Doch die eigentliche Wendung ist diese:

Hass statt Trauer

Männergesicht schwarzweiß mit Bersteinauge

Enttäuschungen können in Hass umschlagen. © Matt Reinbold under cc

Wenn wir Enttäuschungen und Niederlagen erleben, ist das für niemanden von uns ein auf Anhieb schönes Gefühl. Zwar wird oft gesagt, dass sich der wahre Charakter eher in der Niederlage als im Triumpf offenbart, aber jemand der sich gut unter Kontrolle hat kann durchaus gute Miene zum bösen Spiel machen, auch wenn er innerlich vor Wut kocht. Wo andere Menschen traurig werden und in der Trauer und im Bedauern ihre (begreifbare) Frustration verarbeiten können, gerät ein labiles Selbst, dessen Großartigkeit kompensatorisch ist, ins Wanken. Menschen mit diesen Pathologien fühlen immer ihr ganzes Ich in Gefahr. Nicht ein Teil des Lebens ist zwischenzeitlich misslungen, sondern alles scheint aus und vorbei. Ein solcher Mensch ist zur Trauer, die eine reife Form der Verarbeitung ist, nicht mehr fähig oder diese hat für ihn keine entlastende Funktion. Man erlebt sich nicht in einem Netz von Anteil nehmenden Mitmenschen, sondern bedroht von voyeuristischen Gaffern, die lieb tun aber man „weiß“, dass sie hinter dem Rücken spöttisch und verächtlich reden oder denken. Hier wird die projektive Identifikation zur Falle. Der Traum ist geplatzt und nun ist man im bodenlosen Fall. Vezweiflung, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit, Wut und irgendwann, wenn diese Erfahrung sich wiederholt: Hass, die chronifizierte Form der Wut.

Die besten psychologischen Tests können nicht vorhersehen, wie das Leben von Menschen verlaufen wird, mit welchen Enttäuschungen sie konfrontiert sein werden und wie sie darauf reagieren. Zwar könnte man versuchen, Menschen, die im Verdacht stehen könnten auf Enttäuschungen und Zurückweisungen mit Hass zu reagieren, zu erkennen, aber das allein wird wenig ändern. Dieser Hass kann sich zur Phantasie des Zerstörens oder Zerstörtwerdens steigern. Man macht nicht konkrete Situationen oder eigene Unzulänglichkeiten für etwas verantwortlich und sieht eine schmerzliche Notwendigkeit ein. Sondern, weil man nicht mit den Werten der Gesellschaft, aus der man stammt einverstanden ist, beginnt einzelne Feinde, „die Gesellschaft“ oder „die Menschen“ kollektiv zu hassen. Freilich ist es eine anspruchsvolle Übung, einzusehen, dass es nun an der Zeit ist den Führerschein abzugeben oder man für etwas nicht geeignet ist. Das kränkt und verunsichert jeden, wenn für einen Menschen daran sehr viel oder alles hängt, ist leicht erkennbar, das daraus eine existentielle Bedrohung wird.

Das zu verstehen ist die eine Sache, doch wichtig ist auch: Dieser Hass verschwindet nicht, wenn man Menschen, die so gestrickt sind und bereits selbst Opfer wurden, nun einfach im Vorfeld demütigt. Denn gefühlte Demütigungen sind ja gerade der Stoff, aus dem der Hass gerinnt, der sich irgendwo im bei passender Gelegenheit im Amoklauf, im Terror, entlädt.

Vage und konkrete Phantasien, Pläne und Gelegenheiten

Auch hier müssen wir dringend unterscheiden. Zwischen einem Gedanken im Affekt: „Den bring ich um!“, vagen Phantasien, wiederholten und sich immer weiter konkretisierenden Gedanken in dem ein und dieselbe Phantasie immer mächtiger wird, zur Ausarbeitung konkreter Pläne bis hin zur passenden Gelegenheit in der diese Pläne verwirklicht werden können, vergeht Zeit und es sind mehrere Schritte, die keineswegs zwangsläufig aufeinander folgen und an jeder Stelle des Wegs noch verändert werden können.

Doch auch hier sollten wir uns nicht zu schnell in exzessive Kontroll- und Bestrafungsszenarien steigern und wenn Freud kollektiv anmerkte, dass die Kultur nur eine dünne Hülle ist, dann erfährt das seine individuelle Zuspitzung in den Worten Alexander Mitscherlichs:

„Vielmehr geht es um den Versuch, ein Vertrauensverhältnis zwischen Analytiker und Analysand herzustellen, das dem letzteren zeitweisen Schutz bietet für eine zensurlose, für eine unkorrigierte Selbstwahrnehmung durch die Deckung, die ihm der Analytiker bietet. Am Ende kann dieser Erkenntnisweg nur wieder zur freilich sinnvolleren, reflektierteren Anerkennung der Notwendigkeit gesellschaftlicher Ordnungen – einschließlich verlangter Verzichte – führen.“

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Etwas plakativer könnte man sagen, dass der Blick ins eigene Unbewusste bei jedem von uns der Blick in einen Abgrund bedeutet, aus der die Einsicht in gesellschaftliche Normen und Regeln von selbst resultiert. Doch auch hier müssen wir die Balance wahren, denn die gefahrlose und völlig „vernünftige“ Gesellschaft wird schnell ihre eigene Karikatur.