Die Auflösung der karmischen Bindungen durch Verantwortung

Das hier zugrunde gelegte Konzept von Karma entspricht der Idee eines neutralen Ausgleichs, nicht einem Belohungs-/Bestrafungs-System. Er steht dem Begriff der Verantwortung näher, als dem der Schuld. Weil Schuld tragisch und unvermeidlich ist und nicht mit dem Bösen assoziiert wird. Die Idee den Schuldbegriff so zu fassen ist reizvoll und gut, aber letztlich ist Dethlefsen mit dieser Bemühung gescheitert, was nicht zuletzt die Kritik zeigt, die seine Gedanken verfehlt hat (und manchmal wohl auch verfehlen wollte). Jeder hat das Recht diesen Ansatz zu kritisieren, sollte es redlicherweise dann nur an der richtigen Stelle tun.

Aber so oder so: Verantwortung ist der zentrale Begriff, wenn es es um Heilung in einem psychotherapeutischen Sinne geht – und das in so ziemlich jedem Konzept von Heilung. Was unterscheidet den herkömmlichen Begriff der Schuld von dem, der Verantwortung? Schuld im landläufigen Sinne heißt immer soviel wie: „Selbst schuld, warum hast du auch … (dies oder das getan oder unterlassen)?“ Vielleicht noch mit dem Nachsatz: „Hab‘ ich dir doch vorher gesagt.“

Verantwortung bedeutet, dass ich, im landläufigen Sinne, eben nichts dazu kann, tragisch, unverschuldet oder einfach per Schritt ins Leben schuldig geworden bin, weil ich schuldig werden musste. Ich kann nichts dazu, es aber auch nicht ändern. In Deutschland geboren zu werden, eine Frau zu sein, braune Haare zu haben, aus einer Familie zu kommen, die kalt und aggressiv ist oder einer, in der Sucht eine Rolle spielt. All das prägt uns und unseren Weg ins Leben, ob wir wollen oder nicht. Wir kämen nicht auf die Idee jemandem die Schuld dafür zu geben, dass er Sommersprossen hat oder der Vater cholerisch ist. Und doch muss der Betreffende damit umgehen, ist es ein Teil seines Lebens und seiner Geschichte. In diesem Sinne ist jemand auch verantwortlich für seinen Lebensansatz, aber nicht schuldig im moralischen Sinne. So wie ich durch einen Wald gehen kann und vielleicht Müll entdecke, den ich nicht dort hin geschmissen habe und somit auch nicht schuldig bin, aber es liegt nun, da ich das Übel sehe, im Bereich meiner Verantwortung damit umzugehen.

Was ich nicht sehe, dafür bin ich auch nicht verantwortlich, es liegt in meinem psychischen Schatten. Dethlefsen und Dahlke sind der Auffassung, dass Symptome nichts anderes als ein Hinweis auf diesen Schatten, das bislang nicht Getane, das Unterlassene sind. Das ist die Schuld, die man zu begleichen hat. Sie bedeutet einen Teil des eigenen Lebens nicht anzunehmen, sich ihm in seiner Gänze zu verweigern. Integriert man diesen Bereich in seine Psyche, sagt „Ja“ dazu, statt „damit habe ich nichts zu tun“ und ihn zu projizieren, ist man der Heilung, die hier als psychische Ganzwerdung verstanden wird, einen Schritt näher.

Es ist das eigene Karma, das eigene Schicksal, das es anzunehmen gilt, gleich wie es ist, denn die Bedingungen meines Lebens kann mir nun mal niemand abnehmen. Ob die Mutter vernachlässigend ist, die Haare dünn oder der Freund zur Gewalt neigend, es ist ja mein Leben, um das es geht und zu dem ich mich verhalten muss.

Die Zeiten ändern sich

Dieser Ansatz mag etwas aus der Zeit gefallen wirken. Ein ehemaliger Reinkarnationstherapeut sagte einmal sinngemäß: Früher haben wir den Menschen beigebracht, ihre Projektionen zurück zu nehmen, heute müssen wir vielen beibringen erst mal zu projizieren. Was ist damit gemeint? Die psychische Struktur der Menschen hat sich geändert. Die reifen Abwehrmechanismen wie Verdrängung und Projektion sind seltener geworden oder werden zumindest überlagert durch die Dominanz der schweren Persönlichkeitsstörungen, wie borderline, narzisstische oder paranoide Persönlichkeitsstörungen, über die auch wir immer wieder berichten.

Viele Menschen haben gar nicht mehr den Anspruch sich entwickeln zu wollen, können sich nicht vorstellen, dass ihre Einstellung und ihr Verhalten tatsächlich etwas bewegen kann und moralische Verfeinerung ist heute kein erstrebenswertes Ziel, in einer Zeit, in der wir mit Weltanschauungen und Wertvorstellungen der verschiedensten Art überladen sind. Sie fühlen sich ausgeliefert an ein blindes Schicksal und aus vielen Ecken sagt man ihnen, dass sie ohnehin unfrei und willenlos sind, eine Botschaft, die gerne aufgenommen wird, weil sie auch einen Freifahrtschein darstellt: Wenn eh alles verloren ist, dann kann ich wenigstens versuchen noch ein paar Jahre Spaß zu haben. Der sei jedem gegönnt, denn auch Spaß, Freude und Unbeschwertheit gehören zu einem kompletten Leben, nur sind die Wege, die man versucht nicht immer vielversprechend.

