Operationssaal, Kittel und Mundschutz

Hier ist Perfektionismus in der Arbeit erwünscht und wichtig. © Army Medicine under cc

Man findet den Perfektionismus schon bis hinein in das Privatleben, noch stärker vertreten, und das ist auch irgendwie die geistige Heimat der Denkweise, ist der Perfektionismus in der Arbeit. Genauer gesagt ist der Gedanke von Effizienz, Ökonomie und Optimierung dort entsprungen und durchaus in Teilen richtig. Die Frage, ob der Kapitalismus zu bremsen ist oder nicht, ist eine politisch-ökonomische Diskussion, die uns hier nicht zu interessieren braucht und an entsprechender Stelle diskutiert werden kann.

Psychologisch interessant wird es insofern, als die Trennung von Arbeit und Privatem mehr und mehr untergraben wird. Geschoben wird das gerne auf die ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern über Handy oder Smartphone, doch das allein ist etwas oberflächlich. Die potentielle Verfügbarkeit wird erwartet und hat eher mit einer psychischen Unterwerfung unter das Diktat der Ökonomie zu tun, deren Gründe man einsieht („Die Konkurrenz schläft nicht“, „Der Laden muss laufen“), während die Gründe für ein Recht auf Entspannung und Privatleben auf einmal gar nicht mehr so rational erscheinen.

Der perfektionistische Mensch will etwas leisten, ist oft genug stolz auf seine Leistungsfähigkeit, die seinem Leben einen Sinn gibt, oft den einzigen. Den zwanghaften Perfektionisten befreit sie von ansonsten auftretenden, quälenden Schuldgefühlen, den narzisstischen Perfektionisten von der chronischen inneren Leere. Hier bekommt der Perfektionismus im Job den Charakter einer Therapie, allerdings kuriert sie mehr die Symptome, als deren Ursache. Denn was, wenn man seine Leistung auf einmal nicht mehr bringt?

Die Sorge um den Arbeitsausfall durch Perfektionismus

Die Sorge um den Arbeitsausfall durch Perfektionismus ist etwas schizophren. Einerseits geben Perfektionisten im Beruf oft alles, andererseits überfordern sie sich und geraten dann in eine Phase des depressiven Zusammenbruchs, den Burnout. Weil sie länger funktionieren, werden sie in der Folge oft schwerer krank. Es gehört zur ironischen Zuspitzung des ganzen Themas, dass man sich um diese Menschen dann erst wirklich Sorgen macht, wenn sie nicht mehr arbeiten können. Dass sie nicht mehr funktionieren, macht sie interessant. Nicht als Mensch, sondern als ausgefallene Arbeitskraft.

Hier wird man dann aktiv und versucht die Arbeitsbedingungen zu verbessern, damit die Fehlzeiten wieder zurückgehen. Die Botschaft ist: Entspannt euch, damit ihr besser funktioniert. Für einen Perfektionisten eher eine Drohung, wenn er kürzer treten muss und auf seine Schuldgefühle oder Leere zurückgeworfen wird, in der Logik der Ökonomie etwas, was folgerichtig ist und auch reale Verbesserungen bringt, vom Ruheraum bis zur Salatbar im Betrieb.

Pragmatischerweise kann man mit den Wölfen heulen und diese Einstellung erkennen und das System für sich nutzen, in dem man bewusst in die geforderten Rollen ein- und aus ihnen auch wieder heraustritt, aber dafür muss man es auch verstehen. Der Philosoph Byung-Chul Han bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:

„Im neoliberalen Regime findet die Ausbeutung nicht mehr als Entfremdung und Selbst-Entwirklichung, sondern als Freiheit und Selbst-Verwirklichung statt. Ich beute mich selbst in dem Glauben aus, dass ich mich verwirkliche. So ist auch das erste Stadium des Burn-out Euphorie. Euphorisch stürze ich mich in die Arbeit. Am Ende breche ich zusammen.“[1]

Fragwürdige bis pathologische Ideale

Die unheilige Allianz von Ökonomisierung und Biologisierung des Lebens und die damit einhergehenden Weltbilder haben wir in unserer Naturalismuskritik bereits dargestellt. Ihnen gemeinsam ist die Sicht, dass das Leben ein Kampfplatz ist, auf dem man sich andauernd und immer wieder bewähren und alles optimieren muss. Dass diese Einstellung Stress und Konkurrenzdruck erzeugt, ist schnell zu erkennen. Sorge muss machen, dass diese Weltbilder zum Teil offen narzisstisch sind und mit der Aura der Vernunft und der wissenschaftlich abgesicherten Wahrheit daherkommt. So sei die Natur nun mal und der Mensch ihr Produkt. Als hätte man vergessen oder nie durchdrungen, dass nichts davon in Stein gemeißelt ist und der Mensch sich den Teil der Regeln, über die wir diskutieren, stets selbst gegeben hat. Über die Abschaffung von Schwerkraft oder Zellteilung wird bekanntlich nicht diskutiert. Ob wir den Wert eines Menschen allein an dessen Wirtschaftskraft und „Nutzen“ festmachen, das sollte man sogar diskutieren.

Gibt es einen perfekten Ausweg aus dem Perfektionismus?

Der Perfektionismus in der Arbeit ist inzwischen zum Problem geworden, da Selbstausbeutung auf mittlere Sicht Fehlzeiten und ernstere oder chronische Erkrankungen nach sich zieht. Doch einen Trend zu erkennen heißt nicht unbedingt, dass man ihn auch stoppen kann. Natürlich sind Forderungen nach einem gelasseneren Umgang mit Arbeit oder danach, weniger perfekt sein zu wollen, vollkommen richtig, aber dem Sog gesellschaftlicher Konventionen kann sich nicht jeder entziehen, die heimlichen Ideale der ewigen Leistungsbereitschaft wirken offenbar auch attraktiv, sonst würde ihnen niemand folgen und selbst wenn man es durchschaut: mit innerer Leere oder Schuld konfrontiert zu werden, ist kein Kindergeburtstag, sondern eine entsetzliche Qual.

Doch man kann den Perfektionismus auch ausleben, wenn man ihm Nischen im Leben zugesteht, anstatt sein ganzes Leben davon dominieren zu lassen. Wer Freude an der Formvollendung hat, kann bewusst eine Teezeremonie zelebrieren oder noch grundlegender einzelne Lebensbereiche zum Ritual erheben, das heißt, mit Bewusstheit anfüllen. Indem man lernt, dass Perfektion auch ein Quelle der Freude sein kann, die man ausleben darf, kann man vielleicht vom Zwang zum Perfektionismus loslassen.

Wie man den Perfektionismus bändigt, ob in gesellschaftlicher Diskussion oder privater Therapie, ist eine individuelle Frage. Den Perfektionismus im Job und im Privaten abzubauen und in gesunde Bahnen zu lenken, ist notwendig und beide Ansätze ergänzen einander.

Quelle:

  • Byung-Chul Han, http://www.zeit.de/2015/05/terrorismus-radikale-linke-antwort-slavoj-zizek/komplettansicht