Kapelle auf Hügel vor Seenlandschaft

Irgendwo im Nirgendwo. Für viele Menschen ein Ort von Ruhe und Kraft. © Sonja und Jens under cc

Wir leben in unsicheren Zeiten der Veränderung, da ist es gut, wenn man Zentren von Kraft und Ruhe in sich selbst finden und anlegen kann.

In den letzten Jahrzehnten war man vor allem in jungen Jahren verunsichert, wenn man ins Leben startete, voll von der Überzeugung, dass vieles anders laufen sollte oder wenn man irgendwo in der Mitte des Lebens in eine Krise rutschte, weil ein wesentliches Standbein des Lebens, in das man viel Zeit und Energie, vor allem aber emotional investiert hat, weggebrochen ist. Beruflich, in der Beziehung oder in privaten Projekten.

Nun ist eine neue Komponente hinzu gekommen, dass sich nämlich die fest gefügte gesellschaftliche Ordnung, in der wir ewig zu leben glaubten, ebenfalls verändert. Dabei liegt in der Darstellung im Grunde schon die Lösung, die lauten könnte, sich mit dem Wandel oder der Veränderung zu identifizieren und alles ist in Ordnung. Allein, wie so vieles im Leben kann man das nicht mal eben so beschließen und mit einem Fingerschnippsen seine Einstellungen ändern, aber man kann sich relativ systematisch der Fähigkeit annähern, diese Identifikation mit dem Wandel ins Leben zu integrieren, der dann nicht als Bedrohung empfunden wird.

Ein emotionales Konto

Wenn man Unruhe und Unsicherheit verspürt kommen Spannungen auf und die Unsicherheit verfliegt oft, wenn man die Spannungen abbauen kann. Es gibt verschiedene Wege des Spannungsabbaus, manche wirken kurzfristig, andere eher mittel- und wieder andere langfristig. Langfristig meint, dass man bestimmte Strukturen über Jahrzehnte etablieren kann und muss, was natürlich wenig hilfreich ist, wenn man gerade 17 ist und dicke Probleme hat.

Toll, wenn man hört, dass stabile Beziehungen zu Menschen, die man über Jahrzehnte pflegt, sehr stabilisierend für die eigene Psyche sind, nur wenn man selbst noch gar keine Jahrzehnte auf der Welt ist, hat man davon nicht viel, außer vielleicht eine weitere Quelle von Frust.

Aber hier können schon mal die Grundlagen für die späteren Jahrzehnte gelegt werden. In der Jugend hat man in der Regel viele verschiedene Freunde und Bekannte, teils für einige Wochen, aber auch hier geht manches schon tiefer, man probiert viel aus und das sind sehr intensive Zeiten. Es kommt später seltener vor, dass man gemeinsam lange Nächte über dies und das redet, Lebensmöglichkeiten entwirft, Horizonte erweitert, das ist ein Privileg der Jugend.

Vor allem kann es auch dem Spannungsabbau dienen, denn es gibt nicht den einen Weg, sondern viele, die man in kurz-, mittel- und langfristige unterteilen kann, die aber durchaus auch fließend ineinander übergehen.

Kurzfristiger Spannungsabbau

Die kurzfristigen führen zur sofortigen Spannungsreduktion, allerdings müssen sie auch immer wiederholt werden, die Ursachen möglicher innerer Spannungen werden nicht behoben. Diese Wege zahlen in der Regel auch nicht auf das langfristige Konto ein, manche nutzen sich ab oder können zur Gewohnheit oder sogar Sucht werden. Doch sie sind schnell verfügbar.

Ein häufig genutzter Weg in Deutschland ist der Alkohol, der zwar schnell wirkt, aber eben auch mit gesundheitlichen Gefahren verbunden ist und durch Gewöhnung in die Sucht führen kann. Dennoch, die meisten Trinker sind Entspannungstrinker, die meisten Alkoholiker allerdings auch, da viele Angstpatienten, die nicht wissen, dass sie Ängste haben, sich mit Alkohol herunter regeln. Analoges gilt für andere Drogen, auch wenn beim Cannabis die körperliche Suchtkomponente reduzierter ist, die Gefahr eine Psychose zu entwickeln jedoch etwas größer.

Sport ist eine weitere Möglichkeit zum Spannungsabbau, es sei denn, man hat spezifische Ängste, die genau das verhindern. Ein einmaliges Austoben kann etwas bringen, regelmäßiger Sport auch, der macht einen auch fitter, selbstbewusster und lässt einen den Umgang mit Grenzen üben. Zudem erfordert er eine gewisse Routine und Disziplin und schenkt einem oft Momente angenehmer Erschöpfung.

Sex ist ebenfalls bestens geeignet um Spannungen abzubauen, zu zweit ist es in der Regel besser, aber im Notfall auch allein, es ist ja nicht immer ein geeigneter Mensch da. Zufrieden stellender Sex ist immer auch ein schöner Baustein einer Beziehung, die für die Psyche im Allgemeinen stabilisierend ist.

Die mittlere Distanz

Es ist eigentlich eine ganz gesunde Reaktion, dass offenbar immer mehr Menschen die gesammelten Krisen in Nachrichtenform bewusst herunter dimmen oder ausblenden. Informiert zu bleiben ist sicher wichtig, aber dass muss nicht alle paar Minuten sein. Digital Detox tut auch mal ganz gut, das merken immer mehr Menschen.

Wohl dem, der eingebunden in bestimmte Abläufe ist, die den Tag strukturieren. Arbeit, Familie, Tiere, um die man sich kümmert. Man schwimmt mit im sedierenden Strom der Normalität, in der auch in Krisenzeiten erst mal weiter gemacht wird, was gemacht werden muss.

Hier, inmitten des Alltags hat man seine sozialen Kontakte, kann sehen, dass man beruflich und sozial weiter kommt und auch das verankert einen stärker in der oft zu unrecht gescholtenen konventionellen Welt. Mit all dem zahlt man auf ein emotionales Konto ein, anfangs ist das noch nicht viel, doch nach einiger Zeit kann man auf entsprechende Guthaben zurück greifen.

Wichtiger als der Inhalt ist im Grunde, dass man in mehrere Strukturen eingebunden ist. Sie müssen nicht zwingend der konventionellen Norm entsprechen, aber es ist gut, wenn man in ein Netz von Verpflichtungen eingebunden ist. Diese Quellen von Stress können sich zugleich auch als Zentren von Kraft und Ruhe erweisen, weil man auch dann noch gebraucht wird, wenn es Krisen in einem Bereich des Lebens gibt. Die soziale Einbindung zeigt einem, dass man weiter funktionieren kann und dass andere Menschen oft ähnliche Probleme haben. Das löst die Probleme zwar noch nicht, aber es ist etwas anderes, als wenn man völlig allein damit klar kommen muss.

Aber man kann auch private Routinen etablieren, je länger man das tut, umso mehr tragen sie. Ob man täglich Sport oder Yoga macht, in einem Forum oder Tagebuch schreibt, sich um ein Haustier oder Pflanzen kümmert, künstlerisch tätig ist, all das bringt in dem Moment Zentren von Kraft und Ruhe ins Leben, wo man in einer Tätigkeit versinken kann, bei der man weiß, was man tut.

Vieles von dem, was man macht und auf das man sich festlegt, tut man zu einem nicht unerheblichen Teil auch für sich selbst, die Geschichte kippt in dem Moment, in dem man sich zu viel aufbürdet und – aus welchem Grund auch immer – nur noch von Termin zu Termin, von Pflicht zu Pflicht hetzt, so dass der Gewinn den man davon hätte, selbst zum Stress wird. Sei es, dass man nicht delegieren kann oder dass kein Raum zur Reflexion mehr vorhanden ist. Struktur ist also kein Selbstzweck und kann auch in Zwang übergehen.

