Wenn wir einen Ausblick wagen wollen, wie sich die Zukunft der Religion darstellen könnte, dann sieht dies regional sehr unterschiedlich aus.
Europa und der Rest der Welt
Das säkulare Europa befindet sich eher auf einem Sonderweg. Das vergessen wir manchmal, wenn wir glauben, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kirchen all ihre Mitglieder verlieren und Europa zum Modellfall für die ganze Welt wird. Die Tendenz geht aber deutlich eher dahin, dass es der Atheismus ist, der ausstirbt.
Zu den Zahlen, die schon jetzt von einem breiten Übergewicht auf Seiten des Gläubigen ausgehen, gesellt sich noch ein zusätzlicher Effekt: In jenen Regionen, in denen es eine hohe Anzahl an Atheisten gibt, wie bei uns in Europa, schrumpft die Bevölkerung recht schnell, in Ländern mit einer hohen Anzahl gläubiger Menschen wächst die Bevölkerung.
Wieder weiß man nicht, ob man sich im Angesicht von Umweltzerstörung, Nahrungs- und Ressourcenknappheit, Klimawandel und Überbevölkerung über eine partielle Schrumpfung freuen soll, oder ob man diesen Trend bedauern muss, zumal, wenn es eine Region trifft, aus der man selbst stammt. Das ist umso befremdlicher, als die friedliche und befruchtende Koexistenz zwischen religiösen, agnostischen und atheistischen Menschen in Deutschland über lange Zeit gut funktionierte.
Glauben, Wissen und Erfahren
Eine andere offene Frage ist, wie die Zukunft der Religion in einer wissenschaftlichen Zeit aussehen kann. Die naturwissenschaftlichen Fakten sprechen gegen die Religion, doch der Naturalismus ist nichts, was Sinn und Orientierung stiftet. Ob ein Verhalten bereits von Primaten vererbt ist oder genetische Vorteile bringt, sagt noch immer nichts darüber aus, ob und warum man es machen sollte.
Ein psychologischer Aspekt ist, dass der Mensch nicht nur ein objektivierender Beobachter ist, sondern immer auch Anteil nimmt, Erfahrender ist. Als Teilnehmer beobachtet er nicht nur Abläufe und sortiert Fakten, sondern es passiert auch etwas mit und in ihm, vielleicht in seiner religiösen Gemeinschaft, vielleicht im Gebet.
Das ist kein objektiver Beweis für die Existenz Gottes, aber ein subjektives Empfinden und es besteht kein triftiger Grund diese Seite des Menschen völlig auszublenden, zumal sie auch anderswo als Begründung unseres Handelns dient, wenn wir aus Spaß, Erbauung, Neugierde etwas tun.
Religion und Mystik
Gruppenerfahrungen und religiöse Rituale haben ganz sicher eine sinn- und gemeinschaftsstiftende, sowie strukturierende Wirkung, doch die könnte man auch im Fußballstadion haben. Was ist der besondere Aspekt bei Religionen, so dass das Thema die Menschen seit Jahrtausenden nicht los lässt?
Neben der Hoffnung auf ein besseres Jenseits, der tröstenden Idee, dass mit dem Tod doch nicht alles aus sein könnte, waren es immer auch herausragende mystisch-spirituelle Erfahrungen, die das Feuer weiterlodern ließen. Mystische Erfahrungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Empfinden für die Realität von Transzendenz direkt und subjektiv sehr überzeugend vermitteln. Offenbarungen, Durchbrüche, Erleuchtung sind Begriffe aus diesem Erlebenskontext.
Lange Zeit wurde kritisch gefragt, ob diese Erfahrungen nicht nur auf Sinnestäuschungen oder sogar psychischen Pathologien beruhen könnten, doch das konnte nie für alle Fälle bestätigt werden. Die Menschen, die mystische Erfahrungen gemacht haben, haben nicht selten durch diese eine fundamental andere Haltung dem Leben gegenüber entwickelt.
Was könnte die Zukunft bringen?
Wie könnte sie aussehen, die Zukunft der Religion? Eine Fusion von Wissenschaft, Glauben und Mystik scheint eher unwahrscheinlich zu sein, doch inzwischen zeichnet sich ein gewisser Konsens ab, dass Religionen nicht generell entwertet, ihre fundamentalistische Ausprägung aber sehr genau beobachtet werden sollte. Wichtig scheint jedoch auch zu sein, eine Werteorientierung zu etablieren, die die Gesellschaft verbindet.
Religion im Sinne wortgetreuer Gläubigkeit wird weiter eine große und wohl wachsende Rolle in der Welt spielen, anders als derzeit in Europa.
Mystische Erfahrungen sind immer gering in der Zahl gewesen und auch in naher Zukunft hat die Mystik nicht das Potenzial zu einer Massenbewegung. Doch gerade sie könnten bewirken, dass bestimmte spirituelle Erfahrungen ernst genommen werden und die Frage nach dem Verhältnis von objektiver Erkenntnis und subjektiver Überzeugung in Philosophie und Psychologie neu diskutiert wird.