblicher Narzissmus geht mit einem Konkurrenzverhalten einher. Narzisstinnen empfinden andere Frauen als Bedrohung, checken sie ab hinsichtlich ihrer Stellung und ihres Grades an Attraktivität und gehen in Konkurrenz zu ihnen. Sie konkurrieren mit ihnen, indem sie sie subtil abwerten und kleinmachen.

Dementsprechend vorsichtig muss man in einer Partnerschaft mit narzisstischen Frauen sein. Sie sind stark eifersüchtig.

Eher funktionelle, statt emotionale Bindung

Narzisstische Menschen wählen ihre Freundschaften und Partnerschaften danach, was sie von einem anderen Menschen bekommen können. Eine echte emotionale Bindung kann nicht aufgebaut werden. Sehen sie keinen persönlichen Vorteil mehr, können sie soziale Beziehungen, auch innerhalb der Familie, schnell beenden.

Manipulation durch sexuelles Verhalten

Spiegelbild von Mann, der durch Kamera schaut

Während männlicher Narzissmus häufig offenkundiger ist, zeigt sich Narzissmus bei Frauen oft subtiler. © Marcin Grabski under cc

In Partnerschaften wird auch Sex oder allgemein beim Flirten sexuelle Anzüglichkeit als Mittel zur Kontrolle eingesetzt. Weibliche Narzissten üben durch den Einsatz von Sex Kontrolle und Macht über ihren Beziehungsmenschen aus. Sexuelle Zuwendung wird als Belohnung eingesetzt und zur Bestrafung wieder entzogen, nebst Liebesentzug. Auch die Sexualität bei Narzisstinnen ist nicht von tiefer Emotionalität geprägt. Vielmehr geht es ihnen darum, sich zu zeigen und Bestätigung abzuholen. Ein echtes Interesse am Gegenüber besteht kaum. Sie möchten auch beim Sex besonders gut sein und streben nach einem perfekten Erscheinungsbild.
Mit ihrer sexuellen Anziehungskraft kokettieren weibliche Narzissten, um sich in einem sozialen Gefüge Anerkennung und Vorteile zu verschaffen. Nicht alle neigen zur Untreue, dennoch fühlen sie sich nicht unbedingt ihrem Partner/ihrer Partnerin gegenüber verpflichtet. Häufig wechselnde Partnerschaften gibt es des Öfteren bei ihnen.

Überhöhte Erwartungen an Partner

On-Off-Partnerschaften sind auch in Zusammenhang mit weiblichem Narzissmus keine Seltenheit. Es sind klassische toxische Beziehungen. Schnell wird Schluss gemacht oder mit der Trennung gedroht. Braucht ihr Gegenüber Unterstützung, können narzisstische Frauen unterkühlt und gleichgültig reagieren. Weibliche narzisstische Personen haben übertriebene Erwartungen an ihren Partner oder ihre Partnerin. Er oder sie soll ihnen am besten jeden Wunsch von den Augen ablesen, ständig für sie da sein, sie unterstützen und nur sie bei sich haben wollen – und all jenes ohne selbst viel zurückzugeben. Dem Partner oder der Partnerin wird für alles die Schuld gegeben, sie selbst übernehmen selten Verantwortung für ihr Verhalten.

6. Opferrolle

Ein wichtiger Punkt bei weiblichem Narzissmus ist die Opferrolle. Sie sticheln unterschwellig und wenn sie eine Reaktion vom Gegenüber ernten, rutschen sie sofort in eine Opferhaltung ab und stellen sich als Opfer dar. Weibliche Narzissten fühlen sich schnell benachteiligt und nicht genügend beachtet. Rasch bemitleiden sie sich selbst. Sie zeigen Unverständnis wegen der Reaktion des Gegenübers und geben sich so, als hätten sie „überhaupt nichts gemacht“. Wie immer liegt die Schuld bei den anderen.

Ganz klassisch ist bei Frauen mit Narzissmus auch, dass sie sich bescheiden zeigen. Sie „opfern sich auf“, „meinen es nur gut mit anderen“, „brauchen ja nicht viel“ und „wollen doch nur etwas für die Gemeinschaft tun“. Doch genau diese Bekundungen, die schlussendlich nicht mit ihrem tatsächlichen Verhalten übereinstimmen, dienen eigentlich nur ihrem Streben nach Anerkennung.

Geringes Selbstwertgefühl kompensieren

Zusammenfassend kann man sagen, dass es bei weiblichem Narzissmus besonders deutlich wird, dass die innere Leere und das innen schlummernde geringe Selbstwertgefühl mit einer nach außen hin übertriebenen Selbstsicherheit überspielt werden. Deshalb schwankt der Narzissmus bei Frauen oft auch zwischen übertriebenem Selbstbewusstsein und Selbstzweifeln.

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