Ein psychotherapeutischer Karmabegriff

Karma bedeutet nicht nur, dass es schicksalhafte Muster gibt, in die wir hineingeboren werden, sondern auch, dass es bestimmte Ideen gibt, die mit dem eigenen Tod nicht abbrechen, Informationen, die über den persönlichen Tod hinaus überleben können. Otto Kernberg erklärt diesen Mechanismus in seinem Buch Liebe und Aggression. Zusammengefasst ist die Idee, dass man im Angesicht des endgültigen Verlustes des geliebten Menschen Trauer über all die Möglichkeiten empfindet, die man mit diesem Menschen verpasst hat, die ungelebt blieben. Etwas, was man noch hätte sagen oder erleben wollen und was nun nie mehr nachzuholen ist. Dies veranlasst die Hinterbliebenen, als Reaktion auf die Trauer über das nicht Vollbrachte, bestimmte Dinge im Sinne des Verstorbenen zu tun, seine Ideen und Ideale hochzuhalten und, gerade jetzt, zu würdigen. In dieser Weise leben individuelle und typische Eigenarten und Sichtweisen des geliebten Menschen in anderen weiter. Der Verstorbene sorgt in gewisser Weise für die moralische Verfeinerung seiner Umgebung.[1]

Wiederholungszwang

Doch es gibt auch eine aktivere und dennoch unbewusste Form, die eine überraschende Ähnlichkeit mit der Idee des Karma hat. Den Wiederholungszwang. Er ist einerseits reichlich kurios, zweitens, sehr machtvoll und hat drittens, nach allem was wir wissen, ein Ziel. Kurios ist er deshalb weil er eigentlich das bewirkt, was man nicht annehmen sollte. Menschen, die in ihrer Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht haben, sollten eigentlich aus diesen gelernt haben und eventuell darauf achten, sich oder die eigenen Kinder vor ähnlichen Erfahrungen zu schützen. Das passiert auch oft, jedoch, wenn die Erfahrung zu eindringlich war, nicht. Dann ist der Betreffende gezwungen, die unbewältigte Erfahrung immer und immer zu wiederholen obwohl er sich schon zig mal daran die Finger verbrannt hat und oft schon als Kind drunter leiden musste. Dieser Wiederholungszwang ist nichts, was man mal eben so abstellen kann, sondern ein sehr tiefgehendes Muster. Der Ziel des Wiederholungszwangs ist der für unser Thema interessanteste Aspekt. Dem Betreffenden wird, durch sein eigenes Unbewusstes, eine Aufgabe immer wieder erneut vorgelegt. Das erscheint irgendwie gemein, aber gleichzeitig ist auch die Hoffnung damit verbunden, dass man das Thema doch noch lösen und bearbeiten kann. Dies ist zwar nicht leicht, aber durchaus möglich.

Den bisher genannten Mustern ist eines gemeinsam. Der Einzelne kann nichts dazu, dass es so gekommen ist. Sein Karma oder Schicksal ergibt sich aus den Zeitumständen, der Region und Kultur in er man auswächst, vielleicht noch aus der biologischen Disposition. Selbst der Wiederholungszwang geht auf Ereignisse zurück, die den Betreffenden prägten, aber für die er nichts kann. Beim Karmagedanken ist das gleichzeitig ähnlich und anders.

Reinkarnation

Der Karmagedanke ist von der Idee der Reinkarnation letztlich nicht zu trennen. Die östliche Idee des Karma ist, dass ein Mensch stirbt und seine Taten, als „Zwischenergebnis“ irgendwo gespeichert bleiben. Wie individuell nun dieses Ergebnis verarbeitet wird, darin unterscheiden sich, wie wir in der ersten Folge sahen, die Auffassungen der Hinduisten und der Buddhisten. Es bleibt jedoch die Idee, dass es die Kette früher Taten war, meiner früheren Taten, die für mein jetziges Karma sorgt. Selbst dann, wenn man sich im aktuellen Leben an diese früheren Taten gar nicht mehr erinnern kann. Die Idee des Karma basiert auf dem Glauben an eine übergeordnete gerechte Instanz und besagt letztlich, dass es schon gut und gerecht sein wird, was mir karmisch widerfährt. Der Karmagedanke ist dem Wiederholungszwang ähnlich, denn auch hier kann ich – hier und jetzt – im Grunde nichts für das, was – falls die Idee überhaupt stimmt – mal war. Anders ist die Idee, weil sie doch von einen gewissen Maße an persönlicher Schuld oder Verantwortung ausgeht. Wobei wir gerade diese Begriffe noch vertiefen müssen.

