Kann man, wenn man über die Liebe schreiben will, überhaupt etwas richtig machen? Die größten Psychologen haben sich ausführlich mit ihr befasst, von den größten Literaten ganz zu schweigen. Liebe, in welcher Variation und Güteklasse auch immer, ist das Thema in Film und Serie überhaupt.
Schon die Philosophen haben Arten der Liebe fein herausgearbeitet: Eros, Philia und Agape. Die erotisch begehrende Liebe des Eros, die Freundesliebe der Philia und die göttliche oder ganz und gar selbstlos sich verschenkende Liebe der Agape.
In der Esoterik hört man, Liebe sei die einzige Kraft, die Gegensätze vereinen kann. Nun, vielleicht nicht die einzige, die Vernunft vermag das auch, doch bei der Liebe geht dieser Vorgang rätselhafter und unmittelbarer, vielleicht irrationaler vor sich. Grund genug, der Liebe zu misstrauen, aber wäre das letztlich nicht noch irrationaler?
Auch der Dichter weiß und sagt, dass es die Liebe nicht nur gut mit uns meint, wie hier Khalil Gibran. Dennoch rät er, man solle ihr folgen. Kann man denn überhaupt anders? Wenn etwas schicksalhaft ist, dann sicher die Liebe und wenn sie je eine Seite in einem Menschen zum Klingen brachte, so ist diese Resonanz wohl ein Leben lang zu spüren. Und doch kann man fragen:
Brauchen wir die Liebe eigentlich?
„Waren sie je verliebt?“ Eine einfache, doch für Psychotherapeuten ungeheuer bedeutsame Frage. Aber wieso können wir sie eigentlich beantworten? Nun, es können auch nicht alle. Wer unsicher ist: „Ja also, das kommt drauf an, was sie unter Liebe verstehen“, der war noch nicht verliebt. Wer verliebt war, der weiß sicher, dass er es war. Verliebt zu sein, hat eine ungeheure Verbindlichkeit, die über jeden Zweifel erhaben ist.
Aber es gibt eben auch jene, die, ohne zu lieben und geliebt zu werden, durchs Leben kommen. Wäre es überhaupt fair, ihnen zu sagen, dass sie – ungeliebt und lieblos wie sie sind – nun auch noch Wesentliches im Leben verpassen? Oder ist Liebe, wie man manchmal hört, eigentlich nur eine Narrheit? So ein semipathologischer Zustand? Und wie könnte man das klären?
Was ist die Liebe?
Es ist allgemeiner Konsens, Liebe und Verliebtheit zu unterscheiden. Verliebtheit ist oft ein stürmisches Aufflackern der Gefühle, doch kann sie auch als stilles Sehnen erscheinen oder überall dazwischen. Halbwegs einig ist man sich, dass die Verliebtheit irgendwann vergeht oder von einer reifen Form der Liebe abgelöst wird. Aber erstens wandeln wir hier nahe am Klischee und zweitens, was macht denn diese Liebe aus? Nur, dass die Verliebtheit irgendwie abgenommen hat? Eine eher triste Definition. Deshalb vielleicht auch bei manchen die fast suchtartige Suche nach immer neuer Verliebtheit. Dabei muss man Liebe gar nicht als Mangelzustand definieren und ist es nicht auch ein Nachteil, wenn die Transformation in reife Liebe misslingt? Die bessere Frage wäre die nach dem, was man nur erleben kann, wenn man lange liebt.
Freud war, was die Liebe anging, skeptisch. Dem Ich sprach er eine bestimmte Menge an Möglichkeiten der narzisstischen Besetzung zu. Entweder konnte man diese, positiv gemeinte, Aufmerksamkeit sich selbst zuwenden oder dem geliebten Anderen. Demzufolge schwächte die Liebe die Ich-Kräfte und Mythen die kursieren, die Liebe oder wenigstens Verliebtheit als eine Art hormonellen und pathologischen Ausnahmezustand ansehen, beziehen sich, wissentlich oder unwissentlich, auf diese Idee. Doch Freud irrte sich. Untersuchungen haben ergeben, dass Verliebtheit und Liebe das Ich keineswegs schwächen, sondern sogar stärken. Indem die liebenden Iche zu einer Einheit verschmelzen, die insgesamt größer und stabiler ist. Doch selbst wenn man über die Liebe nur sagen könnte, sie sei eine Narrheit, ein hormoneller Ausnahmezustand: Wäre sie nicht dennoch einen Versuch wert?
