Die fragwürdige Allmacht der Algorithmen

Bei aller Allmacht, die wir den Algorithmen heute gerne zusprechen: Es gibt nicht „das Profil“ des nächsten Amokläufers, Terroristen oder Frustrierten, der einen erweiterten Suizid begeht. Gerade dann, wenn einer der charakteristischen Wesenszüge dieser Menschen ist, opportunistisch zu sein, was ungefähr der Forderung entspricht, die wir heute an Migranten und imlplizit auch an die Mitglieder unserer Leistungsgesellschaft stellen. Querdenker, Kranke und Exzentriker prägten jedoch immer schon unsere Gesellschaft, was heute als klassisch gilt, war zu seiner Zeit oft schräg und revolutionär. Depressive Staatsmänner, die heute für Großes stehen, sind bekannt.

Die zu gehorsame Gesellschaft ist oft eine oberflächlich angepasste Gesellschaft, die an Äußerlichkeiten orientiert ist und in der sich brodelnder Hass gerade unter einer Schale der oberflächlichen Konformität bilden kann, im Einzelnen oder einer verunsicherten Gesellschaft.

Dass heutzutage jeder unter Generalverdacht steht, ist etwas was uns nicht gefallen muss. Dass bei dieser flächendeckende Überwachung, die uns ja angeblich vor Gefahren aller Art schützen soll, dann eben doch nicht so viel herauskommt, wie an uns verspricht, lässt die Methoden noch fragwürdiger erscheinen. Zwar wissen wir möglicherweise nicht, was alles verhindert werden konnte, wir wissen aber, was man nicht verhindern konnte, obwohl spätere Täter als gefährlich bekannt waren.

Irgendwann kippen die Maßnahmen für immer mehr Sicherheit und werden zur eigenen Gefahr, ebenso, wie ein zu naiver Glaube an den an sich guten Menschen zum Problem werden kann.

Psychologische Tests für welche Berufsgruppen?

Ich glaube man sollte darauf achten, nicht an jeder Stelle der Bevölkerung Menschen in fortgeschritteten Stadien einer schweren Persönlichkeitsstörung zuzulassen. Wer also, sollte getestet werden?

Piloten würden einem aus aktuellem Anlass sofort einfallen, aber was ist mit Busfahrern und Schiffskapitänen? Oder mit Polizisten und Soldaten? Mit Lehrern, ErzieherInnen, Psychologen, Priestern, Soziololgen, Ärzten, Alten- und Krankenschwestern und -pflegern? Die „Macht als Gefahr beim Helfer“ thematisiert das kleine, aber lohnende Büchlein von Adolf Guggenbühl-Craig.

Aber man muss auch an Richter, Politiker und Konzerchefs denken. Otto Kernberg mahnt in einem Interview mit dem Schweizer Tages Anzeiger:

„Übertriebene Risiken einzugehen, gehört zum Wesen narzisstisch gestörter Persönlichkeiten, aber auch ihre Tendenz zur Korruption. Solche Menschen sind nur am eigenen Überleben, an der Macht und der Verteidigung ihrer Positionen interessiert. Dieses Verhalten trifft man in grossen Organisationen immer wieder an, aber auch in der Politik. Dort führt das Eigeninteresse zu einem extremen Opportunismus ohne jede moralischen Bedenken. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass grosse Organisationen ihre leitenden Stellen mit Leuten besetzen, die über genügend menschliche Tiefe, Objektivität und Selbstkritik verfügen. Das wird manchmal vernachlässigt, zumal narzisstische Typen auch sehr intelligent, tüchtig und arbeitsam sein können.“

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Wer sollte getestet werden?

Zu einer Testmanie sollten uns auch schreckliche Ereignisse nicht führen. Der Generalverdacht ist keine Lösung, doch mal sollte neben spektakulären Großereignissen, die uns alle berühren auch daran denken, dass ein sadistischer Lehrer Jahr für Jahr auf stille Weise und über die Jahrzehnte Hunderte oder Tausende Kinder quälen und frustrieren kann. Eine Problematik, die ganz allgemein von Systemen ausgeht, die keiner gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen und/oder die allgemein von einer starken Asymmetrie geprägt sind, edukative und helfende Berufe und das Rechts- und Jusitzsystem gehören dazu.

Es ist mehr als eine Floskel, dass wir uns alle, unsere Gesellschaft, vor allem die offenen und klammheimlichen Werte unserer Gesellschaft testen, im Sinne von hinterfragen sollten. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die Leistungsgesellschaft und ihre Auswirkungen wird zwar oft genug angeprangert, viele reagieren darauf bereits mit Rückenschmerzen oder Burnout/Depression, was man psychosomatisch als eine Art des stummen Protests deuten kann, aber wir verkennen die Möglichkeit, dass wir es in der Hand haben die Welt zu ändern. Der Ausspruch: „Wenn jeder sich ändert, ist Morgen die Welt anders“, ist ja nicht falsch, wir warten nur so gerne auf andere und auf die große Revolution. Dass zwischen Ideen und der Umsetzung viel Spiel ist, sieht spätetstens hier jeder selbst, denn das „Man müsste eigentlich mal, …“, kennt man von sich.

Ob es Bequemlichkeit oder Faulheit, Desinteresse oder Gleichgültigkeit, der Mangel an Mut oder erlernte Hilflosigkeit ist („Da kann man halt nichts machen.“ „Was soll ich denn schon ändern?“), jeder kann was tun und niemand muss die Welt aus den Angeln heben. Wenn man andere so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte, ist schon viel gewonnen.

Psychologische Tests für bestimmte Berufsgruppen sind nur ein Teil der Lösung.

Ein Dreiklang aus Test ausgewählter Positionen, Überwachung in stark begründeten Verdachtsfällen und Reflexion unserer Werte des Zusammenlebens ist angezeigt.

Ein Test und seine Folgen darf nicht zur Demütigung werden. Wir haben hier nicht eine Gefahrenquelle, die beseitigt wurde, sondern einen Menschen vor uns, dem man gegebenefalls helfen muss. Für eine Gesellschaft der Fairness, die man vor allem daran erkennt, wie sei mit den Schwächsten umgeht, setzte sich der Philosoph John Rawls ein und auch der Papst kritisierte in seiner Osteransprache „dass sich Menschen „um jeden Preis durchzusetzen, wetteifern, sich zur Geltung bringen“. Franziskus forderte die Menschen auf, sich gegenseitig mit Respekt und Demut zu begegnen. „Das ist nicht Schwäche, sondern wirkliche Kraft!“

Die Tests können nur bedeuten, dass man jemandem helfen muss, nicht dass Hilfsbedürftigkeit zum Stigma wird: Ungeeignet, minderwertig, aussortiert.
Wer sich, gegebenenfalls wie oft psychologischen Tests unterziehen muss, hat die Gesellschaft zu entscheiden. Der Co-Pilot der Maschine die zur Todesfalle wurde hat um Hilfe gebeten. Irgendetwas ist dennoch grausam schief gelaufen. Er hätte sie dringend gebraucht. Unsere Aufgabe muss nun sein daraus zu lernen und es besser zu machen.

Quellen:

  • [1] Alexander Mitscherlich, Der Kampf um die Erinnerung, Piper & Co. 1975, S.22)
  • [2] https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/Narzissten-gehen-uebertriebene-Risiken-ein/story/26698396