Der Gedanke der Reinkarnation wurde auf zwei Wegen nach Europa gebracht. Zum einen über die Ideengebäude des indischen Denkens, hier vor allem der Hinduismus und Buddhismus. Derzeit gibt es etwa 100.000 Hinduisten in Deutschland und 250.000 Buddhisten.[2][3] Der andere Weg war die Esoterikwelle die etwa zeitgleich mit dem Anwachsen des Buddhismus in den 1980er und 90er Jahren Deutschland erfasste. Die bekanntesten Protagonisten der deutschen Esoterikwelle waren der der inzwischen verstorbene Psychotherapeut Thorwald Dethlefsen und sein Partner für 13 Jahre, der Arzt Rüdiger Dahlke. Vor allem die beiden waren es, die die Reinkarnationstherapie aus der Taufe hoben. Teil der Reinkarnationstherapie ist die Überzeugung gewesen, dass man zunächst mittels Hypnose, dann schnell durch eine leichte, meditative Trance frühere Leben oder Inkarnationen bewusst machen und so wieder erleben kann.

Die therapeutische Idee dahinter ist, dass die Lücke von dem, was ich heute, karmisch, erlebe und mitunter erleide und meinem Nichtwissen über das, was da mal war, geschlossen werden kann. Dadurch, dass ich es wieder erlebe und so das Muster des Ausgleichs hinter Geschehnissen erkennen kann.

Schuld und Verantwortung

Gegner des Konzepts der Reinkarnationstherapie und den darauf basierenden Büchern einer erweiterten psychosomatischen Symptomdeutung, wie Krankheit als Weg oder Krankheit als Symbol kritisieren oft, der Kranke brauche Zuspruch und Hilfe, hier bekomme er jedoch obendrein noch die Schuld für seine Symptome in die Schuhe geschoben. Doch dieser Kritiker übersehen etwas.

Es war vor allem Dethlefsen, der sich darum bemühte, einen neuen Schuldbegriff zu installieren. Den, der unvermeidlichen Schuld. Von ihm gerne dargestellt am Beispiel der Erbsünde, die nach Dethlefsens Lesart bedeutet, dass der Menschen bereits schuldig zur Welt kommt, aber eben ohne, dass er etwas Böses getan hätte. So möchte Dethlefsen auch im allgemeinen Schuld verstanden wissen. Der Mensch wird seiner Meinung nach zwingend und immer schuldig, weil Schuld zu seinem Dasein gehört. Er setzt Schuld mit den finanziellen Schulden gleich, die eben darin bestehen, dass sie sich auf Geld beziehen, was man nicht hat. So meint auch der Schuldbegriff, den Dethlefsen im Auge hat, nicht einen, dessen Schuld sich aus dem ableitet, was jemand getan hat, sondern gerade aus dem, was er unterlassen noch nicht getan hat und somit der Einheit oder Ganzheit schuldig geblieben ist.

Hier geht es nicht um Wiedergutmachung, sondern um Ausgleich. Und der besteht darin, genau das zu tun, was man bislang unterlassen hat. Unvermeidlich und schicksalhaft ist diese Schuld des Menschen, jedes Menschen, dadurch, dass wir eben immer nur das eine oder das andere tun können, nie beides. Das zwingt uns in ein Nacheinander und das Fehlende dann doch noch zu leben, ist jeder karmische Ausgleich, den Dethlefsen und auch Dahlke meinten.

Konkret heißt das: Wenn sich hinter einem Krankheitssymptom Aggression verbirgt, dann ist man nicht krank, weil man so aggressiv und böse ist, sondern, der Körper lebt etwas, was man sich selbst nicht zu leben traut: Aggression. In diesem esoterisch-psychosomatischen Konzept wird das dadurch aufgelöst, dass man lernt bewusst zu seinen Aggressionen zu stehen und diese in die Psyche, ins Bewusstsein zu integrieren.