Randale: Polizeifahrzeug und Pflastersteine

Die immer ähnlichen Bilder nach einer Straßenschlacht. © Sineakee under cc

Kaum ein Thema ist derzeit so medienpräsent wie der Extremismus, egal unter welcher Überschrift: der religiöse Extremismus des IS, der in Teilen rechtsradikale Extremismus der Hooligans. Nicht zu vergessen, dass linksradikale Straftaten ebenfalls seit Jahren zunehmen und es in Deutschland fast schon traditionell zu nennende Straßenschlachten mit der Polizei gibt.
Dazu kommen Bandenkriege im Rockermilieu, organisierte Kriminalität der klassischen und neuen Art, die sich vor allem des Internets bedient, global die Drogenkriege in Mexiko, Spannungen und Revolten im arabischen Raum und, neuerdings mehr beachtet, auch in Afrika. Wer will, kann den Hindu-Fundamentalismus hinzunehmen, von den bekannten Dauerbrennern ganz zu schweigen.

Als sei das nicht genug, herrscht politisch zwischen der NATO und Russland eine Stimmungslage, bei der man sich entscheiden kann, ob sie an den Kalten Krieg erinnert oder bereits Kalter Krieg ist.

Der erste Reflex ist zumeist, sich von extremistisch gesinnten Menschen und ihren Motiven zu distanzieren und sie innerlich weit weg zu schieben. Vermutlich war das in dieser Einfachheit noch nie richtig, aber es klappte, da man selbst mit der Sache nichts mehr zu tun hatte. Extremisten, das sind die anderen, die Verrückten, Menschen, die irgendwie gestört sind, die mit dem wie man selbst lebt nichts zu tun haben.

Diese Beschreibungen sind zu simpel und greifen immer weniger. Längst nicht alle Rechtsextremen sind grölende Dumpfbacken, die nur Dosenbier und Schlägereien im Sinn haben. Längst nicht alle islamischen Extremisten sind von Beginn an fanatisiert und längst nicht alle, die sich irgendwelchen Motorradgangs anschließen oder sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern, sind mit etwas zu viel Aggression im Blut auf die Welt gekommen.

Es ist eine komplexe Gemengelage, aber eine, deren einzelne Stränge man in Teilen verstehen kann. Die Motive in Mexikos Drogenkrieg zu ziehen, Söldner in Afghanistan zu werden oder sich mitten im satten Europa dem Extremismus zuzuwenden, sind verschiedener Art.

Es ist sicher auch unterkomplex zu sagen, die Attraktivität des Extremismus sei in allen Fällen in armen Regionen einzig und allein der Armut oder dem Elend geschuldet, aber statistisch erklärt Armut sehr viel. Elend, ohne Möglichkeiten auf Besserung, lässt die Menschen ihr Leben als den Überlebenskampf empfinden, der er in diesen Regionen der Welt, das können die Weiten Afghanistans sein oder die Innenbezirke amerikanischer Großstädte, tatsächlich ist.

In einigen Ländern der Welt sind extremistische Formen des Widerstandes auch eine Form des politischen Widerstandes, doch manchmal ist auch der Wunsch nach Gewalt vorrangig und wird dann als politisch verbrämt.

Extremismus durch den Youth Bulge

Gunnar Heinsohn hat die These des Youth Bulge formuliert. Dieser These nach braucht es keine politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Gründe um Gewaltphänomene hervorzurufen. Es reicht, dass der Anteil an jungen Männern in der Gesamtbevölkerung, ohne die Möglichkeit soziale Rollen zu finden, zu groß wird (im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung: Heinsohn spricht hier von Anteilen, die >30% liegen), um ziemlich sicher in einen Extremismus zu führen, der sich dann in Kriegen oder Bürgerkriegen ausdrückt.

Der Youth Bulge erklärt nicht alles, seine Brisanz kann durch andere Faktoren angefeuert oder abgemildert werden, aber die These erklärt, warum Armut und Elend nicht die einzigen Faktoren sind, die Menschen zu Extremisten machen, sondern es gerade die gebildeten und wohlgenährten Kinder sind, die dem Extremismus zusprechen. Es fehlt nicht an Nahrung, sondern an sozialen Rollen, an etwas, mit dem sich junge Männer identifizieren können.

Extremismus in Europa

Die Situation in Europa ist also eine völlig andere, denn hier finden wir weder Hunger noch ein überstarkes Anwachsen der Bevölkerung, im Gegenteil, weiteste Teile Europas stagnieren oder schrumpfen demographisch sogar, besonders stark auch die ehemals kommunistischen Staaten.

In Deutschland scheint die Situation so zu sein, dass eine große Zahl von Menschen, für die der Extremismus tatsächlich eine Option ist, aus einem eher bildungsfernen und sozial abgehängten Milieu stammt, zumindest im Vergleich zum sozialen- und Bildungsstand der Gesellschaft, in der sie sich befinden. Doch es bringt wenig, auf die ohnehin schon Ausgegrenzten mit dem Finger zu zeigen, sondern wir wollen versuchen zu verstehen, was ihnen der Extremismus dieser oder jener Spielart gibt.

Im Falle der sozial Abgehängten ist es relativ einfach: eine neue Identität, ein Ideal mit dem man leben und auf das man stolz sein kann, statt sich fortwährend als Mensch zweiter Klasse zu fühlen. Auf einmal heißt es: „Du bist nicht irgendwer, du bist unser Mann, genau auf dich haben wir gewartet, Willkommen.“

In einer Gesellschaft, in der der Wind insgesamt eisiger wird, ist das nicht der Fall. Mit Spott und Häme werden Menschen zuweilen ausgegrenzt, die Reaktion darauf ist Kränkung, Scham und in der Folge oft Hass und Neid auf die anderen, auf „die Gesellschaft“ und ihre Repräsentanten und die Normalbürger, sowie der Wunsch zu zerstören, was man selbst nicht haben kann.

Aber es sind nicht nur die Ungebildeten, die sich extremistischen Organisationen anschließen. Teilweise sind es intelligente und erfolgreiche Menschen. Das typische Profil für einen Moslem-Extremisten war eine Zeit lang mal der unauffällig lebende, gut integrierte Ingenieur- oder Technik-Student, das muss jene Mehrheit verwirren, die tatsächlich einfach nur gut integriert ist.

Unter Hooligans findet man junge, smarte Rechtsanwälte, das links- und rechtsextreme Milieu hat nicht nur seine tumben Krawallbrüder, sondern auch intelligente, eloquente und gelegentlich charismatische Leute. Warum ist eine extremistische Haltung für diese Menschen attraktiv? Das ist nicht allein durch einen Mangel an Bildung oder Einkommen zu erklären, offenbar suchen sie auch etwas, was sie bei uns nicht finden.