Alle Jahre wieder ist Weihnachten, da stellt sich für den einen oder anderen die Frage, was der Glaube, Religion, Spiritualität oder ein Empfinden für Transzendenz für ihn noch bedeutet. Fühlen wir uns noch von guten Mächten wunderbar geborgen? Die Glaubenskrise in einem immer stärker säkularisierten Europa, ist sie ein Zeichen, dass die Menschen hier immer reifer und erwachsener werden oder stellt sie einen Verlust dar?
Das Kreuz mit dem Kreuz und dem Halbmond
Sicher ist, dass es kontinuierliche Kirchenaustritte gibt, die in den letzten Jahren, wohl auch im Zuge der offengelegten sexuellen Missbrauchsfälle der katholischen Kirche, noch einmal zugenommen haben. Deutlich scheint aber auch zu sein, dass es weiterhin eine spirituelle Sehnsucht gibt.
Für die einen ist Religion organisiertes Übel, vom intellektuellen Niveau her vergleichbar mit dem Glauben an den Weihnachtsmann, unzeitgemäß in einem wissenschaftlich-aufgeklärten Zeitalter.
Mit einem eher soziologischen Blick kann man die Frage stellen, ob Religionen denn einen gesellschaftlichen Nutzen haben? Es gibt keine klare Antwort, das Bild, was der Kriminologe und Soziologe Christian Pfeiffer zeichnet, ist heterogen. Eine Zugehörigkeit zum Islam sieht der niedersächsische Professor als problematisch an, eine Identifikation mit dem Christentum scheint vor negativen gesellschaftlichen Einflüssen zu schützen. Die Daten beziehen sich ausdrücklich auf Deutschland und hängen eng mit dem Faktor Bildung zusammen, insofern bleibt bei allen Tendenzen die Frage offen, welchen Anteil Religionen nun letzten Endes haben (vgl. ausführlich hier, S. 82-133), ob wir von guten Mächten oder bösen Verirrungen reden.
Doch die Ergebnisse, dass Religionen einen Schutz gegen allgemein schlechte Einflüsse darstellen (Resilienz), scheinen sich vielfach zu bestätigen.
Die Intellektuellen
Der Naturalismus, die philosophische Idee hinter dem naturwissenschaftlichen Weltbild, verfüge hingegen nicht einmal über ein Kriterium, um ein gelungenes und ein misslungenes Leben zu unterscheiden. Das „nachmetaphysische Denken“, das ihm vorschwebt und sich ebenfalls „ethisch enthaltsam“ zeige, verhalte sich hingegen gegenüber Religionen „agnostisch und lernbereit“, meint Jürgen Habermas. Für Gunnar Heinsohn bringen schon die Conquistadoren inmitten ihrer Bluttaten „nichts weniger als das Völkerrecht auf den Weg“. Hans Joas hingegen betont, im philosophischen Radio, bei allen Vorformulierungen dürfe sich das Christentum nicht mit fremden Federn schmücken, es zähle nicht die Absicht, sondern die Etablierung derselben in der breiten, gesellschaftlichen Realität und da sieht er als klare Grenze die französische Revolution.
Und was sagt die Psychologie?
Auch hier findet man Uneinigkeit unter den Analytikern. Sigmund Freud, einer der großen Atheisten, spricht in seiner klassischen Schrift Das Unbehagen in der Kultur von der Religion als einer Art Massenpsychose. Einer seiner begabtesten Erben, Otto Kernberg, meint hingegegen in einem Vortrag über Psychoanalyse und Religion, die Religion liefere ein universelles Wertesystem, das Verantwortungsgefühl mit Sorge und Verständnis, Respekt vor dem Recht der anderen und Toleranz fordere.
Glück, Gesundheit, Schicksalsschläge
Die Glücksforschung sieht in der Fähigkeit zu glauben einen deutlichen Gewinn, der sich auch positiv auf die Verarbeitung von Schicksalsschlägen auswirkt (teilweise in einem Ausmaß, das eigene Fragen aufwirft), ob der Glaube der Gesundheit nutzt, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.
Die Gratwanderung scheint darin zu bestehen, sich von guten Mächten geborgen zu fühlen und dennoch die eigene Verantwortung anzunehmen. Selbst aktiv zu werden und dennoch einen Teil zu delegieren, eine größere Macht in oder um sich zu ahnen, mit der man sich glaubt verbinden zu können.
Quellen:
- J. Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S.115
- G. Heinsohn, Söhne und Weltmacht, Orell-Füssli, 2003, S.99f