Und wie kann ich nun mein Karma auflösen? Die östliche Lehre steckt ist voll von Paradoxien. Karma heißt Tat und dafür gibt mehrere Lesarten. Zunächst die, dass die böse Tat schuldig macht, was in gewisser Weise stimmt. Es entspricht den konventionellen Wertvorstellungen einer Gesellschaft, die uns heute altbacken vorkommt, doch vermutlich ist der Verzicht auf die konventionellen Stufen der Moral, ihre Entwertung und die ihrer Repräsentanten ein größeres Problem als wir derzeit noch wahr haben wollen, die Neubetrachtung der Ödipusthematik greift dies hier und hier auf. Doch bei näherer Betrachtung macht nicht nur die böse Tat schuldig, verwickelt uns und produziert neues Karma, sondern buchstäblich jede Tat. Die vordergründige Lösung könnte darin liegen nicht mehr zu handeln, aber auch der Verzicht auf eine Entscheidung ist ja bereits eine, denn man ist ja ständig mit Welt konfrontiert und muss sich zu ihr verhalten.

Nichthandelnd Handeln

Schmetterling und Hand, blassgelb

Absichtslos soll der Weg in die Freiheit sein. © Hieu LaVoce under cc

Nichthandelnd oder absichtslos zu handeln, Wu wei, darin soll die Lösung liegen. Vielleicht klingt das weit weg, aber wir fragten an anderer Stelle bereits, ob es möglich sei, das eigene Ich zu überwinden, eine Formulierung, die man in spirituellen Kreisen oft hört. Vermutlich wird man das Ich nie ganz los, was man überwinden kann, ist den Egoismus. Und um den geht es, wie wir hier bereits ausführten.

Ich glaube, dass die Überzahl der spirituellen Theoretiker und Praktiker sich darauf einigen kann, dass absichtsloses Handeln bedeutet, ohne Egobeteiligung zu handeln. Was das letztlich heißt und nicht heißt, ist ein langes Thema, es sei nur erwähnt, dass es nicht Selbstausbeutung bedeutet. Denn, wenn es das Ziel ist, Leid zu lindern, gehört auch das eigene Leid dazu. Es gilt auch hier die Balance zu finden und einen Menschen in Not zurückzuweisen, weil gerade die Lieblingssendung kommt, da werden die meisten die Schieflage erkennen. Sich selbst auszubeuten bringt allerdings auch nichts. Es gibt einen psychotherapeutischen Spruch, nach der Frage, wo lang der richtige Weg einer Therapie führt: Immer dem Leid nach. Hier ist das eigene Leid gemeint. Man muss das Leid nicht suchen, wenn man sich berufen fühlt es zu lindern, es liegt buchstäblich überall vor einem, findet einen und meistens ist es der lohnendste Weg bei sich selbst anzufangen.

Mein persönliche Meinung ist, dass uns viel erspart geblieben wäre, wenn einige, die meinen Konzepte zur Weltrettung in der Tasche zu haben, erst mal damit anfangen würden, vor der eigenen Türe zu kehren. Genau das meint der Begriff der Verantwortung. Es war der schon erwähnte Thorwald Dethlefsen der sagte: „Wenn jeder sich ändert, ist morgen die Welt anders.“[4]

So ist die moralische Verfeinerung ein schwieriger Weg, über Stufen, die immer auch eine Neuinterpretation des bisherigen Lebensweges mit sich bringen. Ein guter, ein besserer Mensch zu werden ist etwas, was uns zwar noch immer antreibt und vielleicht bis zuletzt antreibt, aber richtig interessant und kompliziert wird es erst, wenn man die konventionellen Stufen der Moral überwunden hat und dann die Frage, was es bedeutet ein guter oder besserer Mensch zu sein, zu werden, zu bleiben im Gewand postkonventionelller Stufen bedeutet.

Ausblick

Es ist eine ziemlich kuriose Geschichte, dass ausgerechnet die Reinkarnationstherapie, die explizit auf esoterischen und damit unwissenschaftlichen Kriterien aufbaut (auch dies wäre eine Geschichte für sich, die hier unerzählt bleiben muss) und die therapeutischen Konsequenzen der Objektbeziehungstheorie, die moderne und vielleicht wirkmächtigste Form der modernen, wissenschaftlichen Tiefenpsychologie so erstaunlich ähnlich sind.

Es handelt sich dabei um eine Umstand auf den bislang meines Wissens noch niemand hingewiesen hat, wir werden das also in der nächsten Folge exklusiv erörtern. Das mag daran liegen, dass viele Therapeuten aus der Ecke der spirituellen und imaginativen Form sich nicht immer für die Konzepte der wissenschaftlichen Therapieformen interessieren, in noch stärkerem Maße gilt das sicher in umgekehrter Weise und wie wir alle wissen, ist der Begriff der Esoterik heute vollständig diskreditiert ist. Wir werden auf die Problematiken des Ansatzes hinweisen und versuchen abschließende oder mindestens anschließende Fragen zu Karma und Psyche zu erörtern.

Quellen:

  • [1] Otto F. Kernberg, Liebe und Aggression, Schattauer 2014, S. 262f
  • [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hinduismus_in_Deutschland
  • [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus_in_Deutschland#Buddhismus_im_vereinten_Deutschland
  • [4] Thorwald Dethlefsen, Altes Weltbild contra neues Weltild (Audio Vortrag), Aurinia Verlag