Frau in dunklem Zimmer vor Laptop

Was sie wohl erlebt? © sasha diamanti under cc

Man konnte sich in der Frühphase des Internet, als erste Diskussionsforen aufkamen, bereits darüber wundern, dass Emotionen im Internet überhaupt vorkommen. Vor der Zeit der Selfies und Kurzvideos war das Internet, wenigstens in den Foren, ein bildlich eher spröder Ort. Die ersten Foren setzten auf regionale Nähe, bevor sich nach und nach die inhaltliche Nähe als Bindeglied herausstellte.

Das war schön. Man fand ähnlich Interessierte, die räumliche Distanz spielte auf einmal keine Rolle mehr und man konnte sich über sein Thema austauschen. Nichts, was nicht irgendwo Gleichgesinnte fand, ob Kakteen, Baumaschinen, Philosophie oder Nassrasur.

Man konnte diskutieren, zeigen und streiten, hatte seine Rolle, seine Freunde und Feinde. Obwohl alles sehr karg und bildarm war, gab es schon Spannungen und Emotionen im Internet. Man war zwar anonym, diskutierte oft sehr sachbezogen und dennoch brodelte es, weil man unterschiedlicher Meinung war.

Da auch das Internet einer Entwicklung unterliegt, haben sich bestimmte Spezies ausdifferenziert, so die Trolle. Ihr Ziel ist der Streit an sich, ihr Motiv ist oft die Dunkle Triade plus Sadismus und der all das verbindende Affekt: Hass.

Der Inhalt der Diskussion ist längst zur Nebensache geworden, Hauptsache man kann sich an den hochkochenden Emotionen im Internet ergötzen, die man selbst anfeuert. Trolle geben das hinter vorgehaltener Hand oder auch sehr offen zu. Das gibt einem das Gefühl von Macht, Kontrolle, ein kurzer Kick, den man, kennt man die geeigneten Mittel um geschickt zu provozieren, endlos wiederholen kann. Im verlinkten Fall bis zu 200 Mal am Tag.

Immer mehr Emotionen im Internet

Das Netz wird zunehmend emotionalisiert, vorwiegend werden die primitiveren Affekte dabei verstärkt. Die Beobachtung, dass man kaum noch irgendein Thema diskutieren kann, ohne dass es zwischen einigen Beteiligten zu Diffamierungen, Entwertungen und offenem Hass kommt, teilen viele. Weit überwiegend sind es Männer, die ihren Aggressionen freien Lauf lassen, die einfach Spaß an der Aufmerksamkeit, ihrer kontrollierenden Macht und am Streit haben.

Die Dunkle Triade stellt eigentlich eskalierende Aspekte (die antisozialen Aspekte nehmen zu) der narzisstischen Persönlichkeitsstörung dar und einiges scheint dafür zu sprechen, dass die Effekte sich wechselseitig verstärken, denn es gibt Hinweise darauf, dass gerade das Internet diese Persönlichkeitszüge unterstützt, da sie narzisstischen Selbstdarstellern und Aufmerksamkeitssuchenden, aber auch bösartigen Cybermobbern, Mittel an die Hand geben, die es früher schlicht nicht gab. Es ist ein regelrechter Kampf um Aufmerksamkeit entbrannt. Narzissmusforscherin Jean Twenge hebt dabei hervor, dass vielen Mitgliedern der Generation Y dies sehr wohl bewusst sei, sie es aber auch als notwendig einschätzen würden.

Neben der aggressiven Kompenente werden auch Frauen zunehmend reduzierter wahrgenommen und forcieren selbst diesen Trend. Der weibliche Narzissmus wird bedient, indem man den eigenen Körper sexy, niedlich, verführerisch aber emotional oberflächlich und kalt zur Schau stellt, um Aufmerksamkeit zu erregen und die exhibitionistischen Tendenzen des Narzissmus zu befriedigen.

Männer und Jungs präsentieren sich eher aggressiv, extrem, auf Machtkitsch versessen und skurril. Bei Frauen und Mädchen sind es Klatsch und Tratsch, eine Fokussierung auf niedlichen Kitsch, sowie die Reichen und die Schönen. So richtig erfüllend, wie es immer heißt, scheint das nach einer neuen Untersuchung aber nicht zu sein. Eher ist dies ein neiderfülltes Buhlen um Aufmerksamkeit.

Die Orientierung an diesen Normen könnte nicht nur virtuell, sondern auch ganz real, eine neue Klassengesellschaft entstehen lassen, bei der das virtuelle Ich das eigentliche Ich in der Bedeutung überragt. Nicht nur der kürzlich verstorbene Intellektuelle Frank Schirrmacher wies in „Ego: Das Spiel des Lebens“ darauf hin, auch der Berliner Philosoph Byung-Chul Han warnt davor.

Den Trend zur zunehmenden Emotionalisierung und Simplifizierung machen sich auch Extremisten aller Lager zunutze, um mit handwerklich gut gemachten Videos für ihre Sache zu werben.

Don’t feed the troll

Die eine Lösung ist in der Sache so einfach, wie in der Umsetzung schwer: Don’t feed the troll. Trolle sind oft völlig offenherzig in der Preisgabe ihrer Vorhaben. Die beste Strategie ist, wie im richtigen Leben bei emotionaler Erpressung, sich nicht auf das emotionale Terrain des Trolls zu begeben. Buchstäblich jede Reaktion auf seine Provokation freut ihn, also ist die angemessene Reaktion, nur auf Argumente zu reagieren und jeden emotionalen Gehalt unkommentiert zu lassen. Dazu benötigt man selbst eine gehörige Portion Affektkontrolle. Die kann man an einem Troll dann immerhin trainieren.

Die andere Lösung müsste versuchen, das Einsickern narzisstischer bis psychopathischer Werte in die Gesellschaft zu verhindern. Das wird in der Sache und Umsetzung schwer, die verstärkenden Emotionen im Internet sind ein Baustein des Ganzen.