Pervers ist die abwertende Form für Perversion und auch dieser Begriff ist umstritten und wird versuchsweise als Paraphilie beschrieben.
Doch abseits der Auseinandersetzungen um Begriffe ist die Frage: Bin ich pervers, wenn …? angstbesetzt und verunsichernd. Was ist noch normal und gibt es überhaupt normale und anormale Sexualität?
Erlaubt ist, was gefällt, ist eine sportliche Definition, aber sie wird heikel, wenn eine Beziehung sehr asymmetrisch ist.
Lieben kann man prinzipiell alles: Gegenstände, Tiere, Menschen. Sexuell erregen kann einen auch so gut wie alles, Sex mit Gegenständen ist eher eine Frage der technischen Möglichkeit, ansonsten unproblematisch, da der andere nicht leidet. Sex mit Tieren, Kindern, Schutzbefohlenen ist verboten und ein hochemotional besetztes Thema. Sadomasochistische Spielarten sind größtenteils erlaubt, aber sie wirken auf viele bizarr. Schon Homosexualität ist für die einen völlig normal, andere rümpfen entsetzt die Nase. Aber was ist pervers, eine Perversion, Paraphilie oder eine Perversität?
Konvention und Psychopathologie
Beim Thema Perversion sind bei allem Wirrwarr gute Orientierungen möglich. Doch man muss hier gesellschaftliche Konventionen, also das, was aktuell und hier gerade verboten und erlaubt ist, von einer psychopathologischen Sicht trennen, auch wenn das nicht immer einfach und restlos möglich ist.
Folgende einfache Fragen bringen uns weiter:
- Ist die Integration von Sexualität und stabiler Sorge gegeben?
- Wie gehemmt oder eingeschränkt ist die Sexualität?
- Wie groß ist die aggressive Komponente der Sexualität?
Die Integration
Die gelungene Integration von leidenschaftlicher Sexualität und Sorge ist sozusagen der Paradefall für eine im besten Sinne normale Sexualität. Sie respektiert die Komplexität und Einzigartigkeit menschlicher Charaktere und dies bereichert die Sexualität, wenn das Paar sich traut seine eigenen Regeln aufzustellen und die sexuellen Konventionen zu transzendieren.
Wo diese Integration misslingt, ist Sexualität neurotisch gehemmt oder sie sieht den anderen nicht mehr als ganze Person sondern nur als Sexualobjekt, wir kommen darauf zurück.
Perversion als sexuelle Hemmung
Sexualität gilt dann als frei und ungehemmt, wenn möglichst viele sexuelle Spielarten gelebt werden können und möglichst wenige gehemmt sind. Konkret heißt das, dass genau dann alles in Ordnung ist, wenn die sogenannte präödipale Sexualität, also alle voyeuristischen, exhibitionistischen, sadomasochistischen und fetischistischen Praktiken, sowie die Stimulation sämtlicher Körperöffnungen mit sämtlichen vorstehenden Körperteilen, in Abwechslung mit genitaler Sexualität, praktiziert werden, je nach Lust und Laune und gegenseitiger Abstimmung.
Als Perversion gilt hier eine Einschränkung der Sexualität, was insbesondere meint, dass die breite Palette der sexuellen Möglichkeiten reduziert wird. Eine Perversion ist demnach nicht durch das definiert, was man sexuell tut, sondern durch das, was man lässt oder nicht zu tun in der Lage ist. Wer ausschließlich Voyeur ist und wen nichts anderes sexuell erregt, der unterliegt dieser Beschränkung, ebenso wie der, dessen Sexualität nur im Latexanzug funktioniert.
Diese Perversion ist zwar eine Einschränkung, aber nicht „abartig“, sondern gewissermaßen „zu artig“, weil mehr drin wäre. Aber die Welt ist nicht perfekt und wer so seinen Zipfel vom sexuellen Glück erhascht, der hat wenigstens diesen.
Perversität: Wenn Aggression die Sexualität dominiert
Anders als die Perversion, ist die Perversität dadurch gekennzeichnet, dass die sexuellen Phantasien und Praktiken mehr und mehr von Elementen der Aggression durchsetzt sind: in Form von Gewalt, Beschmutzung, sadistischer Manipulation, Degradierung und Zerstörung und das gilt als ein hohes Alarmsignal! Die Lust, dem anderen Lust zu bereiten, das subtile Spiel des Neckens (Teasing), das Wandern an der Grenze von Lust und süßer Qual, etwa durch das Herauszögern des Orgasmus, all das kippt, wenn die Lust nur noch darin liegt, den anderen zu dominieren, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn zum reinen Objekt zu machen.
Wenn Liebe im Dienst der Aggression steht, statt umgekehrt, beginnt ein grausames Spiel, das die Liebe ausnutzt und instrumentalisiert, um den anderen zu quälen, zu manipulieren, zu demütigen, verbal oder konkret zu beschmutzen und das kann bis zur völligen Eskalation führen, bei der man sexuelle Erregung nur noch dann empfindet, wenn man über andere Macht ausüben kann. Das erfährt seinen gefährlich-traurigen Höhepunkt bei Serienvergewaltigern und -mördern.
Doch zwischen leichten und normalen Formen der Aggression und den schwersten Exzessen liegen etliche Eskalationstufen, so dass zwar Vorsicht geboten ist, aber zur Angst kein Grund besteht. Beim nächsten Mal wollen wir praktische Beispiele aus dem sexuellen Alltag untersuchen und schauen, wo die Grenze gezogen werden kann.