Borderline“ heißt wörtlich übersetzt „Grenzlinie“. In der frühen Phase der Psychoanalyse und Psychologie dachte man in der Tat, es handle sich hierbei um einen sehr engen Bereich, der sich irgendwie gegen die Einordnung in eine der beiden bekannten großen Bereiche, der Neurosen und der Psychosen, sträubt. Die Symptome dessen, was man zunächst als Borderline bezeichnete, schienen zum Teil in die eine Kategorie zu passen, zum Teil in die andere.

So hatte man die Idee, man habe es mit wenigen, sehr speziellen Erscheinungen zu tun, einem etwas schillernden Phänomen mit einer auffallenden Symptomatik. Hier hat sich inzwischen einiges geändert und die schmale Linie ist zu einer breiten Fläche gut untersuchter psychischer Krankheitsbilder geworden, den sogenannten schweren Persönlichkeitsstörungen.

Terminologische Schwierigkeiten

Da diese Erkrankungen in unserer Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielen und auch quantitativ ein immer breiteres Terrain einnehmen, ist es wichtig, zunächst einige Begriffe zu klären: Die Ebene „Schwere Persönlichkeitsstörungen“ wird in der Fachwelt auch „Borderline-Persönlichkeitsorganisationsebene“ genannt. Sie grenzt sich nach unten gegen das Gebiet der Psychosen ab und nach oben gegen das Gebiet der leichten Persönlichkeitsstörungen oder Neurosen.

Mit anderen Worten: Wir finden von unten nach oben (Psychose, Schwere Persönlichkeitsstörung, Neurose), den Organisationsgrad der Psyche betreffend, Ebenen von aufsteigender Komplexität der psychischen Organisation, der Möglichkeiten der gelungenen Interaktion und immer stabileren psychischen Strukturen.

Die schweren Persönlichkeitsstörungen beschränken sich aber nicht auf die Borderline-Störung, sondern diese befindet sich, zusammen mit anderen bekannteren Persönlichkeitsstörungen, auf dem Niveau dieser Borderline-Persönlichkeitsorganisationsebene. Die Borderline-Störung selbst ist also ein Teil dieser Borderline-Ebene.

Sie ist inzwischen vergleichsweise bekannt geworden, hat jedoch nun wieder einen anderen Namen angenommen (was aus verschiedenen Gründen nicht selten ist) und wird heute auch „Emotional instabile Persönlichkeit vom Borderline Typ“ genannt.

Diese fällt vor allem durch ihre Impulsivität auf, mit der die unerträglichen inneren Spannungen abgebaut werden müssen, die sich im Ritzen und anderem selbstverletzenden Verhalten, bishin zu immer wieder inszenierten Selbstmordversuchen äußern können. Hochspannungen, die sich auch in chronischer Angst manifestieren. In der Partnerschaft, meist in Angst verlassen zu werden, doch zugeleich eine vor zu viel Nähe und Kontrolle. Ich hasse dich: verlass mich nicht, dieser Buchtitel bringt es treffend auf den Punkt.

Doch längst nicht alle Pathologien dieser Ebene zeigen solch auffallende Symptomatik.

Andere schwere Persönlichkeitsstörungen

In das Gebiet dieser Borderline-Ebene fallen neben der Borderline-Störung auch weitere bekannte Vertreter, wie die narzisstische Persönlichkeitsstörung, die paranoide Persönlichkeitsstörung, die schizoide Persönlichkeitsstörung und andere. Einige haben eine sozial auffällige Symptomatik, andere jedoch können sich hervorragend an die Spielregeln der Gesellschaft anpassen.

All diese Störungen haben gemeinsam, dass bei ihnen eine Identitätsdiffusion vorliegt, aber kein Realitätsverlust. Letzterer wäre ein Anzeichen für eine Psychose.

Wachsende Bedeutung

Frau mit Handy

Dauernde Spannungen und Stress gehören zum Borderline-Erleben © Christopher Meredith under cc

Die Bedeutung der schweren Persönlichkeitsstörungen ist deshalb so groß, weil sie zum einen anwachsen, zum anderen sind es Pathologien, die wir auch in den Spitzen unserer Gesellschaft finden. Nicht nur Show-Stars, auch Politiker, Banker, Konzernchefs und andere Größen des öffentlichen Lebens – allgemein Menschen in gehobener Position – leiden, vermutlich mehr als der Durchschnitt, unter psychischen Erkrankungen der Borderline-Ebene.

Während es Menschen mit einer echten Borderline-Störung kaum in die Spitzenpositionen der Gesellschaft schaffen, sind Narzissten nicht selten an unsere leistungsorientierte Gesellschaft ausgezeichnet angepasst. Dadurch fällt es ihnen leicht Karriere zu machen (sie verfügen gleichermaßen über oberflächlichen Charme, Ehrgeiz, Egozentrik und Rücksichtslosigkeit) und sie prägen, in entsprechend exponierter Stellung, zunehmend die Normen unserer Gesellschaft. Deren zum Teil wachsende soziale Kälte leider ein Faktum ist, das zu einem Krankheitsbild passt, das nur Gewinner und Verlierer und wenig dazwischen kennt.

Quelle: