Die religiöse Dimension
Der Rest ist Glaubenssache, aber was, ob und wie intensiv man glaubt, hat durchaus einen gravierenden Einfluss auf das Leben und auch auf das Sterben. Die verschiedenen Strömungen der christlichen und muslimischen Glaubensrichtungen, mit denen wir es hier und heute vorwiegend zu tun haben, haben ihre jeweils eigene Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tode, in einer oftmals besseren Welt. Für manche Menschen ist dieser Gaube noch lebendig und vital und hat eine tröstende und heilbringende Kraft, doch man kann den Glauben nicht verordnen.
Ein bedeutender Teil unserer Gesellschaft besteht aus Menschen mit konfessioneller Bindung, aber ohne starken Glauben und über ein Drittel der Bevölkerung ist konfessionslos. Auch Agnostiker und Atheisten haben verschiedene Ausprägungen ihres Glaubens, es wäre ein eigenes Thema hier die Vor- und Nachteile zu diskutieren. Unmittelbar einleuchtend ist, dass mit der Absage an einen Gott auch die Angst vor der Hölle, aber auch die tröstende Aussicht auf ein Weiterleben erlischt.
Eine weitere gar nicht so kleine Gruppe sind die Vertreter einer postmodernen Spiritualität. Eine Gruppe die ebenfalls heterogener ist, als man gewöhnlich denkt. Irgendwo zwischen den Extremen einer narzisstischen Verirrung, in der man denkt, man könne sich seinen Gott selber basteln und einer Rückbesinnung zur einer echten Spiritualität und Mystik, steht vermutlich eine breite Mitte von Menschen, die aus verschiedenen Gründen mit den Religionen nichts anfangen können oder wollen, aber irgendwie das Gefühl haben oder zumindest die Sehnsucht verspüren, dass es da mehr geben könnte oder sollte.
Die praktische Situation
Kinder wollen ihre Eltern verstehen, wenn nicht jetzt, dann später. Das lässt für sterbende Eltern die Frage aufkommen:
Was soll ich meinem Kind hinterlassen?
Wenn das Kind noch zu jung ist, um mit ihm in der Weise zu reden, wie sich der Sterbende das wünscht, dann könnte man ihm für spätere Jahre einen Abschiedsbrief schreiben, in dem man die Gedanken festhält, die das Kind betreffen und die gemeinsame Zukunft, die man nun nicht mehr hat, vielleicht aber gehabt hätte. Traurig ist der Tod ohnehin, aber es kann auch tröstlich sein, zu lesen, dass man einen Menschen an der Seite gehabt hätte, der gerne das eigene Leben miterlebt hätte.
Für das Kind ist es auch wichtig, den Menschen hinter dem Kranken kennenzulernen. Bei einer jahrelangen zehrenden Krankheit, meist aus dem Spektrum der neurodegenerativen, Autoimmun- oder Krebserkrankungen, kennt das Kind vielleicht bislang nur den kranken Menschen. Auch dort ist man Mensch, aber es eben nicht das ganze Bild. Wie waren Mama oder Papa eigentlich früher, als sie gesund waren? Was hatten sie für Träume, bevor die Krankheit alles veränderte? Waren sie stark, charismatisch, schüchtern, spontan? Was haben sie erlebt, von ihren eigenen Träumen eingelöst, was waren sie für Menschen, was hat sie interessiert? Waren sie neugierig und wenn ja, auf was? Oder selbstgenügsam? Haben sie viel gelacht und Spaß gehabt oder haben sie zu lange gewartet, um endlich mit dem Leben anzufangen? Wofür haben sie sich eingesetzt und was war ihnen nicht so wichtig oder egal? Was würden sie anders machen und was wieder genau so? Was sind ihre Eigenheiten gewesen, was haben andere an ihnen gemocht und was wurde kritisiert? Woran haben sie geglaubt, vor was haben sie sich gefürchtet, woran sind sie gescheitert?
In der heutigen Zeit hat man vielfältige Möglichkeiten Nachrichten zu hinterlassen, uns stehen neben dem Brief natürlich auch Ton und Bild zur Verfügung. Jeder kann selbst entscheiden, was er geeignet findet und vielleicht ist das Medium das Beste, bei dem am meisten von mir und meiner Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Tendenziell ist die Tiefe der Gedanken in Texten größer, wenngleich auch Bilder wichtig sein können. Je detaillierter und je ambivalenter umso besser, umso mehr kann sich das Kind später einmal mit dem Leben des Elternteils identifizieren und Teile davon bei sich erkennen. Das zu geschönte oder zu verfinsterte Bild wird da eher Probleme bereiten.
Vielleicht hat der sterbende Mensch früher gemalt, Musik gemacht, gedichtet, geschrieben. Ist es gut und zumutbar dem Kind das eigene Tagebuch zu überlassen? Vielleicht könnte man es zurück legen, bis zu einem späteren Geburtstag des dann möglicherweise jungen Erwachsenen. Andenken, wie ein Ring, eine Kette oder etwas, was man auf Wunsch bei sich tragen kann, können auch wichtig sein, als eine Art Talisman.
Mit älteren Kindern kann man reden und ihnen selbst die Wahl überlassen. Vielleicht gibt es etwas, was sie in besonderer Weise erinnert und was sie gerne als konkretes Andenken behalten würden. Oft können das ganz einfache Dinge sein, die die Kinder besonders an die Eltern erinnert, etwa solche, die in einer für das Kind besonderen Situation mit dem Elternteil eine Bedeutung gewonnen hat. Bei all dem sollte man das eigene Kind mit allen guten Wünschen begleiten, aber ihm doch auch genügend Raum zur eigenen Entfaltung lassen.