Wir haben gesehen, dass es eine hellere und eine dunklere Seite der außergewöhnlichen Bewusstseinszustände gibt, doch es soll nicht allein um deren Beschreibung gehen, sondern auch um eine therapeutische und philosophische Einordnung.
Die therapeutische Seite
Das therapeutische Spektrum der letzten Jahre ist breiter geworden, man kennt nicht nur andere Möglichkeiten, man wendet sie auch an. Das heißt nicht, dass man alles über den Haufen geworfen hat, was früher seine Gültigkeit hatte, nur kommen jetzt andere Bereiche dazu, die man früher eher gemieden hat. Sowohl die Psychoanalyse der alten Schulde als auch die Verhaltenstherapie haben hohen Wert auf die Verankerung in der Realität gelegt und es gab eine gewisse Scheu sich innerhalb eines Verfahrens zu weit von der Realität zu entfernen. Wenn, so durften Regressionen nur im Dienste des Ich geschehen, was an sich sehr richtig ist, nur kann man guten Gewissens die Leine deutlich länger lassen, wenn man geeignete Rahmenbedingungen vorfindet.
So sagten wir beim letzten Mal: „Mindestens so wichtig wie die außergewöhnlichen Bewusstseinszustände selbst ist die Frage, ob und wie sie verarbeitet werden können. Nach allem was man dazu weiß, gibt es keine allumfassende Antwort darauf, weil das Erlebnis was für den einen eine Erlösung ist, für andere ein Desaster darstellt. Deshalb ist es wichtig auf das Gesamtpaket oder den Kontext zu schauen, in dem außergewöhnliche Bewusstseinszustände stattfinden, sofern sie planbar sind. So hat man bei einigen Praktiken aus dem spirituellen oder aus intensiv regressiven Bereichen in der jüngeren Vergangenheit versäumt, die Menschen aufzufangen und zu erden. Einfachste anspruchsloseste Arbeit und körperliche Aktivität, das Essen von schwerer, deftiger Nahrung und dergleichen, sowie ein Kreis kompetenter Menschen, die die Erfahrungen kennen, sind gut geeignet um wieder in der Normalität anzukommen.“[1]
Der Psychotherapeut sollte mindestens theortisch, besser natürlich praktisch mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen vertraut sein, um nicht unangemessen zu reagieren, wenn ein Patient ihm von seinen Erfahrungen berichtet.
Psychoaktive Substanzen
Innerhalb der psychotherapeutischen und ärztlich Arbeit hat man es manchmal etwas absurden Situationen zu tun. Auf der einen Seite werden Patienten sogenannte psychoaktive Substanzen, trotz des Wissens um nicht geringe Nebenwirkungen in erheblichem Umfang verabreicht (denken wir an Opioide in der Schmerztherapie oder SSRI Präparate bei Depressionen), auf der anderen Seite werden einige Substanzen genau deshalb gemieden, weil sie psychoaktiv sind, wie der Wirkstoff des Cannabis THC oder andere „Drogen“, wie LSD. Es spukt irgendwo noch das Bild im Kopf herum, dass man sich dabei wohl in Kreisen unverantwortlicher Menschen befinden würde, deren einziges Interesse eine hedonistische Lust am Zudröhnen ist, wohingegen man die nicht selten knallharten Umsatzinteressen auf Seiten des Wirtschaftszweiges Medizin erstaunlich gelassen sieht.
Ein anderer Einwand ist, Drogenerfahrungen seien nicht real. Dieses Argument ist jedoch nur bedingt richtig, denn mit einer fachmännisch dosierten Gabe kommt man in unterschiedliche Tiefen von Erfahrungen, auch hier ist das begleitende Umfeld wichtig. Die Verankerung in der Realität ist jedoch gerade jener Bereich, der heute anders gesehen wird, als noch vor einigen Jahrzehnten. Zwar muss es ein stabiles Ich als ordnendes Ganzes geben und die Ich-Schwäche zu beseitigen ist nahezu immer eine therapeutisches Ziel, aber man kann heute mit den diversen Winkeln und Nischen unserer Psyche viel besser umgehen, als das vor eigens Jahren noch der Fall war.
Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen zeigen was möglich ist, die entscheidende Frage ist auch hier die des Settings, in einem Umfeld von Menschen, die sich auf dem Gebiet auskennen. Ist dies Gegeben, können Realität und Phantasie bestens kooperieren. Doch das Thema bleibt auch wegen der Genehmigungen schwierig, weitere Infos hier.
Das innere Haus
Endlich, möchte man sagen, ist die Forschung „innen“ angekommen. Und damit ist nicht nur die Psychologie oder Psychotherapie gemeint. Unsere therapeutische und philosophische Einordnung zeigt ja bereits im Titel, dass der Rahmen hier weiter gezogen werden muss. Neben psychologischer Forschung und philosophischer Einordnung, haben wir noch den Bereich der Hirnforschung, der inzwischen von seinem merkwürdigen Allwissenheits-Status gesund geschrumpft wurde und sich als hilfreiches Verfahren etabliert hat, das uns neue Einblicke ermöglicht. Auch in der Medizin wird das was schon länger bekannt ist inzwischen in vielen Bereichen umgesetzt.
Dabei ist ein Konfliktherd wesentlich entschärft worden. In der Vergangenheit war es so, dass sich die Vertreter der Wissenschaft aufgerufen fühlten, einen Großteil dessen, was unter dem Schlagwort „alternative Medizin“ lief, als Unsinn zu brandmarken, was aus Sicht des oft streng wissenschaftsgläubigen Weltbildes viele Protagonisten auch Sinn ergab, nur galt das wissenschaftliche Weltbild eben als gesetzt und Vertreter dieses Weltbildes kamen nicht mal im Traum auf die Idee das Weltbild als solches zu hinterfragen. Wer vor 20 Jahren sagte, er sei nur an Fakten interessiert, der Rest sei ohnehin „Geschwurbel“ (wie ein beliebter Terminus in diesen Kreisen lautet), der konnte noch mit Schulterklopfern rechnen, doch nach und nach traten mehrere bedeutende Auflösungsprozesse ein:
- Bis kurz vor der Jahrtausendwende galt der Behaviorismus mit der Verhaltenstherapie in der Psychologie als die alles dominierende Richtung, auch weil sie als die (angeblich) einzig wissenschaftliche Form der Psychologie gut vermarktet wurde, die obendrein alles viel schneller und effektiver lösen sollte. Das hat sich geändert, denn längst sind auch die therapeutischen Grenzen des Behaviorismus erkannt, seit man sie kennt, schneidet er auch in den Studien nicht mehr so gut ab, doch alles in allem hat sich auch die Verhaltenstherapie drastisch geändert. Tiefenpsychologische Elemente sind längst in die Verhaltenstherapie mit eingeflossen und anders herum profitierten auch psychodynamische Verfahren von den Erkenntnissen der verhaltenstherapeutisch arbeitenden Kollegen.