Der Umgang mit Kritik
Ein weiterer Bereich spielt hier mit hinein, der die beiden zuvor genannten ergänzt und überlappt, der oft katastrophale Umgang mit Kritik, den Menschen mit Ich-Schwäche an den Tag legen. Als Faustformel könnte man fast sagen, dass der andere immer der Feind ist, mindestens, wenn es zur Kritik kommt. Kritik ist aus dieser Perspektive nie konstruktiv, sondern immer ein Ausdruck von Aggression und Bösartigkeit, der, um das Ganze zu toppen, manchmal noch nett verpackt wird.
Ich habe auch Menschen kennen gelernt, die ich für ich-schwach halte, die allerdings eine merkwürdige Affinität zur Kritik haben: „Mir kannst Du alles sagen, ich liebe Kritik“, lauten die Aussagen hier oft und als Kritik wird dann eine besonders harte Form gesehen, bei der man dem anderen ehrlich sagen soll, dass er ein vollkommen nichtsnutziger Idiot ist. Eine Form der vermeintlichen Ehrlichkeit die ich-schwachen Menschen imponiert, mit der sie, weil eindeutig, umgehen können, während sie Kritik die Vor- und Nachteile aufzählt für geheuchelt halten. Denn der andere meint natürlich nicht, was er sagt, sondern traut sich nur nicht zu sagen (oder ist sich zu fein dafür), wie beschissen er alles fand.
Dass ein Kritiker es tatsächlich gut meinen könnte, ist ebenfalls eine Empfindung, die sehr weit weg ist, wieder aus Gründen eigener Aggressionen, die projiziert werden. Die passiv und leidend Ich-Schwachen brechen unter Kritik oft zusammen, manchmal versuchen sie den Spieß allerdings in die Richtung umzudrehen, dass sie die Kritik in ihrem Sinne nutzen und so sehr leiden, dass man sich wieder um sie kümmert und sie im Mittelpunkt des Interesses stehen, weil ausgerechnet ihnen, wieder mal besonders übel mitgespielt wurde.
Der grandios ich-schwache Mensch, wird Kritik als Unverschämtheit deuten und in aller Regel als Angriff auf das ganze eigene Sosein und Verrat werten und entrüstet und wütend reagieren, auch wenn andere wohlmeinende Töne oder ein einerseits/andererseits durchaus erkennen. Doch das deuten grandios ich-schwache Menschen eher als Intrige, als dass sie sich besänftigen lassen.
Angst
Auch bei der Angst sehen wir das nun schon bekannte Muster. Der einen, schwachen Seite ist die eigene Angst durchaus bewusst, sie ist nur dermaßen überwältigend, dass es kaum ein Mittel gibt, etwas dagegen zu machen. Diese Angst ist nicht auf konkrete Situationen und Objekte gerichtet, sondern durchzieht das ganze Leben, wir sind in Die unerträgliche Angst gesondert darauf eingegangen.
Der anderen, grandiosen Seite gelingt es besser die Angst zu projizieren, aber sehr häufig verachten grandios ich-schwache Menschen ihre Mitmenschen, wenn sie ängstlich und/oder schwach sind. Angst und Schwäche mögen sie nicht, Mitgefühl ist nicht ihre starke Seite, allenfalls die Beschäftigung mit Wegen aus der Schwäche und Angst, denn ängstliche und schwache Menschen erinnern sie, ohne dass dies bewusst wird, an die schwache Seite in ihnen, die zwar im Bewusstsein abgespalten ist, die damit aber noch immer existiert. Daraus resultiert auch eine große Ungeduld und Intoleranz gegenüber Menschen, die sich in den Augen grandioser Menschen dumm oder ungeschickt anstellen, ein Aspekt der Schwäche, den sie nicht gut ertragen können.
Partnerschaft und Abhängigkeit
So gut wie immer sind Partnerschaften von Menschen mit Ich-Schwäche problematisch und konfus. Es kommt zu spezifischen Konflikten, die um das Thema Nähe und Distanz kreisen und um den Wunsch einerseits ganz mit dem anderen verschmelzen zu wollen. Das Bild des idealen Partners ist hier das, eines Menschen, der im Grunde genau so ist, denkt und fühlt, wie man selbst und der Angst vor Autonomieverlust auf der anderen Seite, bei dem man fürchtet und es wirklich nicht ertragen kann in Abhängigkeit zu geraten.
Dennoch bedeutet Partnerschaften einzugehen immer etwas Positives, weil man sich einem anderen Menschen gegenüber öffnen kann und dies ein eleganter Weg ist Ich-Schwäche zu überwinden, noch einmal sei auf Narzissmus in der Liebe verwiesen in dem auch auf ebenfalls in diesem Kontext häufige sexuelle Störungen eingegangen wird.
Wann liegt überhaupt eine nennenswerte Ich-Schwäche vor?
Ich habe die härteren Fälle mitunter sogar die extremen Enden der Entwicklung beschrieben, aber ich denke, dass auch Menschen mit leichteren Fällen von Ich-Schwäche sich darin erkennen können, denn das ist es, worum es geht. Auch sind die beiden Lager, das eher passiv ängstliche und das grandiose nicht immer so weit voneinander entfernt, wie beschrieben, sie können sich teilweise überschneiden.
Es ist eigentlich immer so, dass man, wenn man etwas über irgendwelche Störungen liest, das Gefühl hat ein guter Teil würde auf einen selbst zutreffen (und der andere auf das nächste Umfeld) das ist normal und ein Teil einer normalen Hypochondrie (die auch ihre Wurzeln in der Ich-Schwäche hat) die dann nach kurzer Zeit wieder vergeht.
Allerdings ist Ich-Schwäche nicht selten und fällt weitgehend mit der Identitätsdiffusion zusammen, die einfache eine Folge oder ein Symptom der Ich-Schwäche ist und die wir hier näher vorstellten. Ebenfalls sind Formen der Sucht etwas, was noch in den Formenkreis der Ich-Schwäche gehört und die wir in Gedanken zur Sucht ausformulierten.
Im nächsten Teil werden wir uns Wegen zuwenden, die aus der Ich-Schwäche führen und helfen, das Ich zu stabiliseren und wir versuchen, das Erleben dieser neuen Welt zu beschreiben.