Die langfristigen Big Points

Drei Menschen vor Bildschirm auf Bank schauen auf ihr Smartphone

Nachrichten irgendeiner Art sind heute überall präsent. © Craig Moe under cc

Wenn man Zentren von Kraft und Ruhe in sich selbst finden und anlegen will dann kristallisieren sich immer mehr drei bis vier große Punkte heraus:

  • Tiefe Beziehungen: Die Bedeutung von Beziehungen kann man nicht überschätzen und damit sind Beziehungen im weitesten Sinne gemeint. Zu Menschen, die uns sehr unterschiedlich nah und fern sein können, Tieren, der Natur, aber auch der Menschheit oder dem Sein in Gänze.
  • Sinn: Mehr und mehr, wohl auch durch den erlebten Verlust, zeichnet sich ab, wie wichtig es ist, einen Sinn im Leben zu sehen, zu haben. Etwas, wofür man morgens aufsteht, etwas, wie einen Stern am Himmel, der einem Orientierung gibt. Das kann ganz bieder aber auch völlig exzentrisch sein.
  • Werte und Moral: Ein inneres Wertesystem hilft einem Wichtiges und weniger Wichtiges im Leben zu unterscheiden, auch das ist eine Form der Orientierung und Hierarchisierung.
  • Spiritualität: Spiritualität kann ein enormer Faktor für Kraft und Ruhe im Leben sein, aber er ist selten und viele Menschen können ein glückliches und erfülltes Leben führen, ohne irgendwelche spirituellen Ambitionen.

Zentren von Kraft und Ruhe im Alltag aufbauen

Die Pflege der Innenwelt ist vielleicht einer der aktuell wichtigsten, weil gesellschaftlich stark vernachlässigten Punkte der letzten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. So gut wie alles, auch vieles von dem was mit Innerlichkeit zu tun hat, muss heute über äußere Wege erklärt werden.

Ein Slogan wie Biedermeier und Buddhismus hat daher den tieferen Hintergrund, sich wieder mehr der Pflege der Privatheit, der Persönlichkeit und auch der Innerlichkeit zuzuwenden, in einer Zeit in der ständig dazu aufgerufen wird, dass alles öffentlich und politisch zu sein habe. Erstens, finde ich die Politik mit dem Blick auf Problemlösungen insgesamt unüberzeugend, zweitens, ist Politik häufig eine riesige Projektionsorgie und in meinen Augen ist es nach wie vor richtig, Projektionen zurück zu nehmen, wo immer man sie erkennt, das ist anspruchsvoll genug.

Wer sich liebevoll der eigenen Familie, seiner Persönlichkeitsentwicklung, nicht im Hinblick auf Karriereoptionen, sondern um ein glücklicher und angenehmer Mensch zu werden, zuwendet, der zeigt ja nicht automatisch der Gesellschaft die rote Karte. Im Gegenteil, er zieht nur eine Grenze und pocht außerdem noch auf Privatheit. Beides wichtige Kraftquellen.

Damit dies kein Egotrip wird, sind buddhistische Ansätze der Überwindung des Egozentrismus eine schöne Ergänzung, die jedoch den Nachteil haben können, dass man diesen Weg zu Anfang ebenfalls aus eher unbewussten egozentrischen Gründen geht, etwas, was sich später aber in der Regel klärt.

Beziehungen kann man üben, wenn es zu Menschen nicht klappt, kann es mit Tieren klappen, aber auch zur Natur und zu Pflanzen kann man emotionale Beziehungen aufbauen. Man fängt einfach dort an, wo es möglich ist und stabilisiert sich auf dieser Ebene, ohne große Hast oder Ambitionen.

In dem wunderschönen Buch Vom Wachsen und Werden von Sue Stuart-Smith, beschreibt die Autorin, wie man durch die Arbeit mit Pflanzen und Erde auch erleben kann, wie man zum ersten Mal in seinem Leben Erfolge haben kann. Ich habe die Samen in die Erde gesteckt und es ist etwas draus geworden. Manchen Menschen ist das noch nicht passiert, dass sie irgendwas hervorgebracht haben oder dazu beigetragen haben, dass etwas erscheint, was von Wert ist. Und wenn es nur Radieschen sind.

