Die Entstehung von Zwängen hängt eng mit Angstphantasien zusammen. Zwangsgestörte Menschen machen sich oft übertriebene Sorgen durch Unaufmerksamkeit, Ungenauigkeit oder Versagen einen großen Schaden für sich oder andere anzurichten. Sie müssen daher viele Dinge des täglichen Lebens mehrfach ausführen und kontrollieren, bis diese für sie stimmig sind. Dieser Artikel erklärt die Entstehung von Zwängen anhand kognitiver Modelle.
Was versteht man unter Zwängen?
Zum Zwang kann fast jede Tätigkeit werden. Zu den häufigsten Zwängen gehören ständiges Putzen oder Händewaschen zur Vermeidung von Schmutz oder das Kontrollieren von Dingen um Katastrophen abzuwenden (Wittchen & Hoyer, 2006). Zwar nehmen die Betroffenen ihre Zwangshandlungen selbst als völlig übertrieben oder sinnlos wahr, verspüren aber dennoch einen großen inneren Druck, diese wiederholt und in der immer gleichen Weise auszuführen. Auch das Wissen, selbst Urheber dieser Zwangsimpulse zu sein, hilft nicht dabei, erfolgreich Widerstand zu leisten (Dilling, Mombour, Schmidt & Markwort, 2006).
Entstehung von Zwängen nach dem Kognitiven Modell
Die Entstehung von Zwängen verläuft nach dem Kognitiven Modell von Salkovskis et al. (2000) in vier Schritten ab:
1. Aufdringlicher Gedanke
Wenn man sich über verschiedene Dinge Gedanken macht, kann es passieren, dass ein Gedankeninhalt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät. Beispielsweise ist dies die Sauberkeit eines Tisches.
2. Bewertung
Nun kann es vorkommen, dass dieser Gedanke als besonders bedrohlich wahrgenommen wird. Die betreffende Person weiß trotz mehrmaliger Sauberkeitskontrolle nicht genau, ob der Tisch auch wirklich ordentlich gewischt ist. Sauberkeit muss aber unbedingt vorherrschen. Hier liegt hohes Gefahrenpotential für die Entstehung von Zwängen.
3. Unangenehmes Gefühl
Der bedrohliche Gedanke erzeugt negative Emotionen. Die Ungewissheit über den Zustand des Tisches erzeugt Unruhe oder Angst.
4. Neutralisieren
Das Zwanghafte Ritual wird durchgeführt, um sich Erleichterung zu verschaffen. Die Person kontrolliert oder wischt den Tisch erneut, um sicherzugehen, dass er auch wirklich sauber ist. Erst dann kann sie den Gedanken beiseite schieben.
Das Neutralisieren führt zwar kurzfristig zur Beruhigung, verstärkt aber auf Dauer die Entstehung von Zwängen (Mowrer, 1947). Dieser Umstand lässt sich durch das Modell der operanten Konditionierung (Thorndike, 1911) erklären. Demnach wird ein Verhalten aufrechterhalten, wenn auf die Handlung eine positive Konsequenz erfolgt. Ruft die Zwangshandlung nun Erleichterung hervor, werden die Betroffenen diese in angstauslösenden Situationen immer wieder durchführen, um die Angst zu reduzieren und sich ein beruhigendes Gefühl zu verschaffen.
Entstehung von Zwängen nach der sozialkognitiven Lerntheorie
Nach der sozialkognitiven Lerntheorie (Bandura, 1963) erhält das Kind durch Nachahmung des Verhaltens seiner Eltern positive Zuwendung und übernimmt dieses Verhalten dann in sein Verhaltensrepertoire. Leben die Eltern also vor, dass es unbedingt notwendig ist, sofort nach dem Essen alles sauber zu machen, wird das Kind sich in Zukunft freiwillig am Abwasch beteiligen, um Lob und Zuneigung von seinen Eltern zu erhalten.
Wird dieses Verhaltenskonzept allerdings zu rigide angewendet, lernt das Kind nicht unbekümmert mit den Dingen des Lebens umzugehen. Auch im Erwachsenenalter wird noch der Glaube aufrechterhalten, sauber und ordentlich sein zu müssen, um von anderen Menschen geliebt zu werden. Wird dieser Anspruch nicht erfüllt, folgt ein schlechtes Gewissen. Dieses lässt sich dann durch das Ausführen von Zwangshandlungen beruhigen. Ein Nichtbefolgen dieser Zwangsimpulse wird mit einem Verlust an Zuwendung durch das Umfeld in Verbindung gebracht und erzeugt somit Angst. Dies führt zur Entstehung von Zwängen (König, 1995).
Quellenangaben
- Bandura, A. (1963). The role of imitation in personality development. Journal of Nursery Education, 18, 207-215.
- Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H. & Schulte-Markwort, E. (2006). Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. Bern: Huber.
- König, K. (1995). Kleine psychoanalytische Charakterkunde (3., durchges. Aufl.). Göttingen, Zürich: Vandenhoeck und Ruprecht.
- Mowrer, O.H. (1947). On the dual nature of learning: A reinterpretation of „conditioning“ and „problem solving“. Harvard Education Review, 17, 102-148.
- Salkovskis, P.M., Ertle, A. & Kirk, J. (2000). Zwangstörungen. In J. Margraf (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Störungen – Glossar (2., durchges. Aufl., S. 61-85). Berlin: Springer.
- Thorndike, E.L. (1911). Animal intelligence: Experimental studies. New York: Macmillan.
- Wittchen, H.U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.