Dummheiten wurden und werden über die Liebe verbreitet. Kitschige Einseitigkeiten in Groschenromanen, Schlagern und Vorabendserien einerseits, in reduktionistischen Formulierungen à la „Liebe ist doch nur ein Hormoncocktail“ andererseits. Liebe ist sicher all das: Das sexuelles Begehren des Eros, anteilnehmendes Verstehen der Philia, vermutlich auch ein selbstloses sich Verschenken der Agape und nicht mal zu guter Letzt, hat auch die reife Liebe Aspekte der Kalkulation: Lohnt sich das (auch jetzt noch)?
Eine sehr komplexe Einheit und doch: So sicher, wie man weiß, dass man verliebt ist, ebenso merkt man, dass die Liebe verloschen ist. Auch, wenn man es nicht fassen kann.
Kaum zu fassen ist auch, dass Liebe ohne ihren Gegenpol, die Aggression, vielleicht noch zu denken ist, aber dafür nie in der Realität vorkommt. Und dass diese andere Seite der Aggression kein Mangel, sondern wichtig ist.
Liebe oder Erleuchtung?
Aber die Frage, ob wir die Liebe nun brauchen, ist noch nicht beantwortet. Es war bisher nur von den Menschen, die ohne Liebe aufwachsen mussten, die Rede. Der Psychotherapeut und Esoteriker Thorwald Dethlefsen sowie der psychosomatisch orientierte Arzt und Therapeut Rüdiger Dahlke gehen in ihrem Buch „Krankheit als Weg“ auf die nicht anhaftende Liebe ein.
Das ist irgendwo zwischen anspruchsvoll und überfordernd, wenngleich auch auf den zweiten Blick was dran ist. Liebe wählt aus. Man liebt den einen, den anderen nicht. Dabei nimmt es der Liebe eigentlich nichts, wenn man sie immer mehr ausdehnt. Das ist schon wahr, andererseits gehört zur Liebe eben auch die moderate Idealisierung des Partners. Der Partner ist eben nicht irgendwer und hätte eigentlich auch jeder andere sein können. Vielleicht mag man dem irgendwie zustimmen, aber wir wären nicht glücklich, wenn unser Partner so reden würde und würden selbst wohl auch nicht so reden.
Diese leichte Idealisierung macht den anderen zu einem herausragenden, besonderen Menschen und ist im Grunde das, was der Buddhismus Anhaften nennt. Wer diese Anhaftungen durchschneidet, tötet der nicht auch die Liebe, wenigstens in dieser bei uns gelebten und verarbeiteten Form? Vom Dalai Lama las ich mal den denkwürdigen Satz: Wir im Osten haben die Erleuchtung, ihr im Westen habt die Liebe. Das deutet in die gleiche Richtung.
Vielleicht ist die exklusive Liebe nur ein Übungsfeld, eine erste Öffnung in einen Bereich allumfassender Liebe, bis hin zur neutestamentarischen Forderung der Feindesliebe. Vielleicht wird, wenn man Erleuchtung wie im Zen sieht, „nichts Besonderes“ oder wie Meister Eckhart sie beschreibt, man macht einfach weiter bis bisher, auch die Ausschließlichkeit der westlichen Liebe kein Thema. Vielleicht sind beides, Liebe und Erleuchtung, Wege die parallel gehen und zum gleichen Ziel führen oder unterschiedliche Wege in Bereiche, die das Leben lebenswert erscheinen lassen.
Denkbar auch, dass Liebe einen in den Wahnsinn treiben oder in höchste Höhen erheben kann, dass es aber dennoch Menschen gibt, die ohne sie auskommen können oder müssen. Kandidaten dafür wären Heilige und Psychopathen.