Wenn Menschen das erstmalig erleben, haben sie nicht nur Erfolge und können nicht nur lernen, sich diese immer wieder zu gönnen, mit der Schaffung von etwas Wertvollem tritt auch Sinn und Wert in ihr Leben. Nicht als abstraktes Konstrukt, vielleicht zu Anfang nicht mal bewusst, aber der Keim ist da. Es ist ja doch nicht alles nutzlos.

Der Buddhismus hat obendrein noch den Vorteil mit der Meditation noch eine Quelle von Kraft und Ruhe als Praxis im Angebot zu haben. Nicht beim ersten Mal, aber mit jedem mal ein wenig mehr. Wie bei Erfolgen, die man sich gönnt, wie bei Freundschaften, die weiter laufen, wie mit Verschmelzungserfahrungen dieser und jener Art.

Selbstlosigkeit – Die entscheidende Wende

Zentren von Kraft und Ruhe in sich selbst finden und anlegen, das ist ein Wunsch, den man hat, wenn es einem nicht gut geht. Wenn man leidet, sucht man Ruhe, Flucht, die Auszeit, meidet man das, was einen stresst. Man sucht eine Kraftquelle, die einen das alles durchstehen lässt. Auch beim emotionalen Konto sollte man breit streuen, mehrere Wurzeln haben, auch kurzfristige, mittlere und lange kombinieren, aber in vielen Fällen ist eine Paradoxie unvermeidlich.

Was immer man tut, um Kraft und Ruhe zu gewinnen und zu vergrößern, tut man aus egoistischen Motiven. Mir geht es ja schlecht. Ich halte das alles nicht mehr aus und suche nach einer Kraftquelle, um durchzuhalten. Völlig okay, Rat und Hilfe zu suchen. Nur, in den meisten Fällen wird man dann Dinge tun und Neues versuchen, damit es einem besser geht, was durchaus klappt, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.

Denn ironischer Weise ist es so, dass, wenn man nun versucht, alles was super ist zu kombinieren und zu optimieren, die Sache erneut schief geht. Weil das Ego meint die Strippen ziehen zu können und echte Entspannung, Ruhe und Kraft gibt es erst, wenn man emotionale Energie in etwas investiert, was den Kontrollwillen des Ego überragt. Etwas, in das man sich bereitwillig einfügt, ohne den Einruck zu haben, dass man sich etwas verkneift. Man gibt viel, manchmal alles von sich und verliert doch nichts, weil man in diesen Momenten ganz präsent, begeistert und wach ist.

Man hat seinen Platz im Leben gefunden, ist bei sich angekommen und das ist eine Quelle, die nie versiegt. Ob man meint durch Probieren, Überlegen, Erfahrung und Reflexion zu sich gefunden oder einem göttlichen oder kosmischen Plan gefolgt zu sein, ist dabei schon eher nebensächlich. Der narzisstische Masterplan funktioniert nicht. Bei der Selbstlosigkeit verfolgt man kein eigennütziges Ziel mehr, das ist der Moment, auf den es ankommt und der wirklich befreiend ist.

Das heißt nicht, dass es einem nicht gut gehen darf, auch Genuss gehört zum Leben dazu, nur verlaufen Optimierungsprojekte des Lebens in der Regel nicht so, dass man von einem Höhepunkt zum nächsten Erfolg springt, sondern so, dass die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer größer wird und man braucht oft lange, um sich da einzugestehen. Das heißt nicht, dass man keine Probleme hat, Krisen erlebt oder verärgert ist, aber wenn man diese Wende vollzogen hat, hat man die Zentren von Kraft und Ruhe in sich selbst gefunden, in dem man sich in den Dienst stellt, los lässt und sich auf eine nicht naive Art treiben lässt. Es kann gelingen, sich mit dem Wandel oder der Veränderung zu identifizieren.